| # taz.de -- Bayern nach der Wahl: Wie die CSU den Stammtisch verlor | |
| > Früher waren die CSU und Bayern eins. Doch in Deggendorf holte die AfD | |
| > das beste Wahlergebnis in ganz Westdeutschland. Was ist passiert? | |
| Bild: „Der Seehofer hat sehr große Schuld“: Am Stammtisch in Grafenau sitz… | |
| Deggendorf/Grafenau taz | In der Waldbahn, auf dem Weg nach Deggendorf, | |
| sitzt man sich auf Dreierbänken gegenüber. Es fühlt sich an wie auf | |
| Bierbänken. Sechs Alte sitzen so, reden über Ärzte, Kinder, Urlaube. Ein | |
| Paar mit Kinderwagen steigt ein, die Frau in grünem Mantel und mit | |
| Kopftuch, der Mann verschnupft. Sie setzen sich und sagen: „Grüß Gott“. | |
| Hier ist die bayerische Welt noch in Ordnung. Nur für die CSU ist seit | |
| vergangenem Sonntag gar nichts mehr in Ordnung. 38,8 Prozent der | |
| bayerischen Wählerstimmen bekam die Partei noch, über zehn Prozent weniger | |
| als bei der Bundestagswahl 2013. In fast allen niederbayerischen | |
| Wahlkreisen wurde die AfD zweitstärkste Kraft, weit vor der SPD. | |
| Im Wahlkreis Deggendorf kam die AfD auf 19,2 Prozent, der höchste Wert in | |
| Westdeutschland. In München kämpft Horst Seehofer seitdem um seine | |
| politische Zukunft, die ersten CSU-Politiker fordern seinen Rücktritt als | |
| Parteivorsitzender. | |
| Wieso ist die AfD gerade in Niederbayern so erfolgreich, wo die CSU hier | |
| früher eins mit dem Land war und bis zu 60 Prozent der Stimmen holte? | |
| Wer vom Deggendorfer Hauptbahnhof nach links geht, sieht einen großen Klotz | |
| mit glatter Fassade, eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. | |
| Gegenüber steht ein Netto-Supermarkt. Im Wahllokal St. Martin, gleich um | |
| die Ecke, überholte die AfD die CSU: Sie kam auf 31,5 Prozent der Stimmen, | |
| es ist das Wahllokal mit dem höchsten Wert in ganz Bayern. | |
| ## „AfD wählen gehört sich anstandshalber schon nicht“ | |
| Vor dem Netto-Supermarkt verstaut ein älteres Paar seine Einkäufe. Sie | |
| hätten CSU gewählt, erzählen sie, aber wenn das hier so weitergehe, dann | |
| wählten sie demnächst AfD. Früher, sagt der Mann, sei hier alles gut | |
| gewesen, jetzt sei nachts alles leer, keiner traue sich mehr raus. „Wir | |
| sind nicht gegen Flüchtlinge“, sagt sie. „Guten, christlichen Leuten muss | |
| man helfen, aber die …“ „Das sind Tiere“, sagt er, „was da in Köln p… | |
| ist, war nicht normal.“ | |
| Ende 2015 kamen an manchen Tagen Hunderte von Flüchtlingen in Deggendorf | |
| an, die Stadt stellte Zelte auf. Es gab Krisentreffen zwischen Seehofer und | |
| den Landräten der Region. Gerüchte verbreiteten sich, dass etwa der | |
| Nettomarkt gegenüber der Unterkunft dichtmachen müsste, weil Asylbewerber | |
| ihn leer stehlen würden. Zwei Jahre später ist der Nettomarkt weiter offen, | |
| die Leute warten ruhig an der Kasse. | |
| Ein paar Straßen weiter, vor der St.-Martin-Kapelle, sitzt ein Arbeiter im | |
| Blaumann auf der Bank. Marcel Lachinger arbeitet als Lagerleiter bei einem | |
| Großhandel für Hydraulikrohre, er macht gerade Pause. In seiner Familie | |
| hätten alle immer CSU gewählt, aber irgendetwas sei jetzt anders als sonst. | |
| Mit Flüchtlingen habe das gar nichts zu tun, sagt Lachinger und spricht von | |
| einer enttäuschten Liebe. Es sei wie beim FC Bayern. „Ich war früher großer | |
| Bayernfan. Dann kam Hoeneß ins Gefängnis, und es war vorbei.“ Mit der CSU | |
| gab es für Lachinger keinen Hoeneß-Moment, es war ein schleichender Prozess | |
| der Entfremdung. | |
| „Was mach ich?“, fragte er sich vor der Wahl. AfD wählen „gehört sich | |
