| # taz.de -- Debatte Air-Berlin-Pleite: Lufthansa verstaatlichen! | |
| > Die Monopolgewinne der ehemals staatlichen Fluggesellschaft fließen in | |
| > private Kassen. Die Allgemeinheit sollte daran beteiligt werden. | |
| Bild: Bye bye, Air Berlin! | |
| Für den weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock läuft es in Deutschland | |
| gerade bestens. [1][Air Berlin ist pleite], und die Deutsche Post AG | |
| erwartet dieses Jahr einen Gewinn von 3,7 Milliarden Euro. Der New Yorker | |
| Großinvestor, der das Geld von reichen Privatpersonen und Pensionsfonds in | |
| aller Welt einsammelt und global möglichst gewinnbringend anlegt, ist | |
| zweitgrößter Einzelaktionär bei der Post und größter Anteilseigner der | |
| Lufthansa. Die deutsche Fluggesellschaft befindet sich derzeit im Glück: | |
| Durch den Wegfall der Konkurrenz kann sie Marktanteile ausbauen, was die | |
| Gewinne in neue Höhen hinaufschraubt. | |
| Auf der anderen Seite häufen sich bei der Post derzeit Berichte über | |
| verspätete Zustellungen und schlechte Arbeitsbedingungen. | |
| Verbraucherschützer melden kräftig steigende Preise bei der Lufthansa, | |
| Lokalzeitungen berichten von enttäuschten Schülern, die ihre Klassenfahrt | |
| nicht antreten können, weil ihre Air-Berlin-Tickets verfallen sind. [2][Von | |
| der Arbeitslosigkeit bedrohte Air-Berlin-Mitarbeiter] hoffen, wenigstens | |
| von einer Transfergesellschaft aufgefangen zu werden. | |
| Das Schicksal der Kunden und besonders der Mitarbeiter ist beklagenswert, | |
| es gehört aber zur Wirtschaftsform namens Kapitalismus. Der kennt | |
| bekanntlich mit Gewinnern und Verlierern immer zwei Seiten. Die Zustände | |
| bei der Post und der Höhenflug der Lufthansa zeigen, dass die liberale | |
| Marktideologie in diesen Branchen an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert | |
| ist. | |
| In der schönen Theorie herrscht ein funktionierender Wettbewerb zwischen | |
| verschiedenen Marktteilnehmern, die durch möglichst gute Dienstleistungen | |
| und faire Preise um Kunden buhlen. Echter Wettbewerb funktioniert | |
| allerdings nicht in diesen Branchen, die Volkswirte natürliche Monopole | |
| nennen. Luftverkehr und ein flächendeckender Postdienst sind dermaßen | |
| aufwendig und teuer, dass sich am Ende nur wenige durchsetzen oder sich auf | |
| bestimmte Marktsegmente konzentrieren – so wie zum Beispiel im | |
| Billigfluggeschäft. | |
| ## Patronage und Postenklüngelei | |
| Der Wettbewerb im Paketgeschäft mit der Posttochter DHL, Hermes, UPS und | |
| Co. funktioniert nur scheinbar: Der Konkurrenzdruck wird über Lohndumping | |
| und Subunternehmer auf die Beschäftigen abgewälzt, Produktionskosten werden | |
| an die Allgemeinheit ausgelagert, indem öffentliche Straßen stillschweigend | |
| für rollende Warenlager missbraucht werden, etwa wenn die Paketautos wie | |
| selbstverständlich die Straßen zuparken. | |
| Alle, die über 40 Jahre alt sind, erinnern sich an eine Zeit, als Lufthansa | |
| und Post noch Staatsbetriebe waren. Bei beiden hatte der Staatsbesitz | |
| historische Gründe. Bei der Post kam die Idee hinzu, dass sie eine | |
| Dienstleistung ist, die für jeden zugänglich sein soll und daher vom Staat | |
| bereitgestellt werden muss. Dann setzte eine Privatisierungswelle ein, die | |
| auch andere Branchen wie die Wohnungswirtschaft mitriss. | |
| 1997 verkaufte die Regierung Kohl den letzten staatlichen Anteil von rund | |
| einem Drittel an der Lufthansa. Die rot-grüne Bundesregierung brachte die | |
| Post mehrheitlich an die Börse. Damit sollten Haushaltslöcher gestopft | |
| werden, die Rot-Grün durch Steuersenkungen selbst herbeigeführt hatte. | |
| Dazu kam der allgemeine neoliberale Zeitgeist, der „privat“ den Vorrang vor | |
| „Staat“ gab. | |
| Allerdings hatten sich die Staatsbetriebe zum Teil auch selbst | |
| diskreditiert. Ihre Behördenstruktur machte sie unflexibel gegenüber den | |
| Bedürfnissen der Kunden; diese behandelten sie eher als lästige | |
| Bittsteller. Zudem machten die verantwortlichen Politiker den Fehler, den | |
| sie überall auf der Welt machen, wenn sie Zugriff auf Unternehmen haben: | |
| Sie missbrauchten die Staatsbetriebe für Patronage und Postenklüngelei. So | |
| waren es nicht nur Neoliberale, die die Privatisierungen durchaus als | |
| Fortschritt begrüßten. | |
| ## Infrastruktur zurückholen | |
| Der Haken ist: Durch die Privatisierung wurden staatliche Monopole | |
