# taz.de -- Comeback von Jürgen Trittin: Geleitschutz oder Torpedo | |
> Jürgen Trittin ist nur noch ein einfacher Grünen-Abgeordneter. Dachten | |
> manche. Nun verhandelt er mit Merkel über Jamaika. Was will er? | |
Bild: Pokerface: Jürgen Trittin verhandelt über eine Regierungsbeteiligung de… | |
BERLIN/HANNOVER taz | Wenn Jürgen Trittin über etwas partout nicht sprechen | |
will, kann man davon ausgehen, dass die Sache spannend ist. Nein, wimmelt | |
sein Büroleiter am Telefon freundlich ab, an einem Gespräch über seine | |
Rolle bei den Grünen habe Trittin kein Interesse. Man bitte um Verständnis. | |
Dieser Text muss also ohne Fragen an den Mann auskommen, um den es geht. | |
Jürgen Trittin, 63, ist wieder im Spiel. Allein das ist nicht | |
selbstverständlich: 2013 von seiner Partei in die Wüste geschickt, ist der | |
linksgrüne Altkämpe ja eigentlich nur noch ein einfacher | |
Bundestagsabgeordneter aus Göttingen, der im Auswärtigen Ausschuss sitzt. | |
Ex-Umweltminister, Ex-Fraktionschef, Ex-Spitzenkandidat, bei Trittin war | |
ziemlich viel Ex. Bisher. Und nun? | |
Nun verhandelt Trittin für die Grünen mit Merkel über Jamaika und tritt | |
dieser Tage so oft im Fernsehen auf, dass manche sich verwundert die Augen | |
reiben. Ist Trittin jetzt der Grünen-Boss? Ist er derjenige, der am Ende | |
den Daumen hebt oder senkt über eine Regierungsbeteiligung? Was will er? | |
Dass Trittin, der Vollprofi und Kontrollfreak, lieber schweigt, hat auch | |
damit zu tun, dass die Grünen nervös sind. Jede Silbe in so einem Porträt | |
könnte gegen ihn ausgelegt werden. Für viele in Union und FDP, aber auch | |
für manche Grüne ist Trittin ein U-Boot. Sie fragen sich, ob er für Jamaika | |
Geleitschutz gibt oder ob er irgendwann den Torpedo auf den eigenen Tanker | |
feuert. | |
## Geschichte wird geschrieben | |
Bis heute hält sich die Legende, Trittin habe 2013 Schwarz-Grün verhindert. | |
Wichtige CDUler erzählen das, manche Realos widersprechen nicht. Linke | |
Grüne und Trittin selbst sagen, Merkel sei schuld. Sie habe nicht genug | |
angeboten, etwa beim Klimaschutz oder bei Investitionen, und parallel in | |
Brüssel strenge Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos aufgeweicht. Verschüttete | |
Milch. Jetzt wird Geschichte neu geschrieben, und Trittin ist fest | |
entschlossen, ein paar Verse mitzudichten. | |
Wirklich weg war er nie. Die Medien nehmen Trittins pointierte Zuspitzungen | |
immer gerne, durch sein Wissen blieb er ein Player, auch ohne Amt. Das | |
liegt daran, dass er bei den Grünen in einer eigenen Liga spielt. Nur | |
wenige durchdringen Themen so wie er, nur wenige sind so breit aufgestellt, | |
nur wenige denken so strategisch. | |
Eigentlich wollten ihn die Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin | |
Göring-Eckardt beim Sondieren außen vor lassen. Zu links, zu oldschool, zu | |
dagegen. Doch Göring-Eckardt machte den Fehler, das vor der Wahl offen | |
auszusprechen. Den wichtigen Linksgrünen um Fraktionschef Anton Hofreiter | |
blieb wenig anderes übrig, als auf Trittin zu bestehen. | |
Donnerstag vor der Niedersachsenwahl, eine schmucklose Messehalle in | |
