| # taz.de -- Gutachter über „Amoklauf“ in München: „Er war stolz, ein �… | |
| > Der Politologe Florian Hartleb stuft den „Amoklauf“ von München als | |
| > rechtsterroristischen Anschlag ein. Die Ermittler hätten die Tat | |
| > verharmlost. | |
| Bild: „Die ganze Tat nur mit Mobbing zu begründen, ist eine einseitige Veren… | |
| taz: Herr Hartleb, der Amoklauf von David S. vor anderthalb Jahren wird von | |
| den bayrischen Behörden als Racheakt eines Gemobbten eingestuft. [1][Sie | |
| kommen nun in Ihrem Gutachten zu dem Schluss: Es war Rechtsterrorismus.] | |
| Warum? | |
| Florian Hartleb: Der Fall wurde bisher völlig einseitig als Amoklauf | |
| eingestuft. Ich habe Tausende Seiten Ermittlungsakten studiert und | |
| festgestellt: Merkmale eines Terrorismus wurden offenbar gar nicht geprüft. | |
| Dabei liegen sie zuhauf vor. | |
| Zum Beispiel? | |
| David S. hatte ein festes rechtsextremistisches Weltbild und war stolz, | |
| ein „Arier“ zu sein. Er war getrieben von einem Hass auf Türken, Albaner | |
| und Bosnier. Über sie sprach er von Untermenschen, er wollte sie | |
| auslöschen. Er berief sich auf den norwegischen Rechtsterroristen Anders | |
| Breivik. Er schrieb ein Bekennerschreiben und fantasierte von einem | |
| Anschlagsteam. Und auch seine Opferauswahl erfolgte ideologisch: Alle | |
| Getöteten waren Migranten. Für mich ist David S. ein Rechtsterrorist im | |
| Sinne eines „einsamen Wolfes“. | |
| Was bedeutet das? | |
| Es ist das Konzept eines Einzeltäters, der aus politischer Überzeugung | |
| Terror ausübt, ohne in einer Gruppe eingebunden zu sein. Der ursprüngliche | |
| Antrieb liegt dabei oft in persönlichen Kränkungen – wie bei David S. auch. | |
| Nur ist die Tat eben kein reiner Willkürakt wie ein Amoklauf, sondern der | |
| Täter will in der Öffentlichkeit politisch etwas bewirken. Im Fall von | |
| David S. sollte es ein Zeichen gegen eine vermeintliche Überfremdung sein. | |
| Zudem hatte er einen Erlöseranspruch. | |
| Die Ermittler führen den Hass von David S. auf Migranten darauf zurück, | |
| dass er in der Schule gemobbt wurde … | |
| Das halte ich für falsch. Ja, es gab Mobbing – aber nur an einer Schule. | |
| Und David S. war selbst aggressiv gegenüber Mitschülern. Er war auch | |
| integriert. Auf seinem Handy fanden sich zahlreiche Kontakte, einmal war er | |
| Klassensprecher. Die ganze Tat nur mit Mobbing zu begründen, ist eine | |
| einseitige Verengung. Das rechtsextremistische Weltbild geht in der | |
| Fallanalyse der Ermittler völlig unter. | |
| Die Sicherheitsbehörden wenden ein, dass David S. in keine rechte Gruppe | |
| eingebunden war. Ist das nicht wichtig? | |
| Das ist ein antiquiertes Verständnis. Es braucht keinen NPD-Ausweis mehr, | |
| wenn Radikalisierung im virtuellen Raum stattfindet. Deshalb ist es | |
| überhaupt kein Kriterium, dass David S. nicht in rechtsextreme Strukturen | |
| eingebunden war. Er liebäugelte nachweislich sogar mit der AfD. Und im | |
| Darknet fand er einen Gesinnungsgenossen: den ebenfalls rechtsextremen | |
| Waffenverkäufer. | |
| Sie vergleichen den Fall mit Anders Breivik, der in Norwegen 77 Menschen | |
| tötete, und nennen David S. einen „Nachahmer“. Kann man beide Attentäter | |
| wirklich vergleichen? | |
| Ja, das kann man. Es gibt erstaunliche Parallelen. Beide Taten waren lange | |
| geplant, im Fall von David S. mehr als ein Jahr im Voraus. Beide Täter | |
| hatten eine Tendenz zum Autismus und ein rassistisches Weltbild, beide | |
| bezeichneten sich als „Erlöser“. Und beide Attentate richteten sich gegen | |
| politische Feindgruppen und jeweils Jugendliche. Es ist doch kein Zufall, | |
| dass David S. seine Tat genau fünf Jahre nach dem Attentat von Breivik | |
| beging. | |
| Das Bekennerschreiben von David S. ist allerdings deutlich unklarer und | |
| kürzer als das von Breivik, oder nicht? | |
| Nun ja, der Titel lautet: „Ich werde jetzt jeden Deutschen Türken | |
| auslöschen egal wer“. Das erscheint mir schon einigermaßen klar. Und wie | |
| lang muss ein Bekennerschreiben sein? Die des NSU oder der RAF waren teils | |
| auch nur knappe Verlautbarungen. Und man darf nicht vergessen: David S. ist | |
| sehr professionell vorgegangen. | |
| Was meinen Sie mit: professionelles Vorgehen? | |
| David S. hat sich erfolgreich im Darknet eine Pistole besorgt, er hat im | |
| heimischen Keller Schießtrainings absolviert. Und er hat vor der Tat | |
| perfide mit einem Facebookaccount versucht, Opfer zum Tatort zu locken. | |
| Diese akribische Vorbereitung wird in der Fallanalyse nicht ernst genommen. | |
| David S. war keineswegs jenseits aller Rationalität. Kurz vor der Tat hatte | |
