# taz.de -- Die Linke vor der Bundestagswahl: Scharmützel im Saarland | |
> Der Linken-Landesverband ist zerstritten. Parteiikone Lafontaine und | |
> Teile der Basis verweigern dem Spitzenkandidaten die Unterstützung. | |
Bild: Thomas Lutze: „Seine Gegner möchten die Saar-Linke unter fünf Prozent… | |
Saarbrücken taz | Eigentlich gilt Burbach als ein gutes Pflaster für die | |
Linken. „Es ist ein sozialer Brennpunkt, viele leben hier von Hartz IV oder | |
Grundsicherung“, sagt Elmar Schwartz, 69. Mit einer Handvoll GenossInnen | |
hat er auf dem Wochenmarkt einen Wahlkampfstand aufgebaut. Sie verteilen | |
neben der Wahlkampfzeitung Brausetütchen und Lollis, natürlich in der | |
Parteifarbe Rot. Die Sonne scheint, doch die Stimmung ist trübe. „Ich wäre | |
wieder mal gerne stolz darauf, bei den Linken zu sein, was ich nicht kann – | |
wegen der Querelen“, sagt Schwartz. Ihn nervt der öffentlichen Grabenkrieg, | |
den die Saar-Linken seit Monaten führen. | |
Im Juni, bei der Entscheidung über den aussichtsreichen Listenplatz eins, | |
hatte sich der Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze gegen den | |
Landtagsfraktionsmitarbeiter Dennis Bard durchgesetzt. Doch trotz der | |
klaren Mehrheit für ihn tobt seitdem ein Flügelkampf. Ein Ende ist nicht in | |
Sicht. Die einen unterstützen den Kandidaten Lutze, die andern bestreiten | |
dessen rechtmäßige Wahl und erheben Manipulationsvorwürfe. Zwei Genossen | |
haben sogar das Landgericht angerufen. Hätten sie Erfolg gehabt, wäre die | |
im Saarland erfolgsgewohnte Linke vom Wahlzettel verschwunden. Große Teile | |
der Partei verweigern dem Kandidaten Lutze jede Unterstützung. | |
Die Burbacher GenossInnen wollen sich für ihren Spitzenkandidaten offenbar | |
auch nicht auf die Straße stellen. Der Lutze-Unterstützer Elmar Schwartz, | |
der den Linkenstand auf dem Burbacher Markt organisiert hat, ist aus dem | |
Nachbarort Altenkessel angereist. „Seine Gegner möchten die Linke im | |
Saarland unter fünf Prozent drücken. Dann ist der Lutze weg“, sagt Schwartz | |
und er verrät auch, wer nach seiner Ansicht nach den Plan ausgeheckt hat: | |
„Der Oskar ist der Drahtzieher.“ | |
Dass Oskar Lafontaine nicht allzu viel von Thomas Lutze hält, ist bekannt. | |
Lutze stammt aus Leipzig und fremdelt nicht nur sprachlich. Anders als | |
Lafontaine gehört er zum Reformerflügel der Partei. Lafontaine hatte Lutze | |
schon vor der Bundestagswahl 2013 als Spitzenkandidat verhindern wollen. | |
Statt Lutze wollte er die ehemalige Weltklassetennisspielerin Claudia | |
Kohde-Kilsch auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl sehen. | |
Sie fiel durch, warb dann für die Lafontaine-Vertraute Yvonne Ploetz, die | |
bei einer Stichwahl gegen Lutze zur Siegerin erklärt wurde. | |
Dann wurden Vorwürfe laut, Stimmzettel seien falsch zugeordnet worden. | |
Lutze erzwang eine notarielle Nachzählung, die ihn mit sieben Stimmen vorne | |
sah. Der Parteitag musste schließlich wegen „Formfehlern“ wiederholt | |
werden. Lutze gewann abermals. Im Wahlkampf verweigerte ihm der geschlagene | |
Lafontaine die Unterstützung. | |
## Lutze muss ohne Unterstützung für sich werben | |
Bei der Listenaufstellung zur Landtagswahl 2016 gab es wieder Streit. Oskar | |
Lafontaine hatte seine Spitzenkandidatur davon abhängig gemacht, dass sein | |
langjähriger Weggefährte Jochen Flackus auf aussichtsreicher Position | |
platziert würde. Der Parteitag folgte ihm und wählte Flackus auf Platz zwei | |
der Landesliste, die nach der Satzung eigentlich mit einer Frau hätte | |
besetzt werden müssen. Wieder hieß die Verliererin Kohde-Kilsch. | |
Beim letzten Listenparteitag der saarländischen Linken kandidierte nun | |
Dennis Bard gegen Thomas Lutze. Er bestritt, Lafontaines Kandidat zu sein, | |
