# taz.de -- Debatte Rechter Terror in München: Rassismus in Reinform | |
> Persönliche und politische Motive schließen einander nicht aus. Ob das | |
> Attentat als rechtsextremistisch gilt, ist keine sprachliche | |
> Kleinkrämerei. | |
Bild: Tatort Oympia-Einkaufszentrum in München: Trauer und Fragen, die bleiben | |
Es ist eine absurde Streitfrage: Wenn jemand geplant neun Menschen | |
erschießt und die Opfer allesamt aus Einwandererfamilien stammen, wenn der | |
Täter stolz darauf ist, am gleichen Tag wie Adolf Hitler Geburtstag zu | |
haben, und in einem Manifest von „ausländischen Untermenschen“ schreibt, | |
die er exekutieren wolle – ist es dann folgerichtig, von einem rechten | |
Anschlag zu sprechen? | |
Nein, lautet die offizielle Haltung der Bayerischen Staatsregierung zum | |
Fall David S., auf den all das oben Geschriebene zutrifft. Sie wertet den | |
Fall als unpolitischen Amoklauf, die Rache eines gemobbten Schülers. Zur | |
Erinnerung: Der 18-jährige David S. hatte am 22. Juli 2016 am Münchner | |
Olympia-Einkaufszentrum zunächst neun Menschen und dann sich selbst | |
erschossen. Die Opfer soll er als „Kanaken“ beschimpft haben. Genau fünf | |
Jahre vorher ermordete der Rechtsextremist Anders Breivik in Oslo und auf | |
der Insel Utøya 77 Menschen. David S. verehrte Breivik. | |
All diese Informationen sind nicht neu. Neu ist nur ein von der Stadt | |
München angefordertes Gutachten, das zu dem Ergebnis kommt, die Tat sei als | |
rechte Gewalttat einzustufen. Einer der drei Gutachter spricht gar von | |
Rechtsterrorismus. Nun haben die bayrischen Ermittlungsbehörden nie | |
bestritten, dass David S. rechtsradikales Gedankengut pflegte. Sie | |
argumentieren und gewichten nur anders: Der Täter war nicht in | |
rechtsextreme Kreise eingebunden; er war psychisch krank, wurde in der | |
Schule gemobbt, sein Hauptmotiv sei Rache gewesen. Die Tat sei also vor | |
allem persönlich, nicht politisch motiviert. | |
Bei der Streitfrage „Amokläufer oder rechter Attentäter?“ geht es aber um | |
viel mehr als nur Nuancen der Kriminalstatistik. Zu erheben, wie viele | |
Menschen durch rechte Gewalt sterben, ist notwendig, um die Gefahr des | |
Rechtsextremismus benennen und bewerten zu können. Und die Familien der | |
Opfer haben ein Recht auf Klarheit. | |
Zudem fand das Attentat nicht irgendwo statt, sondern in München. Der Stadt | |
also, wo der NSU zwei seiner neun Morde an Migranten begangen haben soll. | |
Dort, wo derzeit auch der NSU-Prozess verhandelt wird; wo ein Neonazi beim | |
Oktoberfest 1980 13 Menschen tötete. Sowohl bei der NSU-Mordserie als auch | |
beim Oktoberfestattentat haben die bayrischen Ermittlungsbehörden vor allem | |
eins bewiesen: dass es eine gewisse Tradition bei der Verdrängung von | |
rechter Gewalt gibt. | |
## Gefährliche Verharmlosung | |
Ob die Bayerische Staatsregierung das Attentat von David S. offiziell als | |
rechten Terrorakt wertet oder nicht, ist deshalb keine sprachliche | |
Kleinkrämerei. Es ist wichtig für das politische Klima des gesamten Landes: | |
Eine rechtsextreme Partei hat es gerade in den Bundestag geschafft, und | |
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer spricht davon, wieder die rechte | |
Flanke schließen zu wollen. Die Bewertung dieses Falles hat auch eine | |
gewisse Symbolkraft: Wollen wir in diesem Land ausgerechnet zu diesem | |
Zeitpunkt Rechtsextremismus verharmlosen? | |