| anstandshalber schon nicht“. Also dachte er: Von welcher Partei habe ich | |
| lange nichts mehr gehört? Freie Wähler. Die versenken die Stimme bestimmt. | |
| So etwas ist hier neu für die CSU. „Eine herbe Enttäuschung“, nannte Horst | |
| Seehofer das Ergebnis noch in der Wahlnacht, man müsse nun die „rechte | |
| Flanke“ wieder schließen. Markus Söder, der bayerische Finanzminister und | |
| Seehofers Gegenspieler, forderte, die Stimmung der Basis aufzunehmen. | |
| Nächstes Jahr wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, und der Streit ist | |
| in vollem Gange, wie weit nach rechts eine Volkspartei rücken kann, ohne | |
| die Mitte zu verlieren. | |
| Wie tief die Krise der CSU reicht, lässt sich an der bayerischsten aller | |
| Institutionen beobachten, dem Stammtisch. An einem schweren Holztisch in | |
| der Ecke des Bräustüberl in Grafenau sitzen Sepp, Walter, Heinz, Horst, | |
| Rainer, Ingo und Frank beim Bier zusammen. Jeden Dienstag nach dem Tennis | |
| kommen sie hierher. Sie sind in ihren Fünfzigern und Sechzigern, nur Sepp | |
| ist 81, spielt aber immer noch Tennis. | |
| Die Männer am Tisch arbeiten als Reiseleiter, KFZ-Mechaniker, Unternehmer. | |
| Im Bräustüberl hängen Geweihe an der Wand, ein Kruzifix in der Ecke und die | |
| Wirtin bringt das Telefon an den Tisch, wenn eine Ehefrau anruft. | |
| Heinz: „Der Seehofer hat sehr große Schuld. Dass er immer wieder | |
| kapituliert und zurückzieht.“ | |
| Horst: „Dass er ned zu dem steht, wos er sogt.“ | |
| Heinz: „Der Drehhofer. Aber bei uns im Bayerischen Wald ist die | |
| wirtschaftliche Lage maßgeblicher als wie die Migration. Weil, von der | |
| Arbeitssituation, da samma mir schon abgeschlagen.“ | |
| Ingo: „Aber mir hamma ja keine hohe Arbeitslosigkeit in Niederbayern.“ | |
| Frank: „Und warum? Weil die Leute bereit sind, unheimlich weit für ihre | |
| Arbeit zum fahren.“ | |
| Heinz: „Schau dir moi die Situation in der Pflege und in den Krankenhäusern | |
| an.“ | |
| Horst: „Weil’s einfach am Goid fehlt.“ | |
| Heinz: „Für des Goid tät i nie und nimmer oarbeitn.“ | |
| Ingo: „Schau dir die Pflegedienste an, die wo umanand fahren und die an | |
| Aufwand ham. Fahr i zehn Kilometer zur a Patientin, und dann hob i nur zehn | |
| Minuten Zeit, weil dann muss ich wieder weiter fahren. Und dann spiel ich | |
| natürlich diesen Ostdeutschen oder Bulgaren in die Hände, denen alles | |
| geschenkt wird und die den Staat betrügen, von der Abrechnung her.“ | |
| Heinz: „Aber Ingo, des derf ma ned über oan Kamm scheren. Es gibt auch | |
| andere. Mir müssen froh sein, dass mir die Leut ham. Wenn wir die nicht | |
| hätten …“ | |
| Ingo: „Die Guten!“ | |
| Heinz: „Die Guten.“ | |
| Auch wenn es viel Unzufriedenheit am Stammtisch gibt, viel Distanz zur CSU | |
| – von den Männern hier hat nur einer die AfD gewählt. Im Wahlkreis kam die | |
| Partei dagegen auf fast 20 Prozent der Zweitstimmen. Das lag auch an einer | |
| populären Kandidatin: Katrin Ebner-Steiner. In der Deggendorfer Altstadt | |
| hängen noch Wahlplakate von ihr, darauf steht: „Familie. Heimat. | |
| Tradition.“ | |
| ## Die AfD-Kandidatin ging in Burka zur Demo | |
| Ebner-Steiner sitzt im Café Wiedemann am zentralen Platz der Altstadt, in | |
| eine rote Decke gehüllt. Es ist kühl. Immer wieder kommen Leute vorbei und | |
| gratulieren. „Bis jetzt habens ja a bissl wenig Themen. Mit der Rente | |
| habens gar nix, des is scho a bissl schwach, ge?“, sagt ein älterer Mann. | |
| Im Programm der AfD steht nichts zum Rentenprogramm, Ebner-Steiner aber hat | |