| er seinen Führerschein bestanden. Am Tattag selbst hat er noch, wie immer, | |
| Zeitungen ausgetragen. Das spricht nicht für eine Wahntat. David S. war bis | |
| zum Schluss bei vollem Verstand. | |
| David S. hatte selbst einen Migrationshintergrund, er war Sohn iranischer | |
| Eltern. Fällt die Einordnung seiner Tat als rechtsterroristischen Anschlag | |
| deshalb so schwer? | |
| Da kann ich nur mutmaßen. Natürlich haben wir hier keinen klassischen Fall | |
| von Rechtsterrorismus. Aber es gibt eben keine Schablone für Extremismus. | |
| Auch Migranten können Migranten hassen, wie wir etwa von islamistischen | |
| Extremisten wissen. Und dort erkennt man ja auch sehr schnell auf | |
| Terrorismus, auch bei Einzeltätern. Da reicht manchmal schon ein Fähnchen | |
| am Rucksack. Beim Rechtsterrorismus aber tut man sich merkwürdig schwer. | |
| Warum sperrt man sich so, ein politisches Motiv für die Münchner Tat | |
| anzuerkennen? | |
| Der Verfassungsschutz antwortete mir auf eine Anfrage, dass man das Konzept | |
| des „einsamen Wolfes“ nicht anerkenne, schon um eine Glorifizierung der | |
| Taten zu verhindern. Unter den Ermittlern herrscht immer noch das Bild vom | |
| Terrorismus als Gruppenphänomen vor. Aber das ist eben überholt. | |
| Was bedeutet die bisherige Einstufung des Anschlags als „unpolitische Tat“? | |
| Es ist letztlich eine Verharmlosung der Tat. Es ist natürlich einfacher zu | |
| sagen, da hat ein psychisch Gestörter gehandelt, als ein Rechtsterrorist. | |
| Aber das trifft eben nicht zu, es ist nur ein Teil der Wahrheit. Bisher | |
| taucht die Tat in keiner Statistik für politisch motivierte Straftaten auf, | |
| das muss sich ändern. Und für die Erinnerungskultur ist es zentral zu | |
| wissen, warum es zu dieser schrecklichen Tat gekommen ist. Die Stadt | |
| München hat ja hier mit dem Oktoberfestattentat, das anfangs als | |
| unpolitisch eingestuft wurde, schon einmal eine Fehleinschätzung begangen. | |
| Das sollte nicht noch einmal passieren. | |
| 6 Oct 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Amoklauf-in-Muenchen-2016/!5452400 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| ## TAGS | |
| Terrorismus | |
| Amoklauf | |
| München | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Rechtsterrorismus | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Rechtsextremismus | |
| Anders Breivik | |
| Amoklauf | |
| Amoklauf | |
| Amoklauf | |
| München | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Prozess zum Amoklauf in München: Sieben Jahre Haft für Waffenhändler | |
| Das Gericht hat den Mann, der dem Amokläufer von München die Mordwaffe | |
| verkaufte, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. | |
| Debatte Rechter Terror in München: Rassismus in Reinform | |
| Persönliche und politische Motive schließen einander nicht aus. Ob das | |
| Attentat als rechtsextremistisch gilt, ist keine sprachliche Kleinkrämerei. | |
| Gutachten zum „Amoklauf“ in München: Staatsanwaltschaft stellt sich taub | |
| Für die Gutachter war der angebliche „Amoklauf“ ein rechtsextremes | |
| Hassverbrechen. Die Anklagebehörde widerspricht diesem Befund. | |
| Amoklauf in München 2016: Breivik-Fan war selbst Rechtsterrorist | |
| Politiker fordern eine Neubewertung des „Amoklaufs“ von München – als | |
| rechtes Attentat. Drei Gutachter kamen zu dem gleichen Schluss. | |
| Gutachten zum Amoklauf von München: Doch eine terroristische Tat? | |
| Der Amoklauf von München gilt den Ermittlern bis heute als Racheakt eines | |
| Gemobbten. Nun widersprechen drei Gutachter: Das Motiv war politisch. | |
| Münchner Amoklauf: Ermittler chatteten mit Attentäter | |
| Die Beamten unterhielten sich schon ein Jahr vor der Tat mit dem Attentäter | |
| über ein gekapertes Darknetprofil. Den Amoklauf verhinderte es nicht. | |
| Prozess nach Amoklauf in München: Der Waffenhändler des Schützen | |
| Philipp K. steht vor Gericht. Er hat dem Amokläufer die Waffe verkauft, mit | |
| der er neun Menschen und dann sich selbst erschoss. | |
| Prozess zum Amoklauf in München: 450 Schuss Munition | |
| Ab Montag steht Philipp K. vor Gericht: Er soll die Waffe verkauft haben, | |
| mit der David Sonboly neun Menschen erschoss. Wusste er von den Plänen? | |
| Doku über Münchner Amoklauf am OEZ: Bitte weinen für die Kamera | |
| Eine ZDF-Doku trifft ein Jahr nach dem Amoklauf auf die Angehörigen der | |
| Opfer. Heraus kam reißerischer Voyeurismus. | |
| Ermittlungen gegen Amokläufer David S.: „Türken auslöschen.docx“ | |
| Er malte Hakenkreuze und sprach von „ausländischen Untermenschen“. Trieben | |
| den Amokläufer von München tatsächlich nur persönliche Motive? |