# taz.de -- Nach Insolvenz der Akademie Kannenberg: Staatsanwaltschaft prüft P… | |
> Die Staatsanwaltschaft hat ein Vorermittlungsverfahren gegen die | |
> Sozialbehörde eröffnet – es geht um pauschale Abrechnungen und 5,6 | |
> Millionen Euro. | |
Bild: Bei der Spitzabrechnung: Ex-Boxer Lothar Kannenberg | |
Bremen taz | Die Akademie Kannenberg kommt nicht aus den Schlagzeilen: Die | |
Pleite des pädagogisch umstrittenen Jugendhilfeträgers könnte ein | |
Strafverfahren nach sich ziehen. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat wegen | |
des Falls ein Vorermittlungsverfahren eröffnet. Sie prüft derzeit, ob ein | |
„Anfangsverdacht wegen Untreue“ gegen die Sozialbehörde von Senatorin Anja | |
Stahman (Grüne) besteht. Es steht im Raum, ob und inwiefern die Behörde | |
Fördermittel zu schludrig verteilte. Zuvor war bekannt geworden, dass der | |
Senat nach der Kannenberg-Insolvenz auf bis zu 5,6 Millionen Euro sitzen | |
bleiben könnte ([1][taz berichtete]). | |
„Gegenstand des Vorermittlungsverfahrens sind die Rückforderungen der | |
Sozialbehörde gegenüber der Kannenberg GmbH“, sagte Oberstaatsanwalt Frank | |
Passade, „wir prüfen, ob es zu strafrechtlich relevanten Fehlverhalten auf | |
Seiten der Sozialbehörde gekommen ist.“ Insbesondere pauschale Zahlungen | |
zwischen 2014 und 2016 an den Jugendhilfeträger stehen dabei im Interesse | |
der Staatsanwaltschaft. Um zu prüfen, ob sich ein Anfangsverdacht erhärten | |
ließe, zieht die Staatsanwaltschaft nun Akten bei und prüft Höhe und Dauer | |
von Pauschalbeträgen für den Jugendhilfsträger. Mit Ergebnissen aus den | |
Prüfungen rechnet die Staatsanwaltschaft nicht vor Anfang 2018. | |
„Wir gehen davon aus, dass es eine Rechtsgrundlage für alle Zahlungen | |
gegeben hat“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Es sei 2014 | |
und 2015 zwingend erforderlich gewesen, zahlreich unbegleitete jugendliche | |
Geflüchtete „vor der Obdachlosigkeit zu bewahren“, denn dieses wäre | |
wiederum ein Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch gewesen, so Schneider. | |
Die Senatorin für Soziales, Anja Stahmann, wollte die Ermittlungen nicht | |
kommentieren, hatte aber in der Sozialdeputation vergangene Woche gesagt, | |
eine von der Opposition nachträglich geforderte detailgetreue Abrechnung | |
für die jungen Geflüchteten sei in der „historischen Ausnahmesituation“ | |
nicht möglich gewesen – täglich seien 200 Geflüchtete in die Stadt | |
gekommen. | |
## „Wir mussten uns richtig reinknien“ | |
Die Opposition aus CDU, Linker und FDP monierte demgegenüber, dass | |
Nachforderungen der Behörde zu spät erfolgten und es schon bereits vor | |
einem Jahr Hinweise auf eine drohende Pleite von Kannenberg gegeben habe. | |
Ebenso gebe es Hinweise darauf, dass Gelder zweckentfremdet worden seien. | |
Auch für andere Träger waren Abrechnungen wohl ein Problem. Katharina | |
Kähler, bei der Inneren Mission für die Unterbringung von jugendlichen | |
unbegleitete Geflüchteten verantwortlich, sagt: „Wir sind ein großer | |
Komplexträger, haben deswegen natürlich Abteilungen für Controlling und | |
Rechnungswesen.“ Dennoch sei es nur mit einem erheblichem Mehraufwand und | |
Überstunden möglich gewesen, die besonderen Anforderungen wie bei der | |
Unterbringung von Geflüchteten in einer Turnhalle oder der Waller | |
Eissporthalle bewältigen zu können – „Wir mussten uns richtig reinknien�… | |
Allerdings sei es bei den Anforderungen bei der Inneren Mission ohnehin | |
üblich, nach kurzer Zeit „spitz abzurechnen“ – also Pauschalzahlungen mit | |
tatsächlich erbrachten Leistungen zu verrechnen. | |
Das hatte die Akademie Kannenberg wohl nicht getan. Für eine Stellungnahme | |
war der Träger bis Redaktionsschluss nicht erreichbar. | |
Die Sozialbehörde sagt, es sei notwendig gewesen, schnell für Liquidität zu | |
sorgen, um in der Ausnahmesituation alle minderjährigen unbegleiteten | |
Geflüchtete zu versorgen. Deswegen hätten 16 weitere Träger | |
Abschlagszahlungen in Höhe von 15,865 Millionen erhalten. Die Behörde hatte | |
die Pauschalen offenbar so angesetzt, dass sie in jedem Fall ausreichten. | |
Nach den tatsächlichen, „spitzen“ Abrechnungen hatte die Behörde | |
Rückzahlungen ab dem Herbst 2016 erwartet. | |
## Mit Drill „Strukturen und Werte“ vermitteln | |
Gleich mehrere Träger hatten allerdings Probleme mit Rückzahlungen, wie die | |
Sozialbehörde [2][in einer Pressemitteilung] mitteilte. Nach Gesprächen mit | |
Stahmann hatte man sich auf Ratenzahlungen geeinigt – die allerdings | |
blieben im Fall der Akademie Kannenberg zuletzt jedoch aus. Daraufhin | |
stoppte die Behörde alle Zahlungen an Kannenberg und die Einrichtung | |
beantragte Insolvenz am Amtsgericht Walsrode. | |
Derzeit betreut Lothar Kannenberg in Bremen noch 142 Jugendliche in sechs | |
Einrichtungen. Platz wäre laut Sozialbehörde für 233. Zeitweise waren bis | |
zu 800 Jugendliche in Einrichtungen von Kannenberg untergebracht. Bremen | |
hatte 2014 und 2015 rund 2.500 jugendliche Geflüchtete ohne Begleitung | |
aufgenommen, nach einer Gesetzesänderungen wurden viele der Jugendlichen | |
inzwischen in andere Bundesländer umverteilt. | |
Das pädagogische Konzept der Kannenberg-Einrichtungen ist umstritten. Der | |
Chef des Jugendhilfsträgers, Lothar Kannenberg, ist ein Ex-Boxer ohne | |
pädagogische Ausbildung, der straffällig gewordenen Geflüchteten mit | |
strengem Drill „Strukturen und Werte“ vermitteln wollte. | |
5 Dec 2017 | |
## LINKS | |
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[2] http://senatspressestelle.bremen.de/detail.php?gsid=bremen146.c.279808.de&a… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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