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# taz.de -- Körper, Pickel, Kulturindustrie: Aufstand der Malerinnen
> Junge Frauen fordern in Online-Netzwerken Schönheitsideale und Normen
> heraus. Seinen Körper lieben, wie er ist – klingt logisch.
Bild: Das, liebe Werbeindustrie, ist kurvig: Serpentinenstrecke in der Schweiz
Hätte Marilyn Monroe eines der begehrten Fotos bei „Germany’s Next
Topmodel“ bekommen? Viele Mythen ranken sich um die tatsächlichen
Körpermaße des Schönheitssymbols der 1950er-Jahre. Unter anderem heißt es,
dass sie nach heutigen Modelstandards nicht dünn genug gewesen wäre. Eine
Konfektionsgröße 34 bis 36, wie sie für heutige Models erwünscht ist, soll
sie jedenfalls nicht gehabt haben.
Auch an der sogenannten Thigh-Gap-Challenge hätte Marilyn Monroe vermutlich
nicht teilnehmen können. Nach den Regeln des Schönheitstrends vom
vergangenen Jahr auf dem sozialen Netzwerk Instagram sollen Frauen
beweisen, dass sie so dünn sind, dass sie im normalen Stand eine Lücke
zwischen den Oberschenkeln vorweisen können.
Auf Instagram finden sich zahlreiche solcher Wettbewerbe, fast
ausschließlich zugeschnitten auf junge Frauen. Sie beweisen sich
untereinander dass sie „würdig“ sind, ihren Körper zu zeigen. Schön genu…
schlank genug. Instagram ist ungebrochen eines der am schnellsten
wachsenden sozialen Netzwerke.
In den vergangenen vier Jahren stiegen die aktiven Nutzer der App von 90
auf über 800 Millionen an. Die permanente Selbstdarstellung, der permanente
Abgleich mit anderen hinterlässt Spuren. Eine britische [1][Studie] stellte
kürzlich fest, dass Instagram von allen sozialen Netzwerken den negativsten
Einfluss auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen hat. Unter anderem
schädige es die Selbstwahrnehmung des Körpers, befördere Ängste und
verschlechtere den Schlaf. Wer die App aufschlägt, begreift sofort, warum.
## Klums Laufsteg-Grundwehrdienst
Millionen junge Frauen, die untereinander um Schönheit konkurrieren – ein
gefundenes Fressen für Heidi Klums Laufsteg-Grundwehrdienst. Für die
kommende Staffel ruft sie folgerichtig dazu auf, sich direkt über Instagram
zu bewerben.
Doch einige junge Frauen haben keine Lust mehr, „Heidis Girl“ zu werden.
Unter dem Hashtag #notheidisgirl posierten im Oktober zahlreiche Frauen mit
Schildern, auf denen sie sich gegen den Schlankheitswahn positionieren. Mit
einem Eis in Unterwäsche auf dem Sofa, mit einem Pizzastück oder schlicht
mit Stinkefinger protestieren sie visuell gegen den Schlank- und
Schönheitswahn der Castingshow. Die 24-jährige Jule, die sich den Namen
„incredible.julk“ gab, schrieb beispielsweise dazu: „Weil Vielfalt etwas
Schönes ist und Rollen, Röllchen, Cellulite, Dehnungsstreifen, Pickel,
Narben und was es sonst noch gibt, ganz normal sind. Zeigt doch diese
Vielfalt mal im Fernsehen.“
„Das Fernsehen“ schläft natürlich nicht. Seit 2016 läuft auf RTL II ein
Topmodel-Ableger namens „Curvy Supermodel“. Schon im Namen steckt das
Richtige im Falschen: Obwohl die Teilnehmerinnen gesunde Körper haben, sind
sie keine normalen Models, sondern „kurvige“. Dementsprechend gewinnen sie
am Ende kein Shooting für das Cover der Cosmopolitan wie beim Original von
ProSieben, sondern schmücken die „XXL-Kollektion“ des Modelabels „Happy
Size“.
## „Kurvig“ – echt jetzt?
Dass wir von einer Normalisierung durchschnittlicher (Frauen-)Körper weit
entfernt sind, zeigen allein schon die Begriffe, die wir verwenden, erklärt
Katrin Döveling, Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an
der Universität Klagenfurt: „Die Sprache wirkt da auf unser Denken zurück�…
sagt sie. So bei „Curvy Supermodel“: Schon der Zusatz „kurvig“ mache kl…
dass zum richtigen Model anscheinend etwas fehlt.
Seit Längerem untersucht Döveling soziale Netzwerke. Zwar beobachtet sie
mit Zuversicht, dass junge Frauen im Internet Körpernormen herausfordern.
