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# taz.de -- Bundestagswahlkampf in der Kommune: Stadt, Land, Schluss
> Womit die Bundesparteien werben, ist den Kommunen unwichtig. Ein linker
> Bürgermeister in Sachsen zieht dem Mindestlohn schnelles Internet vor.
Bild: Was den Kommunen fehlt: schnelles Internet. Dafür muss Breitband verlegt…
Flöha taz | Es ist still um elf Uhr, fast mittags in der ostsächsischen
Kleinstadt Flöha. Die Bürger arbeiten, einige begeben sich zur Pause. Knapp
elf Euro kosten zwei Mittagessen mit Getränken im Imbiss. Ein Kunde im
Blaumann vom örtlichen Holzhof rundet auf: „Mach zwölfe fuffzig“, sagt er
in einem Sächsisch, bei dem jeder Nichtsachse zweimal hinhören müsste, und
greift dann nach zweimal Hähnchenschenkel mit Salzkartoffeln und brauner
Soße. Vor dem Imbiss hängt ein Plakat: Vor einer Woche spielte die
erzgebirgische Schunkel-Band „De Randfichten“ hier.
Auf den ersten Blick ist in Flöha also vieles wie in jeder sächsischen
Kleinstadt. Politisch ist die Gemeinde aber eine Besonderheit: einen
Ortsvorsteher, der von der Linkspartei nominiert worden war. Beim
Verspeisen ihrer Hähnchenschenkel im Freisitz vor dem Imbiss können die
Arbeiter vom Holzhof auf das Rathaus blicken. Dort hat Oberbürgermeister
Volker Holuscha sein Büro. Deutschland hat weit über 300 Oberbürgermeister,
nur vier sind Mitglied der Linkspartei, Holuscha ist einer von ihnen. 2008
wurde die erste linke Oberbürgermeisterin des wiedervereinigten Deutschland
gewählt, im sächsischen Borna. Es folgten 2012 das thüringische Eisenach,
2013 das sachsen-anhaltinische Halberstadt, und 2015 dann Flöha.
Linke Politik auf Kommunalebene, im ländlichen ostdeutschen Raum – da, wo
die AfD Erfolge feiert, wo Pegida seinen Höhepunkt erlebte, wo der Unmut
über die Bundespolitik groß und das Lohnniveau niedrig ist? Ausgerechnet
2015, in dem Jahr, in dem Angela Merkel die Grenzen öffnete und Joachim
Gauck von „Dunkeldeutschland“ sprach? Wer Holuscha fragt, wie er gerade in
diesem Jahr als Linker eine Wahl gewinnen konnte, bekommt eine lange
Antwort. Mit Linkssein hat sie zunächst wenig zu tun, vielmehr mit
Vertrauen.
Dass rechte Bewegungen so stark werden konnten, schreibt er dem deutschen
Politikstil generell zu. Die Globalisierung lasse die Bürger mit einer
massiven Verunsicherung zurück. „Die Leute fühlen sich nicht mehr ernst
genommen, viele Dinge sind für sie nicht mehr nachvollziehbar.“ Holuscha
spricht von Bürgernähe, Pragmatik und Ehrlichkeit. Und davon, nichts zu
versprechen, was er nicht halten kann. Damit habe er Politik gemacht und
auf große Wahlwerbung verzichtet. Auf der Hauptstraße vor seinem Büro hängt
die Reklame der Parteien für die kommende Bundestagswahl. Versprochen wird
darauf eine Menge, auch von Holuschas Partei.
Wenn er über sie redet, schwankt er zwischen „wir“ und „denen“, als ob…
sich manchmal nicht sicher sei, ob er dazugehört. „Ich muss den Bürgern
sagen, was geht und was nicht geht“, meint er. Im aktuellen Wahlprogramm
der Linken findet er freilich einige Sachen, die ihm nicht einleuchten.