| einen Vertrauensvorschuss. „Die Rente ist ein Thema, das hier alle | |
| interessiert“, sagt sie. | |
| Ebner-Steiner, kurze blonde Haare, Perlenkette, dunkelblaue Bluse, kann | |
| viel über die Krise der CSU erzählen. Sie hat sie früher auch gewählt. Sie | |
| sei Franz-Josef-Strauß-Fan „durch und durch“, und der würde sich im Grab | |
| umdrehen, wenn er sähe, dass sich seine CSU mit den Grünen „ins | |
| Koalitionsbett“ lege. Strauß würde die AfD wählen – so steht es auf | |
| AfD-Plakaten in Bayern. Er würde schätzen, „dass wir dem Volk aufs Maul | |
| schauen und das aussprechen, was sich das Volk nicht mehr zu sagen traut“, | |
| sagt Ebner-Steiner. | |
| Wenn sie Klartext spricht, wenn sie Wörter sagt wie „Mauermörderpartei“ u… | |
| „Koalitionsbett“, wenn sie sich nicht von Wörtern distanziert wie | |
| „entsorgen“ und „Mahnmal der Schande“, dann blitzt hinter der | |
| gewöhnlich-konservativen Fassade das Radikale auf. Das Radikale, das sie | |
| auch dazu gebracht haben muss, am Morgen nach dem Anschlag auf dem | |
| Breitscheidtplatz zu monieren, dass Moderatoren mit Migrationshintergrund | |
| über das Thema sprechen. | |
| Das Radikale ließ sie auch in einer Burka auf eine Demo in Passau gehen, um | |
| vor der „fortschreitenden Islamisierung Bayerns“ zu warnen. In der Hand | |
| trug sie dabei ein Plakat, auf dem eine königliche Merkel einen hündischen | |
| Seehofer an der Leine hatte. | |
| Ebner-Steiner beherrscht das Changieren zwischen Provokation und | |
| konservativ-seriösem Auftritt. Sie ist Profi, auch wenn sie erst vor gut | |
| zwei Jahren in die Politik „hineingestolpert“ sei. Es begann mit Thilo | |
| Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Vieles fand sie zutreffend, | |
| „dann hat das so gegoren“. Die 39-jährige Buchhalterin, Mutter von vier | |
| Kindern, hat sich die FDP angeschaut und die CSU. | |
| Und die AfD. Zwei Wochen nach dem ersten Stammtisch wurde sie Mitglied. | |
| Eines Tages stand sie mit ihrem Mann auf einer Demo, und er sagte: „Mei, | |
| Katrin. Jetzt müssen wir zwei für unsere Rechte und unser Land | |
| demonstrieren.“ Für Konservative sei das eigentlich irre, was sie da mache | |
| – „ich bin ja auch nicht der typische Revoluzzer“, sagt sie und trinkt | |
| ihren Kaffee. | |
| ## Das tiefe Schwarz in Niederbayern bricht auf | |
| Der nächste ältere Mann bleibt stehen: „Gratulation! Obwohl ich so | |
| enttäuscht bin, dass du nicht auf Platz 1 auf der Liste bist. Wegen den | |
| Kindern? Hast keine Zeit?“ Er hat Ebner-Steiner im Wahlkampf geholfen, | |
| Flyer verteilt. | |
| Auf dem ersten Listenplatz stand die Kandidatin aus Straubing, „das war | |
| eine brutale Niederlage für mich, als ich das erfahren habe“, sagt | |
| Ebner-Steiner „Aber ich habe vier Kinder, und die hat noch keine.“ Es seien | |
| ältere Herren auf sie zugekommen und haben gesagt: „Mei, du nach Berlin! | |
| Und deine armen Kinder?“ Es war nicht das erste Mal, dass sie von der | |
| Partei bevormundet wurde. Wenn es nach einigen ihrer Parteigenossen ginge, | |
| sollten ihre Kinder auch keinen Döner mehr essen. | |
| In Ebner-Steiners Familie gab es zwei Wahlkämpfe. Ihr Schwager wollte | |
| Landrat im Kreis Regen werden und trat für die CSU an, Anfang Oktober ist | |
| Stichwahl: CSU gegen SPD. „Persönlich wünsche ich ihm das Allerbeste, aber | |
| er ist in der falschen Partei“, sagt Ebner-Steiner und lacht. Ihr Mann war | |
| auch 32 Jahre in der CSU, bevor er vor einem Jahr zur AfD wechselte. Auch | |
| ihr Vater ist nach fast 40 Jahren in der CSU in die AfD eingetreten. „Wir | |
