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# taz.de -- Syrische Diaspora nach dem Giftgasangriff: „Ich kenne fast alle O…
> Mittendrin, doch so weit entfernt: Wie geflohene Syrer den Giftgasangriff
> auf Chan Scheichun ohnmächtig von Deutschland aus erleben.
Bild: Gedenkveranstaltung in Istanbul anlässlich des Giftgasangriffes im syris…
Stuttgart taz | Wenn ich Nüsse esse, denke ich an Chan Scheichun. Und
sofort bin ich in Gedanken zurück in den Gassen dieser alten Kleinstadt
zwischen Aleppo und Hama. Ich spüre die leichte Brise, die dort das Leben
so angenehm macht, schließe meine Augen. Jetzt um diese Zeit ist es am
schönsten dort – der Frühling beginnt.
In Chan Scheichun kennt man sich, jeder begrüßt jeden. Fremde werden sofort
erkannt. Als Damaszener werde ich oft angesprochen und gefragt wo ich
wohne, ob ich Hilfe brauche. Es ist niemals unangenehm, immer herzlich.
Acht Tage sind vergangen seit dem Giftgasangriff auf Chan Scheichun. Heute
treffe ich Angehörige der Opfer. Ich treffe Ahmad und Hadi in Stuttgart.
Die beiden sind in Chan Scheichun geboren und aufgewachsen.
Ahmad ist 23 Jahre alt, er ist allein nach Deutschland geflohen. Seine
Familie blieb zurück. Am 4. April 2017 verlor er elf Familienangehörige.
Darunter vier Kinder und drei Frauen.
## „Ich kenne fast alle Opfer persönlich“
Ahmad will mir die Namen nennen, bricht aber immer wieder ab, er kann sie
nicht aussprechen, er weint. „Ich kenne fast alle Opfer persönlich. Wir
sind zusammen aufgewachsen, wir spielten auf den Straßen, gingen zusammen
in die Schule. Im ersten Moment dachte ich, auch meine Eltern wären unter
den Opfern. Zum Glück aber hielten sie sich zum Zeitpunkt des Angriffs in
einem anderen Stadtteil auf.“
Als Ahmad von dem Giftgasangriff erfährt, verfolgt er ununterbrochen
Nachrichten und sucht nach Namen der Opfer. Er kann nicht telefonieren, es
gibt kein Netz und wenn, dann nur schlechte Verbindung.
„Vier Stunden musste ich warten, bis ich endlich die Stimme meines großen
Bruders hörte. Im Hintergrund hörte ich schreiende Kinder und weinende
Frauen. Ich kann es immer noch nicht begreifen.“ Ahmads Stimme bricht
erneut.
Hadi ist 19 Jahre alt. Sein kleiner Bruder wurde am 4. April schwer
verletzt, die meisten Kinder, mit denen er in diesen Minuten zusammen war,
wurden getötet.
## „Es gibt seit einiger Zeit keine ärztliche Versorgung mehr“
„In Chan Scheichun gibt es seit einiger Zeit schon keine ärztliche
Versorgung mehr. Außerdem wurde einen Tag vor dem Giftgasangriff ein
Krankenhaus außerhalb der Stadt bombardiert. Mein Bruder hatte Glück, er
konnte in einer kleinen Praxis versorgt werden, viele andere Verletzte
starben, noch bevor ärztliche Untersuchung möglich war“, erzählt Hadi.
Als er über Facebook vom Schicksal seiner Familie erfährt, will er sofort
los. Los in die Türkei und von dort zurück nach Syrien. Er weiß, es ist
nicht möglich. Aber er will bei seiner Familie sein, bei seinem kleinen
Bruder. Er fühlt sich so ohnmächtig. Hier in der Ferne.
Wie so viele. In Gedanken sind sie jeden Tag in Syrien, bei ihren Familien.
Jeden Tag lesen, hören und sehen sie alles, was sie mit ihrer Heimat und
den Zurückgebliebenen verbindet. Sie telefonieren und schreiben so oft es
geht. Sie sind mittendrin – und doch so weit entfernt.
Der Autor wurde in Damaskus geboren und lebt seit knapp vier Jahren in
Deutschland, zur Zeit in Stuttgart. Er ist Journalist. Unterstützt wurde er
von dem in Aleppo geborenen Journalisten Mohamad Alsheikh Ali.
13 Apr 2017
## AUTOREN
Mahmoud Yousef Ali
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