# taz.de -- Kolumne German Angst: Gegen die freiwillige Infantilisierung | |
> Der Wahlkampf war: reaktionär, stereotyp, populistisch, verwirrend. | |
> Politisch war er nicht. Zeit, wieder auf Konfrontation zu gehen. | |
Bild: Gut, dass die Bilder aus Finsterwalde gezeigt wurden. Denn so sieht die R… | |
Die Bundestagswahl ist vorbei. Wir können also wieder über Politik reden. | |
Über das Grundsätzliche. Über Ungleichheit, Arbeits- und Wohnverhältnisse, | |
Erwerbs- und Reproduktionsarbeit, Bildung, Europa und die Welt. Die | |
Verteilung von Ressourcen, Macht und Privilegien. Es ist banal, aber unsere | |
kleine Welt ist doch so komplex, dass wir sie nur in Worte fassen können, | |
wenn wir ökonomische, politische und kulturelle Fragen verknüpfen. | |
Aber es wird ganz anders gesprochen. Soziale Ungleichheit heißt im Großen | |
Flüchtlingskrise und im Kleinen Sozialmissbrauch. Die Verunmöglichung der | |
Emanzipation Gender-Irrsinn oder Integrationsverweigerung. Systematische | |
Diskriminierung nennt man individuelles Problem. Dieses Herausbrechen von | |
Versatzstücken – „Stellvertreter-“ oder „Sündenbockdebatte“ hieß d… | |
bestimmte den Wahlkampf. Und sie bestimmt den ganzen gesellschaftlichen | |
Diskurs. Das ist viel: reaktionär, stereotyp, populistisch, rechts, | |
verwirrend. Politisch aber ist es nicht. | |
„Politische Verantwortung ist nicht nur eine Last, sondern auch ein großer | |
Luxus“, sagte jüngst der ukrainische Autor Serghi Zhadan. Nur muss man die | |
Verantwortung auch annehmen: sich auseinanderzusetzen, Haltung beziehen, | |
Alternativen entwickeln. Es ist schockierend, dass es ausgerechnet die AfD | |
ist, die auch einige richtige Fragen stellt. Ihre Antworten, die sind | |
falsch. Darum aber die Fragen nicht zu stellen – das ist eine Kapitulation | |
der Politik. Appeasement. Mit der Übernahme der rechten Positionen zu | |
versuchen, den Unmut zu befrieden. Die Sehnsucht nach Einigkeit ist der | |
Verzicht auf eine Stimme. | |
Dieser Verzicht ist längst normal. Man kann sich damit brüsten. [1][Jener | |
offene Brief, in dem Jana Hensel] der Kanzlerin vorwarf, ihr Publikum in | |
eine unangenehme Lage gebracht zu haben, statt gegen (rechte) Störer in | |
Finsterwalde durchzugreifen, wurde tausendfach verbreitet. Viel ist an ihm | |
symptomatisch. Dafür, wie so getan wird, als wäre dieses hässliche Gesicht | |
der Rechten und aus-dem-Bauch-heraus-Empörten eine Randerscheinung und | |
nicht längst ein Phänomen der Mitte. Dafür, wie Verantwortung als | |
Beschwerde an die Obrigkeit abgegeben und die eigene Stimme weitergereicht | |
wird. Wo verschiedene Interessen aufeinandertreffen, lernt man eigentlich | |
als erstes „Ich“ zu sagen und so einen Standpunkt einzunehmen. Aber der | |
Brief verzichtet auf das Ich, versteckt hinter einem unmündigen Kind. Eine | |
symbolische Infantilisierung der Politik. | |
Gut, dass die Bilder aus Finsterwalde gezeigt wurden. Denn so sieht die | |
Realität aus. Eine, die entstanden ist, weil sich der Staat und wir uns | |
nicht politisch auseinandergesetzt haben. Weil viel zu viele auf Floskeln | |
eingegangen sind, statt auf Konfrontation zu gehen. Gut, dass „wir“ in | |
Finsterwalde nicht aus dieser unangenehmen Situation erlöst und mit der | |
Realität versöhnt hat. Spaltung ist eine Voraussetzung für | |
gesellschaftliche Bewegung und Politik. Denn es gibt und gab sie nicht, | |
diese schöne Zeit der Einigkeit. Also? Müssen wir lernen, diese Realität | |
auszuhalten – und in der Konsequenz zu bekämpfen. Das ist nicht bequem. | |
Aber so ist es. Demokratie kommt mit einer Verantwortung. Take it or leave | |
it. | |
26 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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