| haben alle gesagt: Die Flüchtlingspolitik, die die Merkel betreibt, ist | |
| untragbar.“ Für Ebner-Steiner ist es ganz einfach: Das tiefe Schwarz in | |
| Niederbayern bricht auf. | |
| Trotzdem hat ihr Konkurrent von der CSU gewonnen: Thomas Erndl hat 44 | |
| Prozent der Erststimmen geholt. Ein paar Tage nach der Wahl ist er schon in | |
| Berlin. Hat er sich zu sehr zurückgelehnt? „Nein, aber vielleicht haben wir | |
| es uns zu einfach gemacht“, sagt er am Telefon. „Vielleicht hätten wir die | |
| sozialen Themen mehr ansprechen müssen: Rente, geringe Löhne, Pflege. Wir | |
| haben gesagt: Die Rente ist akut kein Thema und haben stattdessen mit dem | |
| wirtschaftlichen Erfolg Bayerns geworben, mit Zukunftsthemen wie | |
| Infrastruktur.“ | |
| Die AfD habe das anders gemacht, räumt Erndl ein. „Aber sie hat die | |
| sozialen Themen immer an die Flüchtlinge geknüpft, das sind Parolen, Hass | |
| und Zwietracht, die die Gesellschaft spalten. Das ist keine | |
| verantwortungsvolle Politik.“ Und was muss seiner Meinung nach jetzt getan | |
| werden? „Die Leute haben der CSU nicht abgenommen, dass sie diese | |
| Durchschlagskraft hat. Aber was die Flüchtlingspolitik angeht, hat sich im | |
| Detail viel geändert: Wir haben wieder Dublin, es gibt Grenzkontrollen und | |
| eine restriktive Vorgehensweise bei Abschiebungen.“ Nur leider habe man das | |
| nicht kommunizieren können. „Das ist jetzt die Herausforderung. Wir müssen | |
| an der Begrenzung der Zuwanderung festhalten – und an Seehofer.“ | |
| ## „Die CSU, das war immer ich“ | |
| In einer kleinen Straße, an der Grenze zur Deggendorfer Altstadt, liegt | |
| eine Spielhalle. Hinten drei PCs, die Stunde Internet kostet zwei Euro, | |
| links hinter einer Trennwand ein paar Automaten. Am Tresen steht Olga | |
| Stern, mit blauen Augen und Brille. Sie streckt sich, denn der Tresen ist | |
| hoch. Da ist Trotz in ihrem Blick. „Normalerweise bin ich immer hinterm | |
| Seehofer gestanden. Mein Vater hat den Strauß verehrt.“ Sie rudert mit den | |
| Armen: „Die CSU, das war immer ich.“ 2015 dann, im Flüchtlingssommer, bekam | |
| sie Zweifel. Soll ich die CSU wählen? 2016 dieselbe Frage. 2017 hatte sie | |
| genug gezweifelt, und natürlich war das eine Denkzettelwahl: „Die müssen | |
| eine vor den Bug bekommen.“ | |
| War die CSU wirklich nicht rechts genug, um genau solche Leute nicht der | |
| AfD zu überlassen? Hat sie nicht rhetorisch massiv aufgerüstet in den | |
| vergangenen zwei Jahren? Merkel eine „Herrschaft des Unrechts“ vorgeworfen, | |
| sie auf offener Bühne beim Parteitag 2015 in München gedemütigt, eine | |
| Verfassungsklage angedroht? | |
| Olga Stern sieht das so: Das mit Merkel auf der offenen Bühne hätte | |
| Seehofer nicht machen dürfen, das macht man nicht. Anstand, das ist ein | |
| Wort, das man oft in Deggendorf hört. Viele sagen, dass Seehofer sich nicht | |
| anständig gegenüber Merkel verhalten habe. Manchen verbietet dieser Anstand | |
| auch, AfD zu wählen. Anderen nicht. Entweder erwarten sie das bei dieser | |
| Partei nicht, oder die rhetorischen Ausfälle und Zuspitzungen der AfD | |
| werden nicht als unanständig wahrgenommen. | |
| Was Seehofer alles geredet habe, egal, sagt Olga Stern, darum gehe es | |
| nicht. „Keinen Mumm hat er gehabt. Nachgegeben hat er. Ein Kriecher ist er. | |
| Wo ist denn die Obergrenze?“ | |
| Das andere Thema von Olga Stern ist: Altersarmut. 64 Jahre ist sie alt. 44 | |
| Jahre hat sie gearbeitet, auf einem Gnadenhof für Tiere, und im Altersheim, | |
| wo sie mit dem Chef aneinandergeriet, weil er die Minuten zählte. Nächstes | |
