| # taz.de -- Aktion: verdunkelte Schaufenster: Zukunft? Zappenduster! | |
| > Wird die Oranienstraße zu einer austauschbaren Saufmeile? | |
| > Gewerbetreibende wehren sich gegen die drohende Verdrängung mit einer | |
| > Aktion am 18. Oktober. | |
| Bild: Die Oranienstraße: Rund 80 Gewerbemieter wehren sich gemeinsam gegen Ver… | |
| Stell dir vor, es ist Mittwochnachmittag und die Läden in der Kreuzberger | |
| Oranienstraße sind dunkel. Wo man sonst die Auslagen etwa des | |
| Schreibwarengeschäfts oder des Wolleladens sieht, sind die Schaufenster mit | |
| Papier verklebt. Am morgigen Mittwoch werden die Inhaber von Ladenlokalen | |
| in einer gemeinsamen Aktion ihre Schaufenster verdunkeln, um | |
| öffentlichkeitswirksam zu zeigen, was wäre, wenn es sie nicht mehr gäbe: | |
| die Läden der Oranienstraße. Etwa 80 Gewerbemieter der Straße haben sich | |
| zusammengeschlossen, um sich gegen Verdrängung zu wehren. | |
| Der Anstoß dazu kam, als im Frühjahr die bekannte Buchhandlung Kisch & Co. | |
| durch die Berggruen Holdings eine Kündigung bekommen hatte und nach | |
| Protesten – mit einer höheren Miete –, zunächst bleiben kann. „Das ging… | |
| ein Lauffeuer durch die Straße“, sagt die Händlerin Swenja Ritchie, die | |
| Teil des Bündnisses ist. „Es war wie ein Signal, dass uns das alle | |
| betrifft. Wegen exponential steigender Mieten mussten hier in den letzten | |
| Jahren immer mehr Läden aufgeben.“ | |
| Die Oranienstraße – in den 1970er und 80er Jahren war sie ein Ort, wo | |
| Instandbesetzer sich gegen die Zerstörung der Stadt durch Abriss zur Wehr | |
| setzten. Einige der Läden und Projekte, die heute der Straße noch ihr | |
| Gesicht geben, stammen aus diesen Tagen. Zahlreiche soziale Projekte | |
| gehören dazu, Buchläden und Handwerksbetriebe. Heute ist dieselbe Straße | |
| Schauplatz einer neuen Form von Zerstörung. | |
| ## En bloc verkauft | |
| Aktuell fürchten unter anderem Gewerbemieter aus der Oranienstraße 199–205 | |
| um ihre Zukunft. Ende vergangenen Jahres wurde diese Häuserzeile en bloc | |
| von der „Deutsche Investment Kapitalverwertungsgesellschaft mbH“ gekauft, | |
| zu der der Immobilienfonds „Deutsche Investment – Wohnen III“ gehört. | |
| Inzwischen haben die meisten Läden der Häuser fristgemäße Kündigungen | |
| bekommen. Das bedeutet, die Mietverhältnisse bleiben für den Rest ihrer | |
| Laufzeit unverändert. Im Anschluss bietet der Eigentümer, so er will, einen | |
| neuen Vertrag zu neuen Konditionen an. | |
| Befürchtet wird, dass einige Mieter die neuen Mieten nicht tragen können | |
| werden. Betroffen ist unter anderem ein Kinderladen, der in der | |
| Öffentlichkeit nicht genannt werden möchte, weil er, wie die Nachbarn | |
| berichten, noch um eine leistbare neue Miete verhandelt. | |
| ## Beispiel „Grüne Papeterie“ | |
| Was eine Gewerbemiete nach einem Verkauf bedeuten kann, lässt sich am | |
| Ladenlokal in der Oranienstraße 196 ablesen. „Grüne Papeterie“ steht auf | |
| dem Ladenschild, und wer eintritt, befindet sich in einer bunten Welt von | |
| bedrucktem Seidenpapier, Geschenkpapierrollen, Schreibblöcken, Heften und | |
| Schulranzen. „Als ich vor 27 Jahren angefangen habe“, erzählt Betreiberin | |
| Alessandra Marchisio, „gab es in der Oranienstraße noch keinen | |
| Schreibwarenladen.“ | |
| Es ist schwer, mit Frau Marchisio an ihrem Verkaufstresen ein | |
| zusammenhängendes Gespräch zu führen, weil dauernd jemand etwas kaufen | |
| will. Aber obwohl das Geschäft gut geht, muss der Laden voraussichtlich | |
| schließen. Nach mehreren Eigentümerwechseln wurde das Haus Anfang des | |
| Jahres von der „DIV 30. Berlin Invest Verwaltungs GmbH und CoKG“ erworben, | |
| deren Geschäftsführung zweifach Personalunionen mit der „Deutschen | |
| Investment Kapitalverwertungsgesellschaft mbH“ aufweist. | |
| Im Sommer erhielt Frau Marchisio eine Kündigung. Jetzt hat sie die | |
| Möglichkeit, nach Ablauf ihres Vertrags im Februar 2019 einer neuen Miete | |
| von rund 40 Euro pro Quadratmeter netto kalt zuzustimmen. „Eine solche | |
| Miete“, meint die Händlerin, „kann man in dieser Straße nur dann | |
| erwirtschaften, wenn man eine Kneipe betreibt. Wir sind zum Spielball in | |
| den Händen von Investoren geworden.“ | |
| Dagegen will sich das Bündnis der Gewerbetreibenden wehren. Nicht ums | |
