# taz.de -- Amoklauf in München 2016: Breivik-Fan war selbst Rechtsterrorist | |
> Politiker fordern eine Neubewertung des „Amoklaufs“ von München – als | |
> rechtes Attentat. Drei Gutachter kamen zu dem gleichen Schluss. | |
Bild: Bilder und Blumen erinnerten im Juli 2017 an die neun Opfer vom Olympia-E… | |
BERLIN taz | Mehrere Politiker fordern eine Neubewertung des angeblichen | |
„Amoklaufs“ von München. „Die Staatsregierung in Bayern muss das Attentat | |
jetzt als politisch rechts motiviert anerkennen und ihre bisherige | |
Auffassung revidieren“, sagte die Linken-Innenexpertin Martina Renner, am | |
Mittwoch der taz. Auch die bayrische Grünen-Fraktionschefin Katharina | |
Schulze nennt eine Neubewertung „unausweichlich“. | |
Am Freitag werden drei Gutachten vorgestellt, welche die Stadt München in | |
Auftrag gegeben hat. Wie vorab publik wurde, stufen alle Experten – der | |
bayrische Politologe Florian Hartleb, der Thüringer Soziologe Matthias | |
Quendt und der Berliner Politikprofessor Christoph Kopke – die Tat als | |
politisch motiviert ein. Die Ermittlungsbehörden und das bayrische | |
Innenministerium sehen das anders. Auch die Münchner Staatsanwaltschaft | |
möchte das Attentat nicht als ausschließlich rechtsextrem motiviert sehen. | |
Der 18-jährige Deutschiraner David S. hatte am 22. Juli 2016 in München | |
neun Menschen erschossen, am Ende sich selbst. Alle Opfer waren Migranten. | |
Für die Polizei und Bayerns Landesregierung handelte David S. aus Rache für | |
ein zu Schulzeiten erlittenes Mobbing. Nur dadurch habe S. einen Hass auf | |
Türken und Albaner entwickelt, den er am Ende auf eine gesamte | |
Personengruppe übertragen habe. Eine „Verinnerlichung“ einer | |
extremistischen Ideologie habe jedoch „bis zum Zeitpunkt seines Todes nicht | |
stattgefunden“, behauptet der bayerische Verfassungsschutz. | |
## Gutachter widersprechen den Behörden | |
Dem widersprechen die drei Gutachter: Die Tat sei politisch motiviert. Die | |
Experten verweisen auf rechtsextreme Äußerungen des 18-Jährigen. Auch habe | |
sich dieser nicht direkt an seinen Mobbern oder seiner Schule gerächt, | |
sondern unabhängig davon Migranten ermordet. Die Experten widersprechen | |
auch dem Einwand der Ermittler, David S. sei ja nicht in rechtsextreme | |
Organisationen eingebunden gewesen: Dies sei für eine extremistische | |
Radikalisierung gar nicht nötig. Vielmehr erfülle die Tat alle Kriterien | |
der polizeilichen Definition für rechte Straftaten. Der Politologe Hartleb | |
spricht auch von Rechtsterrorismus, im Sinne eines „Einsamer | |
Wolf“-Konzepts. | |
Schon früh gab es Zweifel an der reinen Mobbingthese der Ermittler. David | |
S. sagte vor seiner Tat von sich, er sei als Deutschiraner stolz, ein | |
„Arier“ zu sein. Zeugen erinnerten sich an seine Flüche über „Kanacken�… | |
einer Psychotherapie fiel er mit „Sieg Heil“-Rufen auf. In einem | |
selbstverfassten „Manifest“ beschrieb er Migranten als „Virus“ und | |
„ausländische Untermenschen“, die er exekutieren werde. Und er verehrte den | |
norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik, der 2011 77 Menschen | |
erschoss. Seine Tat verübte David S. auf den Tag genau fünf Jahre nach | |
dessen Attentat: sicher kein zufälliges Datum. | |
„Ich habe von Anfang an nicht verstanden, warum ein rassistisches Motiv so | |
schnell ausgeschlossen wurde“, sagt die Linken-Politikerin Petra Pau. „Es | |
gehörte zu den Empfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses, dass | |
jede solche Straftat auf ein rassistisches Motiv hin untersucht werden | |
