# taz.de -- AfD als stärkste Partei in Sachsen: Verliebt in die Angst | |
> Wirklich regieren soll die AfD nicht, sagen viele in der Lausitz. Die | |
> Partei müsse aber mitreden und anderen „auf die Finger kloppen“. | |
Bild: Verspottet und verhasst: Wahlkampfauftritt von Angela Merkel in Sachsen a… | |
Großdubrau/ Großhartau taz | Nur ein einziges Wahlplakat hängt zwei Tage | |
nach den Wahlen noch in Großdubrau, einem Ort in Ostsachsen, nördlich von | |
Bautzen. Es stammt ausgerechnet von der NPD. „Arm trotz Arbeit“ steht | |
darauf, ein Slogan, der auch von der Linken stammen könnte. Denen ist | |
zumindest die Ernst-Thälmann-Straße erhalten geblieben, wie die Hauptstraße | |
von Großdubrau bis heute heißt. Bei der Bundestagswahl hat die Linke hier | |
nur noch elf Prozent der Zweitstimmen bekommen. Und auch wenn die | |
Gaststätte „Sonne“ seit Jahren geschlossen ist, deutet äußerlich sonst | |
nichts darauf hin, dass die AfD hier mit 42, 4 Prozent eines ihrer | |
Spitzenergebnisse in Sachsen erzielen konnte. | |
Wen man auch anspricht, niemand fühlt sich abgehängt hier im zweisprachigen | |
sorbischen Siedlungsgebiet, niemand klagt über wirtschaftliche Probleme. | |
Mal abgesehen von den typischen Klagen über die Benachteiligung der | |
Ostdeutschen bei Löhnen und Renten, und abgesehen davon, dass alles, was | |
östlich von Dresden liegt, sich vom Freistaat Sachsen ohnehin | |
stiefmütterlich behandelt fühlt. Obschon Ministerpräsident Stanislaw | |
Tillich aus der Gegend stammt. | |
„Besser geht es nicht!“, antwortet geradezu euphorisch ein sehr rüstiger | |
80-jähriger Mann auf die Frage nach der Infrastruktur. Seinen Beruf als | |
Malermeister übt er noch immer aus. Viele Selbständige gebe es im Ort, wer | |
wolle, finde Arbeit; zwei Supermärkte, drei Gaststätten, Ärzte, Apotheker, | |
Kindergarten, eine Grundschule. Die 2006 geschlossene Mittelschule hat als | |
Freie Pestalozzi-Oberschule wieder eröffnet. Bahnstrecke und Bahnhof wurden | |
1998 endgültig stillgelegt, aber Bautzen liegt nur zehn Kilometer entfernt. | |
Und nur zwei Kilometer entfernt haben schon DDR-Bürger gerne an der „Blauen | |
Adria“ Urlaub gemacht, einer ehemaligen Kaolin-Grube. | |
Wälder umgeben die insgesamt 20 Ortsteile Großdubraus bis heute. Etwa 4.200 | |
Menschen leben hier. Der Ortsname leitet sich vom sorbischen „Dubrawa“ ab, | |
was man mit „Eichenwald“ übersetzen könnte. Etwas vom Wald verdeckt finden | |
sich am Ortsrand doch Ruinen. | |
„VEB Elektroporzellan“ hieß die Margarethenhütte zu DDR-Zeiten, und der | |
Malermeister erhielt vom Werk als privater Handwerker reichlich Aufträge. | |
Einer der Vorzeigebetriebe der DDR, der als Hersteller von | |
Hochspannungsisolatoren zur Weltspitze gehörte und für gute Devisen vier | |
Fünftel seiner Produktion in den Westen exportierte. Nach der Währungsunion | |
1990 galt er somit aber auch als lästiger Konkurrent für den Westen und | |
wurde von der Treuhand unter Umständen plattgemacht, die die einst | |
tausendköpfige Belegschaft bis heute empören. | |
## Relative Stabilität | |
Sachsens Integrations- und Gleichstellungsministerin Petra Köpping (SPD) | |
kam auf einer ihrer Kummerkastentouren im Frühjahr auch hier vorbei. Ein | |
Museum, flankiert von zwei imposanten Isolatoren aus Keramik, erinnert an | |
die vergangene Zeit. Ehrenamtliche Helfer haben Blumen in die Öffnungen | |