| Besitzstandwahren der letzten alten Läden und Projekte soll es gehen, | |
| sondern darum, Bedingungen zu schaffen, die Vielfalt, Qualität und Teilhabe | |
| zulassen. „Soziale Projekte, Handwerksbetriebe oder Läden, die Produkte für | |
| den Bedarf der Bewohner anbieten, können geringere Mieten erwirtschaften | |
| als Gastronomen“, erklärt Kisch-&-Co.-Betreiber Thorsten Willenbrock, der | |
| dem Bündnis angehört. „Wenn Entwicklung nur nach dem Gesichtspunkt | |
| höchstmöglicher Renditen passiert, sind solche Nutzungen hier nicht mehr | |
| möglich.“ | |
| Ein erster Schritt, sich zu wehren, ist die Verdunklungsaktion am Mittwoch | |
| (18. Oktober). Das Bündnis will gemeinsam öffentlichen Druck erzeugen. Dazu | |
| will es Forderungen ausarbeiten und auf verschiedenen Ebenen an die Politik | |
| herantreten. | |
| ## Kündigungsschutz muss her | |
| Eine zentrale Forderung ist ein bundesweiter Kündigungsschutz für | |
| Gewerbemieten, differenziert nach Art des Gewerbes und gekoppelt an einen | |
| Index, der mit dem Wohnungsmietspiegel vergleichbar ist. Ob sich so ein | |
| Index am Niveau der durchschnittlichen lokalen Gewerbemieten, der Kaufkraft | |
| im Gebiet oder der Wirtschaftskraft des jeweiligen Gewerbes orientieren | |
| soll, bleibt dabei jedoch noch offen. | |
| Allerdings wird all das ohnehin ein weiter Weg. Denn das Mietrecht ist Teil | |
| des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das bislang für Gewerbemieter keinerlei | |
| Schutz vorsieht (siehe Infokasten). Änderungen können nur auf Bundesebene | |
| durchgesetzt werden, was schwer werden dürfte. Zumal bundesweit der | |
| Verwertungsdruck auf Gewerbeflächen in unterschiedlichen Gebieten höchst | |
| verschieden ist. Eine entsprechende Bundesratsinitiative plant derzeit | |
| Berlins Justizsenator Dirk Behrendt, zusammen mit dem Senat für Wirtschaft. | |
| Konkret ist sie nach Informationen der taz jedoch noch nicht. | |
| Eine weitere Forderung des Bündnisses ist, Milieuschutz und Vorkaufsrechte | |
| auf Gewerbeflächen auszudehnen. Darüber hinaus sollen die Bezirke durch die | |
| Vergabe von Gewerbezulassungen lenkend eingreifen. Vor allem soziale | |
| Projekte gelte es in besonderer Weise zu schützen. | |
| Auch Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, | |
| sieht Handlungsbedarf – hinsichtlich wirksamer Hebel verweist er aber auf | |
| Bundesgesetze. „Paketverkäufe“ wie der der Oranienstraße 199–205 bedeut… | |
| eine ganz neue Qualität. „Wenn sich ganze Straßenzüge in einer Hand | |
| befinden, sehe ich die Struktur der europäischen Stadt gefährdet, wo die | |
| Gestaltungsmacht vieler und nicht die einzelner wirkt.“ | |
| Schmidt unterstützt Forderungen wie die, den Schutz bestimmter Gewerbe in | |
| den Milieuschutz aufzunehmen, weil sie gewachsene soziale Infrastruktur und | |
| Arbeitsplätze bedeuten. Der Milieuschutz allerdings ist im Baugesetzbuch | |
| verankert – und auch hier sind Änderungen nur auf Bundesebene möglich. „I… | |
| hoffe“, sagt Schmidt, „dass es die Bürger schaffen, den öffentlichen Druck | |
| stark genug zu machen, um etwas zu bewegen.“ | |
| ## Genossenschaften gründen | |
| Auch dem Bündnis ist bewusst, dass es nicht damit getan sein wird, in | |
| Kreuzberg Geschäfte zu verdunkeln und Forderungen zu verfassen. Sie sind | |
| dabei, sich mit Initiativen von Gewerbemietern aus anderen Städten wie Köln | |
| und Hamburg zu vernetzen. Denn gerade eine Bundesratsinitiative zum Schutz | |
| von Gewerbemieten hat schlechte Aussichten, wenn sie nicht in mehreren | |
| Bundesländern große Unterstützung bekommt. | |
| Das wirksamste Mittel, Ladennutzungen anhand der Bedürfnisse der | |
| Bevölkerung zu entwickeln, sehen viele Gewerbetreibende der Straße in | |
| Genossenschaftsmodellen. | |
| Auch Frau Marchisio sagt: „Ich glaube, bis Regularien greifen, die | |
| Gewerbemieten schützen, kann das lange dauern. Aber warum hat man uns | |
| Mietern das Haus nicht via Vorkaufsrecht zum Erwerb angeboten?“ Eine | |
| Genossenschaft hätte es zum Verkehrswert kaufen können. „Oder wir hätten | |
| selbst eine Genossenschaft gründen können. Man müsste Verkäufe an | |
| Genossenschaften fördern. Darauf könnten wir langfristig bauen.“ | |
| 17 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Tina Veihelmann | |
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