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# taz.de -- Nachdenken über die Zukunft der EU: Ein Ort für die großen Fragen
> Die Bremer Uni will sich mit den Problemen Europas befassen – und gründet
> dafür ein neues Forschungsinstitut.
Bild: Europa-Wissenschaftler Wolfgang Kissel mit der Literaturwissenschaftlerin…
An der Uni Bremen ist ein neues Institut gegründet worden. So etwas ist
normalerweise keine Nachricht. Hinter dem „Institut für Europastudien“
versteckt sich aber ein durchaus spektakuläres wissenschaftliches Konzept,
geht es doch um „Europas neue Herausforderungen“.
Europa war über einige Jahrzehnte scheinbar eine selbstverständliche
Angelegenheit: Es gab einen westeuropäischen Modernisierungsprozess, dem
sich andere Länder am Rande wie die Türkei eigentlich nur anschließen
mussten, so das Selbstverständnis. Und es gab im Osten den eisernen
Vorhang, an dem Europa endete und hinter dem man studieren konnte, was
alles schiefläuft, wenn man sich dieser Modernisierung verweigert. Europa
ist in seiner 3000 Jahre alten Geschichte auch immer das Konstrukt von
Erzählungen gewesen, sagt der Leiter des Instituts für Europafragen,
Wolfgang Kissel – ein neues Europa als macht- und wirtschaftspolitischer
Raum muss also auch seine eigenen Erzählungen hervorbringen, wenn es die
Menschen überzeugen will. Neben allen wirtschaftlichen und machtpolitischen
Zerreißproben bröckelt derzeit diese „Erzählung“ gerade kräftig. Nicht …
die Türkei bewegt sich inzwischen mit großen Schritten weg von dem ihr
zugedachten Modernisierungs-Paradigma.
Mit den post-sowjetischen Gesellschaften fingen die Probleme an. Im Rahmen
des Instituts für Europastudien ist für zwei Jahre der
Politikwissenschaftler Bidzina Lebanidze aus Georgien an die Bremer Uni
geholt worden, der das Nachdenken über die Probleme einer ehemals
sowjetischen Republik vorantreiben soll. Das kleine Georgien wäre für die
Politikwissenschaftler normalerweise kein besonderes Thema – wenn sich dort
nicht die typischen Nachbarschaftskonflikte im postsowjetischen Raum zeigen
würden. Die Ukraine kämpft mit ähnlichen Problemen. Und in Polen erleben
wir gerade, dass die Aufnahme in die EU keineswegs eine Dynamik in Gang
setzt, die auf einigermaßen geradem Pfad „nach Europa“ führt.
Ist Europa mehr als ein alter, auf griechische Erzählungen zurückgehender
Mythos? Die EU bemüht in ihren Festreden gern eine philosophische Idee, in
ihrer Praxis geht es allerdings um die Bildung eines Wirtschaftsraumes,
der, ganz profan, mit dem chinesischen und dem US-amerikanischen
standhalten soll. Wie die „Brexit“-Diskussion in Großbritannien zeigt, ist
der Vorteil dieser Wirtschaftsunion nicht einmal mehr in den vermeintlichen
europäischen Kernländern unumstritten. Und in Polen zeigt sich, dass es
auch keine einfach nachholende Entwicklung auf diesen Weg gibt, nicht
einmal bei massiver finanzieller Unterstützung aus EU-Töpfen.
Wenn man Europa nicht nur als Wirtschaftseinheit begreifen will, sondern
als „transnationale demokratische Wertegemeinschaft“, dann wird es noch
komplizierter. Bei der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen haben
die Gesellschaften des östlichen Europas mit ihrem sowjetischen Erbe zu
kämpfen – nicht nur den Rentnern auf der Krim ist die Höhe ihrer Rente
wichtiger alle „transnationalen demokratischen Werte“. In den
osteuropäischen Gesellschaften werden zivilgesellschaftliche
Entwicklungsprozesse zudem in den Grenzen des Nationalstaates gedacht. Die
Flüchtlingsströme werden da zur weiteren Belastung des ohnehin schwierigen
demokratischen Prozesses, eine europäische, grenzüberschreitende
Flüchtlingspolitik erscheint als Bedrohung der nationalen Identität und des
erreichten sozialen Ausgleichs, der schon so labil genug ist.
Aber auch in den scheinbar stabilen westeuropäischen Demokratien ist die
Flüchtlingsbewegung für viele eine Identitätskrise – für so viele, dass d…
Parteiensystem gründlich in Bewegung kommt und in Frankreich sogar
zusammengebrochen ist. Weder in Ost- noch in Westeuropa kann man heute noch
sagen, dass zum europäischen Modell von Demokratie eine robuste
Parteienlandschaft gehört, die die Gesellschaften gegen populistische
Stimmungen absichert. „Populismus hat aber keine
Problembewältigungsstrategie“, sagt Institutsleiter Wolfgang Kissel.
Vor diesem Hintergrund sollen Studenten interdisziplinär ausgebildet werden
in einem Studiengang, der Anteile aus den Politik- und
Sozialwissenschaften, Kultur und Geschichte integriert und für die
europäischen Herausforderungen ausbildet. Die Wissenschaftler wollen ihre
Forschungen daher anbinden an die praktischen Probleme der Europapolitiker.
Podiumsdiskussion mit Wolfgang Eichwede, Gründer und ehemaliger Direktor
der Forschungsstelle Osteuropa, Helga Trüpel (Grüne) und Joachim Schuster
(SPD): Dienstag, 31. Oktober, 17 Uhr, Hörsaal GW 1, Universitätsallee
29 Oct 2017
## AUTOREN
Klaus Wolschner
## TAGS
Europäische Union
Europäische Integration
Universität Bremen
EU-Reform
Österreich
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Zensur
Schwerpunkt Brexit
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Terrorismusbekämpfung
Polen
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