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# taz.de -- Türkische WissenschaftlerInnen im Exil: „Der Druck ließ es nich…
> Soziologe Çetin Gürer lebt seit 2016 in Bremen – und stört sich am Kurs
> der Regierung gegenüber dem Erdoğan-Regime.
Bild: Februar 2017: Auf dem Campus der Universität Ankara zerschlägt die Poli…
taz: Herr Gürer, was bedeutet Exil für Ihre Arbeit?
Çetin Gürer: Ach, ich fühle mich ja gar nicht fremd hier: Ich habe in
Deutschland studiert, meine Frau ist Deutsche: Deutschland ist meine zweite
Heimat. Im Exil fühle ich mich höchstens, weil ich nicht in die Türkei
reisen darf – und dort auch nicht mehr arbeiten konnte.
Auch schon an der Nişantaşı University?
Der Druck ließ es nicht mehr zu, frei als Wissenschaftler zu forschen und
frei nachzudenken, also, ohne sich selbst zu zensieren.
Richtete sich die Repression gegen Ihre politische Haltung oder Ihre
wissenschaftliche Arbeit?
Beides. Man kann das nicht voneinander trennen.
Sie haben den Appell der Akademiker für den Frieden unterzeichnet…
Ja, den habe ich unterzeichnet, und deswegen bin ich von meiner Stelle in
Istanbul entfernt worden. Ich habe den unterschrieben, weil der Staat in
den kurdischen Gebieten eine neue Welle der Gewalt und der Kolonisierung
durchgeführt hatte: Die Städte wurden zerstört, die Bevölkerung wurde durch
staatliche Sicherheitskräfte ermordet, die Leichen durften nicht begraben
werden. Es war ein richtiger Krieg gegen die kurdische Minderheit…
… über deren Status Sie forschen?
Genau. Ich habe über Autonomiemodelle für ethnische Minderheiten in Europa
am Beispiel der Kurden promoviert. Für Soziologen und Politologen, die sich
für die Lage der Kurden, aber auch allgemein für türkische Politik
interessieren, war die Lage also ohnehin schon schlecht.
Nun hat Erdoğan AnhängerInnen in der türkischen Community Deutschlands:
Gibt es da Anfeindungen?
Gott sei Dank bislang nicht: Ich werde weder auf der Straße noch über
Social-Media-Kanäle beschimpft.
Wächst die Gefahr durch ein Podium wie das heute Abend?
Nein, das ist ja nicht die erste öffentliche Veranstaltung, seit ich nach
Deutschland gekommen bin: Bei diesen Veranstaltungen halten die
AKP-Anhänger sich eher zurück.
Geht da das deutsche Kalkül auf, durch einen eher zurückhaltenden Umgang
mit dem Erdoğan -Regime den Konflikt aus dem Land zu halten… ?
Von wegen! Ich finde diesen Umgang komplett unangemessen: Einerseits ist
der Konflikt längst hierher transportiert. Die türkische Gemeinde in
Deutschland ist in sich gespalten. Andererseits ist in der Türkei die
Rechtsstaatlichkeit völlig außer Kraft gesetzt. Die Verfassung ist
beseitigt, Bürgermeister*innen, Journalist*innen, Abgeordnete werden
willkürlich weggesperrt. Wie sehr soll Erdoğan die Menschenrechte noch
missachten, damit der Westen reagiert? Speziell Deutschland: Dieses
wichtige Land lässt sich gefallen, dass die Türkei deutsche
StaatsbürgerInnen wie Mesale Tolu, Deniz Yücel oder Peter Steudtner als
Geiseln nimmt. Das ist nicht nachvollziehbar. Ein solches Verhalten wirkt
wie Komplizenschaft.
Wie hätte es denn reagieren können?
Die Mittel sind nicht sehr vielfältig, das stimmt, aber man könnte schon
hier in Deutschland anfangen, bei den Institutionen der Türkei hier im
Land, den AKP-nahen Organisationen, den Ditib-Moscheen und der
Geheimdienstkooperation, da gibt es doch Möglichkeiten. Das Minimum aber
wäre doch, sich zusammenzusetzen, die wachsende Gemeinde der Exilierten
zusammen zu rufen, und darüber nachzudenken, was Erdoğan stoppen könnte.
Vortrag von Celal Başlangıç (Journalist und ehemaliger Redaktionsleiter bei
Cumhuriyet) mit anschließender Podiumsdiskussion: Dienstag, 24. Oktober, 18
Uhr, Stadtbibliothek Bremen, Wallsaal
23 Oct 2017
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Zensur
Opposition in der Türkei
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Proteste in der Türkei
Ankara
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Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
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