# taz.de -- Traditionsbar soll schließen: Mäzen killt Kultur | |
> Nicolas Berggruen ist Milliardär und Investor – und lässt sich gern als | |
> Kunstförderer feiern. Aber tut er der Stadt wirklich gut? | |
Bild: Nicolas Berggruen: Was will er in Berlin? | |
Es ist noch nicht rasend lang her, als Nicolas Berggruen einen seiner | |
öffentlichkeitswirksamsten Auftritte in Berlin feiern durfte. Damals war er | |
noch nicht wegen seines Geschäftsgebarens bei Karstadt in die Kritik, er | |
habe, anders als Mitarbeiter und Staat, zu wenig in die Sanierung des | |
Unternehmens investiert. Es war die Zeit, als auch das Künstlerhaus | |
Bethanien wegen des anhaltenden Streits mit den linken Besetzern im alten | |
Diakonissen-Krankenhaus am Kreuzberger Mariannenplatz in die Presse geriet. | |
Der Mietvertrag über 400 Quadratmeter in Berggruens „Lichtfabrik“ in der | |
Kohlfurter Straße, zu dessen Eröffnung Berggruen höchstpersönlich anreiste, | |
erschien den Machern des Künstlerhauses wie ein Notausgang. „Es war eine | |
Win-win-Situation“, erinnert sich Bethanien-Pressesprecherin Christina | |
Sickert heute. „Wir waren gerettet, und Berggruen hatte die Auflage des | |
Landes erfüllt, das Gebäude kulturell zu nutzen.“ | |
Sieben Jahre später sieht die Situation anders aus in Berlin. Es scheint | |
beinahe, als sei Berggruen weniger auf gute Presse angewiesen. Im Juli | |
wurde bekannt, dass die Berggruen Holdings GmbH, in deren operatives | |
Geschäft Berggruen angeblich nicht eingebunden ist, die Willner Brauerei | |
verkauft hat. Künstler und Gastronomen werden sich dank Sanierung ab | |
nächstem Sommer etwas Neues suchen müssen. Und dann die Nachricht im | |
September: Der Kosmetiksalon Babette, eine der letzten Bars auf der | |
Karl-Marx-Allee gleich gegenüber vom Kino International, bekommt den | |
Mietvertrag nicht verlängert. Damit wird die Stadt dank Berggruen 2018 zwei | |
Orte verlieren, die an den selbst gemachten Charme der Neunziger erinnern, | |
wo man sein Bier noch in Jeans und Turnschuhen genießen darf. | |
Milliardär Nicolas Berggruen, geboren 1961, ist der Sohn von Heinz | |
Berggruen, einem der größten Kunstsammler und Mäzene des 20. Jahrhunderts, | |
dessen Berliner Museum der klassischen Moderne zahlreiche Werke umfasst, | |
darunter auch von Pablo Picasso, mit dem er befreundet war. In Interviews | |
lässt sich Berggruen junior am liebsten als Menschenfreund feiern. Gern | |
spricht er von der Relektüre von Marx, Lenin und Trotzki, den „Denkern | |
seiner Jugend“ – und von seiner spektakulären Denkfabrik in den Bergen üb… | |
Los Angeles, die er sich gerade vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de | |
Meuron bauen lässt und wo unter anderem „eine gemeinsame gesellschaftliche | |
Vision“ entwickelt werden soll. Auf der Website seiner Berliner Firma | |
steht: „Immobilien sind für uns mehr als nur ein Investment, Architektur, | |
Ästhetik und Kunst interessieren uns ebenso wie der cashflow.“ | |
Obwohl es heißt, die Berggruen Holdings GmbH stoße nach und nach immer mehr | |
Berliner Immobilien ab, verfügt sie nach wie vor über rund 100 Wohn- und | |
Geschäftshäuser in Berlin, deren Wert auf rund 450 Millionen Euro geschätzt | |
wurde: Darunter die Sarottihöfe, wo unter anderen die Konzertagentur der | |
Fantastischen Vier residiert, die Knorr-Bremse mit Zalando als Hauptmieter | |
– und das Wohn- und Geschäftshaus in der Oranienstraße 25, wo die | |
Buchhandlung Kisch & Co angeblich nur deshalb weiter wenig Miete zahlen | |
darf, weil der neue Mieter, ein niederländisches Brillenlabel, wegen der | |
Proteste von Anwohnern wieder abgesprungen war. | |
Und warum jetzt ausgerechnet die Bar Babette? Darauf gibt die Berggruen | |
Holdings derzeit noch keine Antwort – erst Ende des Jahres will man sich | |
dazu äußern. Maik Schierloh, der die Bar seit 14 Jahren voller Enthusiasmus | |
betreibt und hier auch Ausstellungen, Konzerte und Lesungen organisiert | |
hat, vermutet, man wird den Pavillon dem benachbarten Café Moskau | |
zuschlagen. Dieses hat die Berggruen Holdings GmbH 2007 von der | |
Treuhandliegengesellschaft erworben und dann saniert. Während Anfang der | |
nuller Jahre der WMF Club das Haus zugänglich machte, finden seit der | |
Wiedereröffnung 2011 geschlossene Firmenevents statt. „Oft klopfen Leute | |
bei uns an die Scheibe, weil sie vergebens den Eingang zum Café Moskau | |
suchen“, sagt Schierloh. | |
Der Pavillon, den die Bar noch bis Ende September 2018 bespielt, gehört | |
übrigens zu jenem Stück der Karl-Marx-Allee, der anders als der andere Teil | |
nicht nach dem Vorbild des „sozialistischen Klassizismus“ der Sowjetunion | |
gebaut wurde, sondern für Neues Bauen in der DDR steht: heiter, gelöst und | |
weltoffen. Josef Kaiser ließ nicht nur den Kosmetiksalon Babette und die | |
anderen vier flachen Pavillons bauen, in denen sich unteren der legendäre | |
Treffpunkt Mokka-Milch-Eisbar befand, sondern auch das Café Moskau, das | |
Kino Kosmos, das Kino International. | |
Ironie der Geschichte: Während Berlin noch vor zehn Jahren keine wichtigen | |
Immobilien kaufen konnte, sondern im Gegenteil fast alles verschacherte, um | |
den maroden Haushalt zu sanieren, versucht die Stadt heute, die Verödung | |
der Karl-Marx-Allee wieder aufzuhalten. Gerade lässt sich der Bezirk Mitte | |
ein Entwicklungskonzept für die Karl-Marx-Allee erstellen, das sechs einst | |
geplante, aber nie verwirklichte Pavillons entlang der Allee zwischen | |
Otto-Braun-Straße und Schillingstraße vorsieht. Sie sollen vor allem mit | |
Kunst und Kultur bespielt werden. Vielleicht sollte der Bezirk Nicolas | |
Berggruen fragen, ob er einen der Pavillons mieten mag. Für einen Berliner | |
Ableger seiner Denkfabrik beispielsweise. | |
4 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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