gepflanzt, als handele es sich um ein Grab oder Ehrenmal. | |
Ein älterer Herr, der hier einst als Forschungsingenieur gearbeitet hat, | |
geht nicht zu den Kummertischen der SPD. „So ein Blödsinn, sich die alte | |
Zeit zurückzuwünschen“, knurrt er. Die neue Zeit, das ist das Apfelfest am | |
8. Oktober, für das er gerade am Kastanienhof im Ortskern plakatiert. Seine | |
Begleiterin empört sich, wie nach dem Einzug der AfD in den Bundestag über | |
die Partei hergezogen wird. Und dass Angela Merkel einfach so weitermachen | |
will. | |
Was sie ihr konkret vorwerfen? | |
Klagen wollen beide über die wirtschaftliche Situation im Ort eigentlich | |
nicht, und das drohende Ende der Braunkohle weiter nördlich beunruhigt in | |
Großdubrau auch niemanden. Aber dieser relative Wohlstand sei hart | |
erarbeitet worden, finden sie, einen Marshallplan und ein Wirtschaftswunder | |
habe es im Osten schließlich nie gegeben. | |
Für die Ausländer hingegen werde alles getan. „Wer reinkommt kriegt, ohne | |
einen Handschlag zu tun, alles“, wettert der ehemalige Ingenieur. | |
„Plötzlich sind Milliarden da“, fügt seine Begleiterin hinzu. | |
Wo denn die Flüchtlinge konkret stören? | |
„Gottseidank“ gibt es im Ort oder in der Umgebung gar keine, „aber man | |
sieht ja in Bautzen, was passiert, wenn Flüchtlinge kommen“, spielt der | |
Mann auf die Zusammenstöße am Kornmarkt zwischen Einheimischen und | |
Flüchtlingen an. Auf keinen Fall wollen sie die mühsam errungene Stabilität | |
aufs Spiel setzen, schon gar nicht No-go-Areas wie in anderen Bundesländern | |
bekommen. Staaten im Staate, wohin sich kein Polizist mehr traue. | |
„Deutschland zuerst für Deutsche“, sagt der Rentner. | |
## „Ein Deutscher will Klarheit“ | |
Großhartau, circa 30 Kilometer entfernt, liegt an der B6, zwischen Dresden | |
und Bautzen. SPD-Bürgermeister Jens Krauße rechnet den Ort noch zum | |
Dresdner Speckgürtel, weil viele vor hohen Mieten und Immobilienpreisen ins | |
Umland fliehen. Krauße ist ein sympathisch wirkender Typ, mit dem man | |
ebenso gern ein Bier trinken würde wie mit den beiden Männern von der | |
freiwilligen Feuerwehr nebenan. Auch ihnen geht es materiell gut. | |
„Überhaupt nicht abgehängt“, sagt der eine, „und trotzdem unzufrieden�… | |
Womit unzufrieden? Er grübelt etwas. „Es geht um die große Politik!“ Die | |
Flüchtlingskrise gehört dazu, obwohl der hauptberufliche Krankenpfleger | |
beste Erfahrungen mit ausländischen Hilfskräften und syrischen Ärzten | |
gemacht hat. „Aber es kommt auch viel Mist rein“, äußert er und verweist | |
auf „Terroristen und Wirtschaftsflüchtlinge“. Und schlecht informiert | |
gefühlt hat er sich 2015. „Ein Deutscher will Klarheit“, sagt er. | |
Alles solle bleiben wie gewohnt und vor allem sicher, sucht Großhartaus | |
Bürgermeister Krauße nach einer Erklärung. Die Verunsicherung der Menschen | |
angesichts der bedrohlichen Weltlage sei mit Händen zu greifen. „Die Leute | |
hatten sich nach dem Systemwechsel langsam eingerichtet, und nun geht es | |
schon wieder um große Veränderungen.“ Da seien die Ostdeutschen in der Tat | |
besonders leicht zu beunruhigen, meint Krauße, sie entwickelten schnell | |
Zukunftsängste – vor Moscheen ebenso wie vor weiteren Flüchtlingsströmen. | |
„Ein eingefrorenes politisches System holt die Bürger mit ihren | |
Befürchtungen nicht mehr ab.“ Die im Osten besonders unsichere Rente zieht | |