räumte aber ein, mit seinem Dienstvorgesetzten über seine Kandidatur | |
gesprochen zu haben. Lutze setzte sich im ersten Wahlgang mit 57 Prozent | |
der Stimmen durch. | |
Zu den Querelen schweigt Lafontaine. Am 19. September tritt er in | |
Saarbrücken mit seiner Frau Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der | |
Linken-Bundestagsfraktion, auf. Allerdings wird Lutze, der örtliche | |
Spitzenkandidat, beim Wahlkampffinale nicht auf der Bühne stehen. So war es | |
auch Anfang August bei einer gut besuchten Veranstaltung mit Gregor Gysi. | |
Lutze muss ohne die Unterstützung der Parteiprominenz für sich werben. | |
## Lutze half Mitgliedern finanziell | |
An diesem Markttag erscheint der saarländische Linken-Spitzenkandidat gegen | |
Mittag am Wahlkampfstand seiner Partei. Er holt erst einmal Kaffee für die | |
GenossInnen und verteilt ein paar Handzettel. Mit Markthändler Buttar Toqee | |
kommt Lutze ins Gespräch. Der Mann, der auf dem Markt Textilien verkauft, | |
plädiert für höhere Renten für Frauen, die Kinder großgezogen haben. Da ist | |
man sich schnell einig. „Straßenwahlkampf ist nicht gerade meine Stärke“, | |
bekennt Lutze dennoch. „Ich bin zwar der größte Abgeordnete im Deutschen | |
Bundestag, aber wenn ich die Leute anspreche, mit meinen 2,04 Metern, dann | |
bekommen sie Angst.“ | |
Dass ihm parteiinterne GegnerInnen vorwerfen, beim Listenparteitag mit Geld | |
Stimmen gekauft zu haben, findet er absurd. „Nicht einer hat sich gemeldet | |
und gesagt, der Lutze hat mich bezahlt“, sagt er und versichert: „Ich habe | |
jetzt nur Wahlkampf im Kopf und versuche das zu trennen.“ Die heftigen | |
Attacken einzelner GenossInnen kommentiert er gelassen: „Wir leben in einem | |
freien Land.“ Im Gespräch räumt Lutze allerdings ein, dass er Mitgliedern | |
mit Geld ausgeholfen hat, um deren fällige Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. | |
„Bevor jemand aus der Partei wegen Geldmangels rausgeschmissen wird, hilft | |
man schon mal, das hat die Landesvorsitzende auch schon mal getan“, sagt | |
Lutze. | |
## „Ein Geschmäckle“ | |
Die Landesvorsitzende, die Landtagsabgeordnete Astrid Schramm, empfängt die | |
taz in einem Besprechungsraum im Landtagsgebäude. „Ja“, sagt sie, „ich h… | |
auch schon mal einem Mitglied geholfen, das seine Beiträge nicht bezahlen | |
konnte, aber nicht unmittelbar vor einem Wahlparteitag, auf dem es um | |
Stimmen ging.“ Wenn ein Schatzmeister, das ist Thomas Lutze im Saarland, | |
selbst in die von ihm verwaltete Kasse Beiträge für Dritte einzahle, „hat | |
das nicht zumindest ein Geschmäckle?“, fragt Schramm. Im parteiinternen | |
Schiedsverfahren über den Wahlparteitag und später bei der Verhandlung vor | |
dem Landgericht sei es ihr nur um Aufklärung gegangen. „Wir hatten die | |
Vorwürfe wegen angeblichem Stimmenkaufs 2009, 2013 und jetzt wieder. Solche | |
Vorwürfe müssen doch restlos aufgeklärt werden!“, sagt sie. | |
Ihr Landesgeschäftsführer Andreas Neumann sieht das anders. Die Vorsitzende | |
habe sich vor Gericht und Schiedskommission nicht überzeugend für den | |
Bestand der Liste eingesetzt, sie habe im Saarland sogar den Ausschluss von | |
der Bundestagswahl riskiert, wirft er ihr vor. Im Gegenzug erklärt die | |
Landesvorsitzende der taz, sie habe kein Vertrauen mehr zu ihrem | |
Landesgeschäftsführer. Bei den Sitzungen der Wahlkampfkommission treffen | |
sie sich regelmäßig und müssen dennoch zusammenarbeiten. | |
## Gezielte Sabotage? | |
Doch es geht noch härter. Andrea Neumann und Thomas Lutze haben inzwischen | |
formal den Parteiausschluss von Adolf Loch, dem Schriftführer des | |
Landesvorstands, beantragt. Loch hatte zusammen mit einem Mitstreiter das | |
Ergebnis des Listenparteitags angefochten, zunächst vor der | |
Landesschiedskommission, dann vor Gericht. Das Saarbrücker Landgericht wies | |