Beispiel: Mindestlohn. Die Partei von Katja Kipping und Bernd Riexinger
will ihn von derzeit 8,84 auf zwölf Euro anheben. Damit sei nicht nur ein
gerechter Lohn, sondern auch eine ausreichende Altersvorsorge gesichert.
„Nachvollziehbar“, findet Holuscha, aber „momentan nicht umsetzbar und f�…
den Mittelstand schädlich.“
Hin und wieder macht er Betriebsrundgänge in seiner Kleinstadt und weiß,
welche Sorgen die Unternehmer umtreiben. Da ist zum einen der
Fachkräftemangel und der fehlende Nachwuchs. Eine Firma für Dachisolierung
in der vierten Generation hatte kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres noch
keinen einzigen Bewerber. Die Jugendlichen, die hier im beeindruckenden,
gläsernen Rundbau des Samuel-von-Pufendorf-Gymnasium vor wenigen Monaten
ihr Abitur gemacht haben, zieht es eher in die umliegenden Städte zum
Studieren, zum Beispiel nach Chemnitz.
Wenn er sich ein Thema aussuchen könnte, was die Parteien im Bund stärker
in Angriff nehmen sollten, welches würde Holuscha wählen? Die Antwort
überrascht. Nicht Schulen, nicht Kitas, nicht soziale Ungleichheit –
„Breitbandausbau“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Er greift in
sein Bücherregal und holt ein kleines weißes Buch heraus. „Man sollte ab
und zu mal in das Grundgesetz schauen und das auch gewissen
Verantwortungsträgern in Bund und Land unter die Nase halten“, sagt er
lächelnd und findet zielsicher den gewünschten Passus: Artikel 87f, Absatz
1: „Nach Maßgabe eines Bundesgesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates
bedarf, gewährleistet der Bund im Bereich des Postwesens und der
Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende
Dienstleistungen.“
## Der Mittelstand ist wichtig für die ganze Kommune
Lehrermangel, Altersarmut, explodierende Mieten in den Großstädten – man
stelle sich vor, die Linke würde angesichts dieser Umstände Wahlwerbung für
schnelles Internet machen. Hat der Mann keine anderen Sorgen? Nein, denn er
hat seine Gemeinde verstanden: Wenn der Mittelstand von Bord geht, sinkt
das ganze Kommunenschiff. Die wenigen Betriebe sind Hauptarbeitgeber und
Hauptsteuerzahler. Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität für den Nachwuchs
durch schnelles Internet ist für Holuscha deswegen kein Standortvorteil,
sondern eine „Standortbedingung“, wie er sagt. Straßen, Brücken,
Schwimmbäder – über all das braucht er überhaupt nicht nachdenken, wenn die
überlebenswichtigen Einnahmen fehlen.
Zwar fördert der Bund den Breitbandausbau, aber das Programm ist
problematisch. Mit dem sogenannten „Betreibermodell“ müsste Holuscha für
seine Kommune wie ein Unternehmen auftreten, Personal einstellen,
Umsatzsteuer zahlen und mit der Telekom konkurrieren. Darüber hinaus ließe
sich die Entwicklung der Baukosten kaum abschätzen. Er überlegt deswegen,
den Millionenzuschuss schlicht abzulehnen. Sollten Mehrkosten auftreten,
die der Bund nicht übernimmt, könne er „den Laden hier zumachen.“ Wie er
das sagt, zeigt er mit dem Finger in seinem Büro herum. „Der Laden“, das
ist aber nicht nur das Rathaus, das ist im Zweifelsfall die ganze Stadt mit
ihren 11.000 Einwohnern.
Zusammen mit 51 weiteren Bürgermeistern sächsischer Kommunen hat er
deswegen eine Petition unterzeichnet, die das Problem auf Landesebene
anspricht. Wer von Holuscha etwas über seine Kommune lernt, begreift ein
grundsätzliches Problem: Im etwa drei Stunden Autofahrt entfernten Berlin
werden Versprechen gemacht, in den Stadträten und Kommunen müssen sie
eingelöst werden. Nun überrascht es nicht mehr, dass der Linke einer
Anhebung des Mindestlohns widerspricht.