er als innenpolitisches Beispiel heran. | |
## Clevere AfD-Aufbauarbeit | |
Zurück in Großdubrau bestätigt eine das Laub vor ihrem Häuschen fegende | |
Rentnerin diesen Aspekt. „Ohne meinen Mann müsste ich jetzt unter der | |
Brücke kampieren“, sagt sie. Zu DDR-Zeiten hat sie wegen ihrer Kinder nicht | |
voll gearbeitet. Die AfD hat sie trotzdem nicht gewählt, sondern ist der | |
CDU treu geblieben, die in den katholischen Sorben immer eine Hausmacht | |
hatte. Eine junge Frau mit Kinderwagen hat das AfD-Ergebnis auch nur | |
kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen. Auch sie lebt gern hier, genau so wie | |
die auf den Bus wartenden Schüler der Oberschule. Auffallend wortkarg und | |
meinungslos sind sie, aber einem etwa Zwölfjährigen entfährt dann doch ein | |
„AfD – die ist cool!“. | |
Warum die AfD? Weiß nicht. Cool eben. | |
Ein älterer Mann steht vor seiner Garage. „Direkt schlecht geht es mir | |
nicht“, sagt er. Aber Stagnation beklagt er. „Es kümmert sich ja keiner | |
mehr.“ | |
Was ihn stört? Wucherndes Schilf, ungepflegte Wegeränder, die früher | |
ABM-Kräfte sauber hielten. Unsauber und stinkend ist oft auch die Luft, die | |
der Hütten-Zulieferer Alsical auf dem Gelände der ehemaligen | |
Margarethenhütte verbreitet. Und die Angst vor dem Wolf geht sowieso um in | |
der Lausitz. | |
## Einen Denkzettel verpasst | |
An den Außentischen des „Sächsischen Jäger“ sprechen zwei Radler aus der | |
Region beim Bier von einer „Denkzettelwahl“. „Mit Ansage“, erinnert sich | |
die Linken-Abgeordnete Caren Lay an ein Forum der Bundestagskandidaten, das | |
Anfang August im Saal der Gaststätte stattfand. Lay hat hier ihren | |
Wahlkreis. Gefühlt zwei Drittel Zustimmung hätte es für den AfD-Kandidaten | |
Karsten Hilse gegeben, der geschickt und wohlorganisiert von eigenen Leuten | |
aus dem Publikum befragt worden sei. Seit der Bundestagswahl 2013 hätte die | |
AfD gezielte Aufbauarbeit gerade in der vermeintlichen Krisenregion | |
Ostsachsen betrieben, glaubt Lay. Und 2017 hätten die digitalen Medien eine | |
besondere Rolle gespielt. Die AfD-Propaganda falle auf fruchtbaren Boden. | |
„Wo ein Wahlkampf mit Angst und Emotionen geführt wird, kann man ihm kaum | |
mit rationalen Argumenten begegnen“, sagt Lay, die über die Liste in den | |
Bundestag eingezogen ist. Das Direktmandat ging an Karsten Hilse, AfD. | |
Die Wirtin des blumengeschmückten „Sächsischen Jäger“ legt Wert auf | |
Neutralität und die Feststellung, dass es sich bei der Kandidatenbefragung | |
im August nicht um eine AfD-Veranstaltung gehandelt habe. | |
Paradoxerweise gehen auch die glühendsten AfD-Wähler zugleich auf Distanz. | |
Die neue Partei werde und solle auch nie an die Macht kommen, sagt der | |
Ingenieur der Margarethenhütte. „Aber punkten und mitreden und anderen auf | |
die Finger kloppen“ müsse sie schon. Der um sein Heimatgefühl bangende | |
Malermeister kann wiederum AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland überhaupt | |
nicht ausstehen. Und der Rentner vor seiner Garage erwartet von der AfD | |
überhaupt keine Abhilfe. „Eigentlich hätte man sie gar nicht wählen | |
dürfen“, sagt er, „denn die AfD hat kein richtiges Programm, keine Lösung… | |
und ist gespalten.“ | |
29 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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