Zugegeben, der Fall von David S. ist schwierig, weil er sich den gängigen | |
Kategorisierungen entzieht. Das irritierendste Moment ist die | |
Familiengeschichte des Täters – die in den Medien erstaunlicherweise nicht | |
so stark thematisiert wurde. Die Eltern von S. kamen in den 1990er Jahren | |
aus dem Iran als Flüchtlinge nach Deutschland. David S. hatte also einen | |
sogenannten Migrationshintergrund, so wie all jene, die er erschossen hat. | |
S. hat aufgrund seines Aussehens mit Gewissheit selbst Rassismus erlebt. | |
Das schützt grundsätzlich niemanden davor, selbst ein menschenfeindliches | |
Weltbild zu entwickeln und andere abzuwerten. Denn rassistische Strukturen | |
verinnerlichen und reproduzieren kann jeder. Und trotzdem ist der familiäre | |
Background in diesem Fall nicht irrelevant. Als Sohn von Iranern sah sich | |
S. selbst als „Arier“. Laut Zeugenaussagen rief er während des Attentats: | |
„Ich bin kein Kanake, ich bin Deutscher.“ Es ist eine Aussage, die nur | |
jemand treffen kann, dem sein Deutschsein schon mal abgesprochen wurde. | |
David S. war nicht weiß. | |
Dass eine Zeugin meinte, „Allahu Akbar“-Rufe von S. vernommen zu haben, war | |
sicher kein Zufall. Er passte nur zu gut ins Klischee eines Islamisten: | |
männlich, jung, dunklerer Hautton, dunkle Haare. Der Anschlag in Nizza am | |
14. Juli 2016 und der Axtangriff eines Geflüchteten im Regionalzug bei | |
Würzburg am 18. Juli 2016 lagen nur Tage zurück. Islamistischer Terror | |
erschien im Juli 2016 vielleicht einfach wahrscheinlicher als rechter | |
Terror. | |
## Kein islamistischer Hintergrund | |
Als ein islamistischer Hintergrund ausgeschlossen wurde, verebbten die | |
Diskussionen über den Täter vergleichsweise schnell. Der Fall wurde als | |
„Amoklauf in München“ abgehakt. Angenommen, ein weißer Täter hätte neun | |
Menschen mit Migrationshintergrund erschossen und in einem Manifest von | |
„ausländischen Untermenschen“ geschrieben – wäre es bei diesem | |
Kenntnisstand ohne Aufschrei durchsetzbar gewesen, den Fall als | |
„unpolitischen Amoklauf“ einzustufen? | |
Attentäter können schwierige Biografien haben. Und es kann sein, dass die | |
Mobbingerfahrung von S. auch ein Tatmotiv war. Aber politische und | |
persönliche Motive müssen sich nicht ausschließen. David S. war | |
rechtsradikal. Das zeigt sich vor allem in der Wahl seiner Opfer. Er tötete | |
ja nicht diejenigen, die ihn in der Schule gemobbt hatten, sondern Fremde, | |
denen er aufgrund ähnlichen Aussehens die gleichen Eigenschaften zuschrieb | |
wie seinen Peinigern. | |
Das ist Rassismus in Reinform. Und vielleicht erzählt dieser Fall in all | |
seiner Widersprüchlichkeit auch etwas über Integration in Deutschland. | |
Jedenfalls scheint S. mit Blick auf die Bundestagswahl und den Erfolg der | |
AfD mit seinem Hass auf „Kanaken“ nicht allein zu sein. S. war, auch wenn | |
es zynisch klingt, so gesehen bestens integriert. Er fand im Darknet auch | |
einen rechtsextremen Waffenhändler. | |
Dass Politiker verschiedener Parteien nun offiziell eine Neubewertung des | |
Falles fordern, ist richtig. Denn wer diese Tat als Einzeltat eines | |
psychisch Kranken abhakt, lässt auch die Frage unbeantwortet: Warum | |
verfängt in diesem Land rechtsextremes Gedankengut so leicht? | |
10 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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