Sie verweist aber auf die teils massiven Beleidigungen, die sich in den
Kommentaren unter solchen Bildern finden: „Das zeigt, dass das Internet
leider oft nicht nur eine Plattform ist, die klassische Schönheitsideale
potenziert, sondern auch Aushandlungsort der Norm ist. Diese Kommentare
hinterlassen Spuren für das restliche Leben.“
Die Instagramerin Laura Klinke aus Leipzig geht einen anderen Weg. Ihre
motivierenden Botschaften für ein positives Körpergefühl verbreitet sie
nicht mit ihrem eigenen Körper, sondern mit Zeichnungen. 24.000 Menschen
folgen ihrem Instagramprofil mit dem Namen
„[2][loveyourselffirst.project]“. Die Botschaft trägt Klinke zur täglichen
Erinnerung sogar als Tattoo. Ihre Bilder befassen sich mit Tabuthemen,
meistens in Bezug auf Frauenkörper: Körperbehaarung, Regelblutung,
Leberflecke – Klinke zeichnet persönliche Geschichten, die ihr „fast
täglich“ zugeschickt werden. „Es gibt Frauen, die denken, dass sie zum
Beispiel mit Pickeln am Po völlig allein sind und dass das niemand anderes
hat.“ Ihre Zeichnung dazu zeigt einen Po mit kleinen roten Sprenkeln. Dazu
schreibt Klinke, dass Hautunreinheiten an dieser Stelle nichts zum Schämen
sind: „Der Pickel vergeht, aber das, was ihr deswegen verpasst, das kommt
nicht noch mal wieder.“
„Vermarktete Selbstliebe“ wie bei „Curvy Supermodel“ sieht Klinke kriti…
Diese suggerierten auch ein Ideal von Schönheit – nur eben ein
alternatives: „Wenn du kurvig bist, musst du trotzdem noch etwas an dir
optimieren. Du bist nicht automatisch gut, so wie du bist. Es gibt dann
einfach wieder ein neues Schönheitsideal für kurvige Frauen.“
## „Love your body but hate it, too“
Die britische Soziologin Rosalind Gill nennt dieses Phänomen „Love your
body but hate it, too.“ Sie sagt, dass der Frauenkörper ambivalent sei:
einerseits einzigartig und liebenswert, andererseits austauschbar und
niemals schön genug. Auf einer Tagung zum Thema Körperbilder im vergangenen
Jahr an der Uni Hamburg zitierte sie einen Titel der Frauenzeitschrift
Elle. Dort hieß es, es sei nicht länger Jugendlichkeit, die schön mache,
sondern Selbstbewusstsein. Was fast wie ein feministisches Empowerment
klingt, entpuppt sich als Forderung: Schön und jung soll die Frau natürlich
weiterhin sein, aber nun auch selbstbewusst; selbst, wenn sie sich nicht so
fühlt. Liebe deinen Körper, aber hasse ihn auch. So will es die Kosmetik-
und die Modeindustrie, Klinke: „Ist ja auch klar, wenn alle mit sich
zufrieden sind, verdienen sehr viele Menschen sehr viel weniger Geld.“
Die 23-jährige Fotografin [3][Ashley Armitage] kommentierte in diesem Jahr
eine ihrer Fotoserien über natürliche Frauenkörper so: „Ich mache Bilder
des weiblichen Körpers, weil diese Bilder in der Geschichte von Männern
kontrolliert wurden. Wir waren immer die Gemalten, nie die Malerinnen. Ich
versuche zurückzuholen, was uns gehört.“
Junge Frauen wie Laura Klinke zeigen, wie sie sich sehen wollen – nicht,
wie eine Kulturindustrie es will. Betrachtet werden die Kunstwerke aber
noch immer überwiegend von Frauen. Nur sechs Prozent der Follower von
Klinkes Projekt sind männlich, obwohl sie auch über Männerthemen spricht.
Es sind Frauen untereinander, die sich unter ihren Bildern gegenseitig
bestätigen, dass sie so genügen, wie sie sind. Was fehlt ist, dass sich
Männer solidarisch zeigen, anstatt die Bewegung zu ignorieren oder
schlechtzureden.
3 Dec 2017
## LINKS
[1] https://www.rsph.org.uk/our-work/policy/social-media-and-young-people-s-men…
[2] https://www.instagram.com/loveyourselffirst.project/
[3] http://bubblegumclub.co.za/ashley-armitage-means-real-girl/
## AUTOREN
Konstantin Nowotny
## TAGS
Frauen
Frauenkörper
Heidi Klum
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
deutsche Literatur
Sex
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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