muss. Ich freue mich, dass das jetzt nachträglich geschehen ist, und hoffe, | |
dass es Konsequenzen gibt.“Pau war Obfrau der Linken in beiden | |
NSU-Untersuchungsausschüssen des Bundestages. „Ein rechtsextremes Motiv | |
darf künftig nicht wieder so schnell ausgeschlossen werden“, fordert sie. | |
Eine Neubewertung der Tat wäre „ein wichtiges Signal“, fügt ihre | |
Parteikollegin Martina Renner zu. „Das hieße, die akute Gefahr durch | |
rechten Terror nicht weiter zu negieren.“ | |
## Bayern hält an „Mobbing“-These fest | |
„Selbst nachdem drei unabhängige, wissenschaftliche Gutachter die Tat als | |
rechtsextrem motiviert bewertet haben, blenden die Behörden die | |
schwerwiegenden Indizien weiterhin aus“, kritisiert die | |
Rechtsextremismus-Expertin der Grünen, Monika Lazar. „Offenkundig haben die | |
Sicherheitsbehörden trotz eindeutiger Hinweise auch in Bayern Probleme, | |
rechtsextreme Tathintergründe zu erkennen.“ | |
Für die bayrische Grüne Katharina Schulze fügt „die beharrliche Weigerung | |
des CSU-Innenministeriums, diese grausame, fremdenfeindliche Tat auch als | |
rassistischen Terror einzustufen, den Angehörigen der Opfer eine zweite, | |
tiefe Wunde zu“. Eine korrekte Einordnung der Tat sei wichtig, um richtige | |
Präventionsstrategien zu entwickeln. | |
Yavuz Narin, Anwalt mehrerer Opferfamilien des Attentats, bezeichnete eine | |
Neubewertung der Tat als „überfällig“. „Das politische Tatmotiv war sch… | |
vor einem Jahr klar. Auch die Familien hatten das immer angenommen.“ Viele | |
Polizisten hätten in dem Fall durchaus engagiert ermittelt, so Narin. „Nur | |
in der Bewertung fehlt der letzte Schritt.“ | |
## Amadeu-Antonio-Stiftung nimmt Opfer in seine Liste auf | |
Die Amadeu-Antonio-Stiftung begrüßte die neuen Gutachten zum angeblichen | |
Amoklauf. „Wir fühlen uns dadurch bestätigt und würden auch dem | |
Innenministerium und den bayrischen Behörden empfehlen, den Fall neu zu | |
bewerten“, sagte Maximilian Kirstein von der Stiftung der taz. „Wir haben | |
die Namen der Opfer von München in unsere Liste der Opfer rechter Gewalt | |
seit der Wiedervereinigung aufgenommen. Damit zählen wir nun 188 Todesopfer | |
rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung.“ | |
Kirstein kritisierte auch die Kriterien für die Erfassung von politisch | |
motivierter Kriminalität (PMK): „Die Polizei unterscheidet nach politischem | |
oder persönlichem Tatmotiv“. Islamistisch motiverte Anschläge würden meist | |
relativ schnell als solche eingestuft, bei rechtem Terror dauere das | |
manchmal etwas länger. „Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass sich | |
politische und persönliche Motive nicht ausschließen müssen, so wie es bei | |
der Tat in München wohl der Fall war“, sagt Kirstein. Grüne und Linkspartei | |
fordern schon lange, die Erfassungskriterien für politisch motivierte | |
Gewalt entsprechend zu überarbeiten. | |
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte bei der Gedenkfeuer | |
zum ersten Jahrestag des „Amoklaufs“ im Juli angedeutet, dass er ein | |
politisches Motiv für möglich hält. Die Ermittler und das | |
CSU-Innenministerium dagegen wollen bis heute kein rassistisches Motiv | |
erkennen. Die Bundesregierung drückt sich um eine eigene Bewertung herum. | |
Die Einordnung des Falls sei allein Sache der zuständigen | |
Polizeidienststelle, antwortete das Bundesinnenministerium zuletzt auf eine | |
Linken-Anfrage. | |
5 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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