| lediglich durch private Monopole oder Oligopole – also einen Kreis von | |
| wenigen Anbietern – ersetzt. Monopolgewinne fließen heute nicht in die | |
| öffentlichen Haushalte, sondern an private Investoren wie eben Blackrock. | |
| Politiker empören sich regelmäßig über die zunehmende globale Ungleichheit. | |
| Dass sie mit der Privatisierung von Staatsunternehmen dazu beigetragen | |
| haben, verschweigen sie lieber. Jede Arbeitsverdichtung und jede | |
| Outsourcingmaßnahme der ehemaligen Staatsbetriebe dient dem Gewinninteresse | |
| der globalen Shareholder und treibt die Einkommensschere zwischen | |
| Beschäftigten und Kapitaleignern weiter auseinander. | |
| Was tun? Eine Sofortmaßnahme wäre, dass der Staat wieder bei der Lufthansa | |
| einsteigt und seinen Anteil bei der Post, der noch bei 20 Prozent liegt, | |
| aufstockt. | |
| Im Aktienrecht sind 25 Prozent eine wichtige Schwelle. Wer über der | |
| sogenannten Sperrminorität liegt, hat bedeutende Rechte in einem | |
| Unternehmen. Bei der Lufthansa könnte der Staat als Anteilseigner auf | |
| Monopolstrecken für faire Preise sorgen und bei der Post für bessere | |
| Arbeitsbedingungen. Das würde den Gewinn schmälern – aber es ist legitim, | |
| wenn der Staat als Eigentümer neben der Gewinnorientierung noch weitere | |
| Ziele verfolgt. | |
| Der Begriff „Verstaatlichung“ hat zweifellos den muffigen Geruch der 70er | |
| Jahre. Die Deutsche Bahn zeigt, dass es anders gehen kann. Die Bahn ist | |
| selbstverständlich nicht perfekt, aber sie hat nur noch wenig mit der | |
| Behörden-Bahn der Vergangenheit zu tun. Die Bahn ist als Aktiengesellschaft | |
| privatrechtlich aufgestellt, gehört aber zu 100 Prozent dem Staat. Gewinne | |
| muss die Bahn an den Staat – also die Allgemeinheit – abführen oder wieder | |
| investieren. Das Beispiel Bahn zeigt, dass man einen Staatsbetrieb zum | |
| Positiven reformieren kann, indem man die Organisationsform ändert, ohne | |
| die Besitzverhältnisse anzutasten. | |
| „Hol dir die Stadt zurück“ nannten die Berliner Grünen ihre Kampagne zur | |
| Schließung des Berliner Flughafens Tegel. Mit Blick auf Lufthansa und Post | |
| muss es abgewandelt heißen: Hol dir die Infrastruktur zurück. | |
| 29 Oct 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Mitarbeiter-zum-Ende-von-Air-Berlin/!5455829 | |
| [2] /Der-Berliner-Wochenkommentar-II/!5458071 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
| ## TAGS | |
| Air Berlin | |
| Lufthansa | |
| Insolvenz | |
| Flugverkehr | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Streik | |
| Air Berlin | |
| Air Berlin | |
| Lufthansa | |
| Air Berlin | |
| Air Berlin | |
| Air Berlin | |
| Air Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Arbeitskampf bei der Lufthansa: Ein richtiger Streik | |
| Das Lufthansa-Personal hat wegen der Coronakrise bereits viel Verzicht | |
| geleistet. Der Streik ist besonders für die Niedrigverdiener*innen | |
| nötig. | |
| Betroffen von der Fluggesellschaftspleite: Ich bin ein Niki-Loser | |
| Am Dienstag gebucht, am Mittwoch ist die Flugfirma pleite. Wie ein | |
| Betroffener das „Grounding“ der Air-Berlin-Tochter erlebt. | |
| Abstürzende Airlines: Niki macht Schluss – und Lauda hofft | |
| Nach der Pleite der Air-Berlin-Tochter startet eine Rettungsaktion für | |
| Tausende Urlauber, 1.000 Jobs sind bedroht. | |
| Lufthansa und das Schneechaos: Warteschlangen und Warteschleifen | |
| Es hat geschneit, die Flieger können nicht abheben. Und die | |
| „Fünf-Sterne“-Airline Lufthansa scheitert online wie offline an der | |
| Kundenbetreuung. | |
| Aus für Air Berlin: Easyjet übernimmt Teile des Geschäfts | |
| Air Berlin ist Geschichte. Die letzte Linienmaschine der zweitgrößten | |
| deutschen Fluggesellschaft ist am Freitagabend in Berlin-Tegel gelandet. | |
| Mitarbeiter zum Ende von Air Berlin: Das rote Band zerreißt | |
| Zum letzten Mal fliegt die insolvente Air Berlin von München nach Berlin. | |
| Lufthansa übernimmt vor allem die Maschinen, was wird aus den Menschen? | |
| Die Wochenvorschau für fliegende Berliner: Letzte Woche für Air Berlin | |
| Es ist ziemlich absurd, durch Deutschland zu jetten. Wer's trotzdem nicht | |
| lassen kann: die Tipps für die Air-Berlin-Abschiedstour. | |
| Nach dem Lufthansa-Air Berlin-Deal: „Die Leute sind verzweifelt“ | |
| Die meisten Air-Berlin-Beschäftigen stehen nach dem Deal mit der Lufthansa | |
| vor dem beruflichen Aus, sagt Ver.di-Sprecher Splanemann. Er lobt das | |
| Engagement des Senats |