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# taz.de -- UN-Untersuchungsbericht Chan Scheichun: Regime verübte C-Waffen-An…
> Die UNO legt sich fest: Der Giftgasangriff auf den syrischen Rebellenort
> Chan Scheichun wurde von der Regierung durchgeführt.
Bild: Erste Hilfe in Chan Scheichun, 4. April
Berlin taz | Das syrische Regime ist für den Chemiewaffenangriff auf den
Ort Chan Scheichun verantwortlich, bei dem am 4. April dieses Jahres
mindestens 83 Menschen getötet wurden. Dies ist eine der zentralen Aussagen
des neuesten Berichts der Untersuchungskommision des UN-Menschenrechtsrats
zur Lage in Syrien, der am Mittwoch vorgelegt wurde.
Der 32-seitige Bericht, der Menschenrechtsverletzungen in Syrien zwischen
März und Juli 2017 dokumentiert, enthält einen 10 Seiten umfassenden
Anhang, der den Hergang des Angriffes auf Chan Scheichun und die
Kontroversen darüber minutiös schildert und bewertet.
Gegen 6 Uhr 45 am 4. April 2018, so der Bericht, warf eine Sukhoi-22
(Su-22) der syrischen Luftwaffe bei zwei separaten Überflügen vier Bomben
auf den von Rebellen gehaltenen Ort Chan Scheichun, der in der Nähe der
Kriegsfront nördlich von Hama an einer der wichtigsten Überlandstraßen
Syriens liegt. Die Su-22, so die UN-Experten, sei leicht als solche zu
erkennen und werde in Syrien ausschließlich von der Luftwaffe der Regierung
eingesetzt.
Drei der Bomben verursachten laute Explosionen und Schäden am Boden. Die
vierte landete in einer Straße im Norden des Ortes, machte wenig Lärm und
schlug ein kleines Loch. „Das kleine Loch deutet auf eine Waffe hin, die
einen Kontaktzünder und eine kleine Sprengladung einsetzt, um chemische
Kampfstoffe freizusetzen“, so der Bericht. Teile der Bombe seien später
gefunden und identifiziert worden.
„Die chemische Bombe setzte eine Wolke frei, die sich über eine Entfernung
von 300 bis 600 Meter vom Einschlagsort ausdehnte und mindestens 83
Personen tötete, darunter 28 Kinder und 23 Frauen“, so der Bericht. Die
meisten Toten habe es innerhalb von 200 Metern südlich und westlich des
Einschlagsorts gegeben.
## Erst vergiftet, dann bombardiert
Die ersten medizinischen Kräfte, die nach dem Luftangriff eintrafen, hatten
keine Schutzkleidung dabei, zwei von ihnen starben. Weitere Teams kamen
besser ausgestattet. Die Opfer – insgesamt gab es 293 Verletzte, darunter
103 Kinder – wurden in Kliniken der Umgebung gebracht. Diese waren aber
nicht auf die Behandlung großer Zahlen von Chemiewaffenopfer vorbereitet.
Zum einen hatten syrische und/oder russische Flugzeuge am Abend des 2.
April das nahegelegene Krankenhaus in Maarat al-Numan gezielt bombardiert
und das Obergeschoss, wo sich die Intensivstation und weitere
Spezialstationen befanden, vollständig zerstört. Große Bestände an
Medikamenten, einschließlich das zur Stabilisierung von Chemiewaffenopfern
verwendete Atropin, wurden dabei vernichtet.
Zum anderen hatten viele Kliniken keine Abwehrstoffe gegen chemische
Vergiftung mehr, da nach der UN-überwachten Zerstörung der meisten
syrischen C-Waffen-Bestände in den Jahren 2013/14 verkündet worden war, es
gebe dafür keine Notwendigkeit mehr.
Mindestens 31 Opfer von Chan Scheichun wurden in die Türkei gebracht, wo
drei von ihnen starben. Die meisten wurden aber in das medizinische Zentrum
Al-Rahma in Höhlen in den Hügeln zwei Kilometer außerhalb von Khan
Scheichun gebracht.
Dieses wurde gegen Mittag von unidentifizierten Kampfflugzeugen dreimal
bombardiert, woraufhin viele der Giftgaspatienten hastig evakuiert werden
mussten. Bei den Angriffen auf Al-Rahma kamen möglicherweise Streubomben
zum Einsatz.