Die Linke versichert, dass ihr Programm mit der Reichensteuer vollständig
finanzierbar wäre. „Das will ich auch gar nicht anzweifeln“, lenkt Holuscha
ein. Aber: Wenn seine kommunalen Betriebe den Mindestlohn nicht zahlen
können, müssen sie entlassen, auslagern oder gar schließen. Am Ende
verlieren dabei alle. Als gelernter Bäcker habe er selbst noch von der
Einführung des Mindestlohns profitiert, bevor er Oberbürgermeister wurde.
„Aber ich habe auch gemerkt, welche Belastung das für meinen Arbeitgeber
darstellt.“
Eigentlich steht im Grundgesetz das sogenannte „Konnexitätsprinzip“. Wenn
das Land einer Kommune eine Aufgabe zuteilt, muss es demnach dafür sorgen,
dass die Kommune diese Aufgabe finanziell umsetzen kann. De facto finden
sich immer wieder Lücken in dem Prinzip, wie der Breitbandausbau zeigt. Die
Haushaltslage der Kommunen ist auf dem Papier gut: 4,5 Milliarden Euro
Überschuss erwirtschafteten sie im Jahr 2016. Aber: Hinter den vermeintlich
guten Zahlen steckt eine Kommunenkrise. Wie die Bertelsmann-Stiftung
ermittelt hat, sind nur einige wenige Kommunen in Bayern und
Baden-Württemberg wirklich stark. Dem Rest gelingt kein Ausweg aus den
Altschulden.
Der Abstand zwischen starken und schwachen Kommunen wird größer. In
Süddeutschland wachsen einige, woanders flieht der Nachwuchs und der
Mittelstand. Ein Schuldenkreislauf entsteht, trotz ausgezeichneter
Konjunktur. Das ist längst nicht nur im Osten so, wie der Finanzreport der
Stiftung zeigt: Die 17 am stärksten verschuldeten Kommunen liegen in
Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die konsequente Hilfe vom Bund
hätten die verschuldeten Kommunen bitter nötig, nicht nur beim
Breitbandausbau, sondern beispielsweise auch bei der Bildung. Hier
verhindert das sogenannte Kooperationsverbot, dass sich der Bund in die
Bildungspolitik der Länder einmischt.
## Sein Parteibuch hat er in der Schublade versteckt
Der Unwille der großen Parteien, die Wirkungen ihrer Politik auf
Kommunalebene nachzuvollziehen, lässt ihn zuweilen an der eigenen Partei
zweifeln, nicht nur beim Thema Mindestlohn: Auch ein bedingungsloses
Grundeinkommen sieht er skeptisch. Seit über 15 Jahren macht er für die
Linke Politik im Stadtrat, ungeachtet der Kapriolen der Partei auf
Bundesebene. Zwar ist er überzeugter Linker und will es auch bleiben, habe
das Parteibuch für seine derzeitige Amtsperiode aber zunächst etwas tiefer
in der Schublade verschwinden lassen.
Ideologische Streitereien interessieren den Wähler nicht: „Ich bin für
sieben Jahre gewählter Dienstleister. Die Bürger bezahlen mein ordentliches
Salär und meine Beschäftigten. Und so habe ich mich auch zu verhalten“,
stellt Holuscha fest. Beim Verlassen von Flöha über die Hauptstraße schauen
von links und rechts die Gesichter der Bundestagswahl von den Wahlwerbungen
herunter: Merkel, Lindner, Petry, Bartsch, Schulz und Özdemir – sie alle
verkünden in großen Formeln und Schlagworten, wie alles gut bleiben oder
besser werden soll. Für einen Moment wünscht man sich, der
Oberbürgermeister einer sächsischen Kleinstadt würde hier auf einen
herunterlächeln und nichts versprechen, was er nicht halten kann.
21 Sep 2017
## AUTOREN
Konstantin Nowotny
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Die Linke
Mindestlohn
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Internet
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