Hannover; die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat zum | |
Kongress geladen. Schwieriges Terrain für Grüne. Die IG BCE vertritt die | |
Beschäftigten der Stromkonzerne, hier sitzen Kohlefans bei Käsegebäck und | |
Filterkaffee zusammen. | |
Trittin, die Stirnsträhnen nach hinten gekämmt, klappt in der ersten Reihe | |
seine 1,96 Meter zu einer Verbeugung zusammen. Die Kanzlerin lächelt, | |
schüttelt ihm die Hand und setzt sich. Beide reden leise. Später, auf dem | |
Podium, begrüßt Merkel den „lieben Jürgen Trittin“ und flicht in ihrer R… | |
noch ganze drei Mal seinen Namen ein. Bei der Endlagerung, sagt sie, „haben | |
wir Großartiges geschafft“. Das ist ein Lob. Trittin hat die Kommission mit | |
geleitet, die mit den Energiekonzernen einen Milliardendeal über die | |
Endlagerung von Atommüll aushandelte. | |
## Trittin lässt sich die Freude nicht anmerken | |
Auch sonst klingt Merkel bei der Gewerkschaft fast so grün wie Claudia | |
Roth. Die Energiewende sei unaufhaltsam, sagt sie, bei der Wärmedämmung von | |
Altbauten sei noch nicht alles ausgeschöpft, beim Umgang mit der Braunkohle | |
müssten die Menschen mitgenommen werden. Nicht mehr um das Ob des | |
Kohleausstiegs geht es, so die Botschaft, sondern um das Wie. | |
Merkel bekommt freundlichen Applaus. Auch in der Kohlegewerkschaft weiß man | |
die Zeichen der Zeit zu deuten. Trittin, den Kopf schief gelegt, lässt sich | |
nicht anmerken, wie ihn das freut. | |
Seit Tagen führt er vor, wie man Preise vor Koalitionsverhandlungen | |
hochtreibt. Als sich CDU und CSU vor zwei Wochen auf eine | |
Möchtegernobergrenze in der Flüchtlingspolitik einigten, trat Trittin an | |
einem Abend erst im „heute-journal“, dann in den „Tagesthemen“ auf. Es | |
klang, als rühre er Beton an. Trittin zählte gnadenlos die grünen Wünsche | |
auf, die für die Union Provokationen sind. Der Familiennachzug für | |
anerkannte Flüchtlinge müsse gelten, nur so gelinge Integration. CDU und | |
CSU, ätzte Trittin, fühlten sich als christliche Parteien doch dem Schutz | |
der Familie verpflichtet. | |
Trittin hält wenig von der Philosophie, die die Grünen seit 2013 | |
praktizieren: Bloß nicht anecken, um die bürgerliche Mitte zu begeistern? | |
Trittin liebt das Angriffsspiel, das war immer so, beim Atomausstieg, der | |
Ökosteuer, dem Dosenpfand. So hält er es auch mit Jamaika. Doch wer genau | |
hinhört, stellt fest, dass er Forderungen akzentuiert, die Özdemir und | |
Göring-Eckardt auch nennen. Er formuliert nur schärfer. | |
## Diabolisch angehauchter Kotzbrocken | |
Trittins Rolle bei den Grünen ist die des diabolisch angehauchten | |
Kotzbrockens, den die Gegenseite fürchtet. So will er Spielräume schaffen. | |
Dumm ist das nicht. Wer nur nett ist, kann in Verhandlungen einpacken. Alle | |
wissen, dass Trittin schlagkräftige Kampagnen organisieren kann. CDUler | |
erinnern sich mit respektvollem Schaudern daran, wie er auf dem | |
Grünen-Parteitag 2016 mit einer kurzen Rede die Vermögensteuer | |
durchdrückte. | |
Kluge Grüne wissen, wie wertvoll so jemand in Verhandlungen ist. Der | |
Schleswig-Holsteiner Robert Habeck machte auf dem Kleinen Parteitag vor | |
