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# taz.de -- Das Bioladensterben: Verwelktes Grün
> Mit ihrem Laden Immergrün leisteten die Murrs Pionierarbeit in Sachen Bio
> in Prenzlauer Berg. Nach 16 Jahren schließt der Laden in der Danziger
> Straße nun.
Bild: Immergrün-Besitzer Dominikus Murr
Von außen wirkt der Bioladen Immergrün in der Danziger Straße in Prenzlauer
Berg klein. Betritt man aber den Laden, steht man in offenen und hellen
Räumen. Durch die zwei großen Schaufenster fällt viel Licht hinein. Ein
enger Gang führt ins Hintere des Geschäfts, in welchem in dunklen
Holzregalen frisches Obst und Gemüse, Brotaufstriche oder ausgewählte Weine
angeboten werden – alles bio natürlich.
Doch viele Bretter entlang der Wände sind leer, es stehen überall halbvolle
Kartons, an der Tür hängt ein Schild: „Liebe Kundinnen und Kunden, euer
Nachbarschaftsbioladen Immergrün schließt am 31. 10. 2017. Vielen Dank für
Eure Unterstützung und Euer Vertrauen in den letzten 16 Jahren. Euer
Bioladen-Team.“
Das Team besteht aus dem Inhaber Dominikus Murr und seiner Frau Farida.
Gemeinsam packen sie gerade alte Zeitungen in Kisten. Das bald Schluss ist,
macht beiden schwer zu schaffen: „In dem Laden steckt so viel Arbeit. Wir
als Familie haben wirklich alles für das Geschäft gegeben, 16 Jahre lang
keinen Urlaub gemacht“, sagt Dominikus Murr.
Den endgültigen Ausschlag für die Schließung hat der Verkauf des Hauses, in
dem sich der Laden befindet, an die Deutsche Wohnen im Frühjahr 2017
gegeben. Gemeinsam mit den anderen BewohnerInnen haben die Murrs dafür
gekämpft, einen Verkauf an die Immobiliengesellschaft zu verhindern. Da das
Gebäude im Milieuschutzgebiet Helmholtzplatz steht, hatte der Bezirk Pankow
Vorkaufsrecht.
## Deutsche Wohnen neue Eigentümerin
Einen Immobilienwert von rund sechs Millionen ergaben zwei Gutachten. Das
konnten weder der Bezirk noch mögliche Drittkäufer stemmen, obwohl sich
viele Lokalpolitiker für einen Verkauf an eine Wohnungsbaugesellschaft oder
Genossenschaft stark gemacht hatten. „Tja, und die Deutsche Wohnen hat rund
sechs Millionen Euro geboten – ein reiner Spekulationspreis, aber die haben
den Zuschlag bekommen“, fasst Murr das Ende des Verkaufsverfahrens aus
seiner Sicht mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme zusammen.
Nachdem so Klarheit herrschte, kündigten die Murrs den Mietvertrag für ihr
Geschäft, der noch eineinhalb Jahre laufen würde, von sich aus zum 1.
November. „Danach kann die Deutsche Wohnen die Konditionen neu festsetzen“,
erklärt Murr. Auf eine eventuelle Mieterhöhung, wie es schon vielen
LadenbesitzerInnen in der Nachbarschaft in ähnlichen Fällen passierte,
wollten die Murrs es nicht ankommen lassen.
Der Verkauf des Hauses, das war aber nur der letzte Tropfen, der das Fass
zum Überlaufen brachte. Zu kämpfen hatte die Familie bereits in den Jahren
davor. Läuft man vom U-Bahnhof Eberswalder Straße die Danziger Straße
hinunter, kommt man innerhalb von etwa einem Kilometer an zwei Filialen
einer großen Biosupermarktkette vorbei. Das Geschäft der Murrs wird von
diesen eingerahmt. „Die großen Ketten haben den Markt erobert, und für
kleine, ursprüngliche Bioläden ist kein Platz mehr.“ Dominikus Murr
schüttelt den Kopf und schiebt resigniert hinterher: „Gegen solche Riesen
kommen die Kleinen, wenn sie ehrlich arbeiten, nicht an.“
In von der grünen Mittelschicht eroberten Prenzlauer Berg ist zwar die
Nachfrage nach Bioprodukten sehr hoch. Profitieren konnten die Murrs aber
davon nicht. Farida Murr fasst es so zusammen: „Wenn die Anwohner und
Kunden etwas bewusster einkaufen würden, hätten wir vielleicht eine Chance
gehabt.“
Als sie Anfang der 2000er ihren Laden eröffneten, waren die Murrs einer der
ersten Bioanbieter im Kiez. „Es gab noch ein oder zwei andere Läden wie
unseren“, erzählt Murr, während er ein paar Fugen im Boden zuklebt. „Aber
die sind inzwischen verschwunden, genau wie die meisten unserer
Stammkunden.“
## Konkurrenz Biosupermärkte
Der Mittfünfziger war mit deutschen Eltern in Venezuela aufgewachsen, seine
Frau stammt aus Afghanistan. Ab Mitte der achtziger Jahre fingen sie an,
sich intensiver mit dem Thema Bio auseinanderzusetzen und schließlich auch
ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zunächst verkauften sie für regionale
Anbieter auf Märkten, nach der Wende vor allem in Ostberlin. Als sich dann
die Chance in der Danziger Straße bot, mit einem eigenen Bioladen
selbstständig zu werden, griffen sie zu – und bauten sich schnell einen
Kreis von StammkundInnen auf, die regelmäßig zum Einkaufen kamen.
Dieser Kreis aber wurde in den letzten Jahren immer kleiner und die neuen
BewohnerInnen im Kiez gingen in die neuen, größeren Biosupermärkte. Ob es
an der dort gegebenen Anonymität liegt, wie Dominikus Murr vermutet, oder
daran, dass manche Produkte dort etwas billiger sind, kann am Ende niemand
sagen. Dem kleinen Familienbetrieb jedenfalls brach immer mehr der Umsatz
weg.
Jetzt versuchen die Murrs, noch so viel wie möglich zu verkaufen. Behalten
wollen sie vom Inventar fast nichts, außer etwa die Kaffeemaschine. „Die
war sehr teuer“, sagt Murr, und sein Sohn, der gerade eine Kiste nach
draußen trägt, ergänzt: „Und außerdem macht sie den besten Kaffee.“
Der Danziger Straße 55 wird das Ehepaar Murr dennoch erhalten bleiben – sie
wohnen nämlich über dem Laden auch in dem Haus. Die Deutsche Wohnen hat
sich mit einer sogenannten Abwendungsvereinbarung verpflichtet, kein
Mietverhältnis wegen Eigenbedarf zu kündigen.
Wie es beruflich für sie weitergeht, wissen die beiden noch nicht. „Viele
langjährige Kunden fragen, ob wir woanders einen Laden aufmachen, und
wollen uns unterstützen“, sagt Dominikus Murr und dabei schwingt auch Stolz
in der Stimme mit. Aber ein reiner Verkaufsladen soll es nicht mehr werden.
„Wir wollen auf jeden Fall im Biobereich bleiben. Aber es geht eher in
Richtung Feinkost oder Gastronomie.“
30 Oct 2017
## AUTOREN
Sophie-Isabel Gunderlach
## TAGS
Verdrängung
Gentrifizierung
Bio-Lebensmittel
Florian Schmidt
Kreuzberg
Wahlkampf
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