| Jahr, wenn sie 45 Jahre gearbeitet haben wird, bekommt sie 650 Euro Rente, | |
| also bleibt sie weiter in der Spielhalle. | |
| Drei Dinge muss die CSU tun, um sie zurückzuholen, sagt sie: Erstens: | |
| Renten erhöhen. Zweitens: bezahlbare Wohnungen. Drittens: eine Obergrenze | |
| für Flüchtlinge: 100.000 jährlich. | |
| Als Stern das Wahlergebnis gesehen hat, ist sie aber doch erschrocken: Sie | |
| bereut ihre Stimme für die AfD nicht – aber hätten nicht weniger so | |
| abstimmen können wie sie? Sie weiß, dass da ein Widerspruch ist, „dass das | |
| nicht zampasst“. Aber in ihr stecken die Sehnsucht nach der alten CSU und | |
| die Wut auf sie gleichermaßen. Und jetzt, wo sie noch einmal über den | |
| Sonntagabend nachdenkt, sagt sie, ohne darauf angesprochen worden zu sein: | |
| „Ich find das schlimm, was der Hitler gemacht hat.“ | |
| ## 98 Prozent Katholiken | |
| Altersarmut – außer der Linken und der AfD hat niemand dieses Thema | |
| angesprochen, vielleicht, weil das eben auch nicht zampasst: Existenzängste | |
| und Bayern. Gottfried Rösch, evangelischer Stadtpfarrer von Deggendorf, | |
| weiß, wie es sich anfühlt, hier ein Außenseiter zu sein. Zu Kriegsende war | |
| die Bevölkerung in Deggendorf zu 98 Prozent katholisch. Erst mit dem Zuzug | |
| von Schlesiern, Sudentendeutschen und in den Neunzigern Russlanddeutschen | |
| kamen Protestanten in die Stadt. | |
| Rösch, ein schmaler Mann mit nervösen Händen, kam vor zehn Jahren nach | |
| Deggendorf, um das alte Bayern kennenzulernen – „denn wenn es das gibt, | |
| dann in Niederbayern.“ Heute umfasst seine Gemeinde 6.000 Menschen, davon | |
| 4.000 Russlanddeutsche. Er hat sich auf die Russlanddeutschen | |
| spezialisiert, weil er merkte, dass für sie Angebote fehlten. Neben seiner | |
| Gemeinde engagiert sich Rösch in einem Verein für kulturelle Vielfalt, im | |
| Flüchtlingssommer 2015 half er mit und gewährte Kirchenasyl. | |
| Für Rösch ist auch die Rhetorik der CSU am Aufstieg der AfD schuld. „Das | |
| AfD-Argument war: Wer CSU wählt, bekommt Merkel. Ich kann nicht als CSU | |
| gleichzeitig Merkel brüskieren und sagen: Wählt uns, dann bekommt ihr | |
| Merkel.“ | |
| Rösch meint, dass die CSU den Anspruch, den rechten Rand und die Mitte | |
| gleichzeitig zu bedienen, aufgeben muss. „Ich glaube nicht, dass das heute | |
| in einem Einwanderungsland noch geht. Das ist der eigentliche Umbruch. Und | |
| das bedeutet auch: Die absolute Mehrheit für die CSU ist nicht mehr | |
| zeitgemäß.“ | |
| ## Den Walter trifft der Schmerz | |
| Am Stammtisch wird Walter melancholisch, wenn er an die großen Zeiten der | |
| CSU denkt. Neben jedem Bierglas steht jetzt ein Birnenlikör. | |
| Walter: „I bin seit 40 Jahre bei der Partei. Da trifft der Schmerz am | |
| besten.“ | |
| Ingo: „Was der gwoant hat die letzten zwei Tage.“ | |
| Rainer: „Walter, hast du den Strauß in der Nibelungenhalle erlebt?“ | |
| Walter: „Oft.“ | |
| Und hätte Strauß die AfD gewählt, wie es auf den Plakaten steht? | |
| Frank: „Der Strauß! Das glaub ich nicht.“ | |
| Horst: „Naa.“ | |
| Heinz: „Naa.“ | |
| Walter: „Also der Strauß, der wenn in der Nibelungenhalle in Passau | |
| einmarschiert ist, da waren gestandene Männer, aus ganz Deutschland, die | |
| ham geweint. Da hams an Bayerischen Defiliermarsch gespielt, das war a | |
| Woahnsinn.“ | |
| Sepp: „Ned wegen am Strauß hams geweint, sondern wegen am Defiliermarsch!“ | |
| 2 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Viktoria Morasch | |
| Philipp Daum | |
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