drei Wochen den überraschenden Move, sich bei Trittin dafür zu | |
entschuldigen, dass die Grünen ihn 2013 in die Ecke stellten – für ein | |
ähnliches Wahlergebnis wie das im Jahr 2017. Politik sei „ein scheiß | |
undankbares Geschäft“. | |
Trittin wird das gefreut haben. Eine Theorie bei den Grünen besagt, dass | |
erfolgreiche Jamaika-Verhandlungen für ihn eine Rehabilitation wären. Er | |
könnte für die Geschichtsbücher festhalten, dass 2013 die Zeit nicht reif | |
für Schwarz-Grün war, dass das Verhinderer-Label zu Unrecht an ihm klebt. | |
Trittin kann ja brutalstpragmatisch sein. Er stellte von Anfang an | |
Überzeugungen zurück, um gestalten zu können. Er war neben Joschka Fischer | |
derjenige, der die Grünen dazu trieb, mit der SPD zu koalieren. Das fanden | |
die Fundis Ende der 80er mindestens so verwerflich wie einige heute ein | |
Bündnis mit CSU und FDP. Sogar beim Oppositions-Trittin zeigte sich dieses | |
Muster. Unter ihm stimmen die Grünen vor 2013 für Merkels Europapolitik, | |
für ihre Atomausstiegs-Kehrtwende nach Fukushima ebenso. Trittin wollte | |
sich den Sieg von Merkel nicht klauen lassen. | |
## Kein Spitzenjob mehr drin | |
Aus Prinzip gegen Jamaika zu sein passt deshalb nicht zu Trittin. Aus einem | |
Vortreffen der Grünen-Sondierer wird berichtet, er habe explizit erklärt, | |
das Projekt zum Erfolg führen zu wollen. Doch Trittins echte Beweggründe | |
kennt nur er selbst. | |
Seine Glaubwürdigkeit für Linksgrüne macht aus, dass er eine andere | |
Schmerzgrenze hat als Özdemir und Göring-Eckardt. Die möchten Minister | |
werden. Scheitert Jamaika, wäre ihre politische Karriere ungewiss, wenn | |
nicht beendet. Trittin hat wenig zu verlieren, für ihn wird dieses Mal kein | |
Spitzenjob mehr drin sein. Auch deshalb trauen ihm die Jamaika-Skeptiker | |
zu, im Notfall die Reißleine zu ziehen. | |
Macht Trittin mit, ist das Ding durch. Blockiert er, hat Merkel ein | |
Problem. Aber hätte Trittin noch die Macht, Jamaika zu stoppen? Das darf | |
bezweifelt werden. Die Ansagen machen bei den Grünen inzwischen andere. | |
Die Spitzenkandidaten leiten die Gespräche, sie dürfen als Erstes nach | |
Ämtern greifen. Wichtigster Player im linken Flügel ist Anton Hofreiter, | |
Trittins Nachfolger als Fraktionschef, hoch angesehen in Fraktion und | |
Partei. Die entscheidenden Linksgrünen haben sich untergehakt. Alles, heißt | |
es, werde gemeinsam entschieden. Dass sich Trittin gegen sie und den Rest | |
des Sondierungsteams stellt, ist unwahrscheinlich. Weil er Hofreiter | |
schätzt und nicht in Kriege zieht, die er nur verlieren kann. Wenn Jamaika | |
scheitert, dann nicht an Trittin allein. | |
Die Kanzlerin widmet sich auf dem Gewerkschaftskongress dann den | |
Braunkohlearbeitsplätzen. Man müsse auf den Zusammenhalt der Gesellschaft | |
achten. Zu schnell, heißt das, darf es nicht gehen mit dem Ausstieg. Sie | |
wirft einen Blick in die erste Reihe: „Ich sehe ein Nicken von Herrn | |
Trittin.“ | |
Jürgen Trittin, der im Moment gerne den Kotzbrocken spielt, lächelt. | |
20 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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