## Kein Depot der Rebellen
Ein Team der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) hatte
bereits kurz nach dem Angriff Autopsien der in der Türkei gestorbenen Opfer
beigewohnt sowie überlebende Opfer interviewt und Tests an in der
Anwesenheit von OPCW-Mitarbeitern gesammelten Proben durchgeführt, ebenso
Bodenproben aus Khan Scheichun, die die syrische Regierung zusammen mit
einem Video der Entnahme vor Ort zur Verfügung gestellt hatten. Alle
Untersuchungen wiesen den Einsatz von Sarin oder einer ähnlichen Substanz
nach, wie bereits Ende Juni die OPCW berichtete.
Es bestehe „kein Zweifel, das Sarin oder ein Sarin-ähnlicher Stoff in Khan
Scheichun am 4. April freigesetzt wurde, und dass er die Opfer tötete oder
verletzte“, heißt es jetzt auch im UN-Bericht. In einigen der Bodenproben
wurde auch Hexamin nachgewiesen, das in der Vergangenheit zu den von
Syriens Regierung deklarierten eigenen C-Waffen-Beständen gehörte und bei
Sarin-Einsätzen benötigt wird.
Das UN-Team beschäftigt sich schließlich mit den verschiedenen Versionen
des Tathergangs. Für die von offizieller Seite in Russland und Syrien
vorgetragene Behauptung, es sei ein Chemiewaffendepot der Rebellen
bombardiert worden, gebe es keine Beweise und diese Version sei auch nicht
nachvollziehbar.
„Hätte es ein Sarindepot gegeben, das von einem Luftangriff zerstört wurde,
dann hätte die Explosion den großen Teil der Kampfstoffe innerhalb des
Gebäudes abgebrannt oder es in den Schutt gezwungen, wo es absorbiert und
nicht in größeren Engen in die Luft freigesetzt worden wäre. Zweitens wäre
die Stelle noch heute schwer kontaminiert, wofür keine Beweise existieren.“
Schließlich seien die nachgewiesenen Spuren von Sarin nicht konsistent mit
dem Einsatz bereits gelagerter Kampfstoffe, für deren Freisetzung weitere
Stoffe nötig gewesen wären. „Wenn andererseits an der Stelle die einzelnen
Bestandteile von Sarin gelagert worden wären, hätte eine Zerstörung durch
Explosion kein Sarin in die Luft freigesetzt.“
## Eindeutig Kriegsverbrechen
Die russisch-syrische Behauptung spricht ferner von Angriffen zwischen 11
Uhr 30 und 12 Uhr 30 am 4. April, während der C-Waffen-Einsatz bereits
Stunden früher erfolgte. Der spätere Zeitpunkt passe aber zu den
Bombardierungen der medizinischen Einrichtungen in Al-Rahma, wo Opfer des
Chemiewaffeneinsatzes getötet wurden.
Dem UN-Bericht zufolge wurde also erst vom syrischen Regime, teils
möglicherweise mit russischer Unterstützung, am 2. April das wichtigste
Krankenhaus der Gegend aus der Luft zerstört, am Morgen des 4. April Chan
Scheichun mit Giftgas bombardiert und am Mittag des 4. April der wichtigste
Sammelpunkt für Opfer des Giftgasangriffes aus der Luft angegriffen. Dies
alles sind Kriegsverbrechen.
Außerdem erweist sich, dass Syriens Regierung ihre Selbstverpflichtung aus
dem Jahr 2013, all ihre Chemiewaffenbestände unter internationaler Aufsicht
zerstören zu lassen, nicht vollständig erfüllt hat. Neben Khan Scheichun
sei es im Berichtszeitraum März bis Juli 2017 zu noch zwei weiteren
Chemiewaffeneinsätzen gekommen.
Für ihren Bericht interviewten die UN-Exprten 43 Augenzeugen, Opfer,
Nothelfer, Mediziner und spätere Besucher des Tatorts. Sie sammelten auch
Satellitenbilder, Fotos der Bombenreste, Videos von den getroffenen Stellen
und Foto- und Videoaufnahmen der Opfer. Sie werteten auch die Erkenntnisse
der OPCW aus. Syriens Regierung ignorierte eine Bitte um Zusammenarbeit.
Der Giftgasangriff auf Khan Scheichun hatte die USA dazu bewogen, die
syrische Luftwaffenbasis Shayrat zu bombardieren, von wo aus die in dem Ort
eingesetzten Bomber aufgestiegen waren. Ende Juni hatte der
US-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh unter Verweis auf anonyme
US-Geheimdienstler in einem unter anderem von der Welt gedruckten Artikel
behauptet, es habe keinen Chemiewaffenangriff gegeben. Wenige Tage später
hatte die OPCW den Einsatz von Giftgas in Khan Scheichun bestätigt.
6 Sep 2017
## AUTOREN
Dominic Johnson
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