seine Klage aber aus formalen Gründen zurück. | |
An der Person Loch scheiden sich die Geister. Den einen gilt er als | |
aufrechter Kämpfer für Redlichkeit, die anderen werfen ihm | |
parteischädigendes Verhalten vor. Lutze selbst sprach sogar von „gezielter | |
Sabotage“. Die Vorwürfe sorgten für Negativschlagzeilen. Laut Loch habe | |
Lutze Mitgliedern für die Fahrt zum Parteitag Geld bezahlt, bei der | |
entscheidenden Abstimmung hätten Lutzes Unterstützer Wahlzettel | |
kontrolliert, ob das Kreuz an der „richtigen“ Stelle war. | |
## „Wir haben zu viele Clowns“ | |
Die qua Amt zur Neutralität verpflichtete Landeswahlleiterin des Saarlands, | |
Monika Zöllner, ließ die Liste der Linken zwar am Ende zu, äußerte | |
gleichzeitig aber „sehr große Zweifel“ daran, dass beim fraglichen | |
Wahlparteitag alles mit rechten Dingen abgelaufen sei. Das „Herbeischaffen | |
von Unterstützern und die Beratung von Neumitgliedern“ sei zwar zulässig, | |
so die Landeswahlleiterin, das „Maß des zulässigen politischen Werbens“ s… | |
bei der Linkenversammlung jedoch „deutlich überschritten“ worden. Das war | |
allenfalls ein Freispruch dritter Klasse. „Wir sind mit einem blauen Auge | |
davongekommen“, kommentierte denn auch die Linken-Landesvorsitzende Schramm | |
die knappe Entscheidung und versprach weitere Aufklärung. | |
Über die Ausschlussanträge gegen Loch und einen seiner Mitstreiter muss | |
jetzt die Landesschiedskommission entscheiden. Deren Vorsitzender, Nikolaus | |
Leo Staut, sagte der taz: „Ich muss dafür sorgen, dass Ruhe reinkommt in | |
den Stall.“ Er fügte hinzu: „Jeder Zirkus hat einen Clown, wir haben zu | |
viele davon.“ | |
Der taz liegt eine E-Mail vor, die Staut an Vertraute geschickt hat. In | |
diesem Text ergreift der Kommissionsvorsitzende Partei. Staut spricht da | |
von „Schädigern“, nennt dabei namentlich die Landesvorsitzende und zwei | |
ehemalige Landtagsabgeordnete. Entschlossen warnt er Lutzes GegnerInnen: | |
„Anschnallen, der Krieg ist eröffnet.“ Nachfragen zur Vereinbarkeit eines | |
derartigen Texts mit der Neutralitätspflicht der Schiedskommission blieben | |
unbeantwortet. | |
## Sie beschimpfen sich gegenseitig | |
Am Wahlkampfstand auf dem Burbacher Markt fragt die taz Spitzenkandidat | |
Lutze nach der E-Mail. Schließlich ist Staut auf seiner Seite. „Da sind ihm | |
wohl die Nerven durchgegangen“, sagt Lutze, schließlich habe der | |
Schiedskommissionsvorsitzende unter erheblichem Druck gestanden. Staut | |
versichert, er wolle über die Ausschlussanträge noch vor der Bundestagswahl | |
entscheiden. Nach dieser Vorgeschichte dürfte der Streit mit Sicherheit bei | |
der nächsten Instanz, der Bundesschiedskommission, landen. | |
Unterdessen posten die Kampfparteien gegenseitige Vorwürfe und | |
Beschimpfungen im Netz. Die Landesvorsitzende Schramm und ihre | |
Mitstreiterinnen werden als die „Hofdamen von Klein-Napoleon“ geschmäht. | |
Vom Landesgeschäftsführer Neumann werden Fotos verschickt, die ihn im Wichs | |
der nichtschlagenden Studentenverbindung „Carolus Magnus“ zeigen, mit | |
Traditionsfahne und Degen. Damit soll er offenbar diskreditiert werden. | |
## Es bleibt nicht mehr viel Zeit | |
Der Vorsitzende der Schiedskommission Staut habe Probleme mit der Justiz, | |
wird verbreitet. Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken einen | |
Strafbefehl über 50 Tagessätze zu je 30 Euro gegen Staut beantragt. Er habe | |
zugunsten seines früheren Lebenspartners falsche Aussagen bei der | |
Ausländerbehörde gemacht, so der Vorwurf, der demnächst vor dem Amtsgericht | |
Lebach verhandelt werden soll. | |
Mit dem Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine holten die Linken an der Saar | |
bei der Bundestagswahl 2009 mehr als 20 Prozent. 2013 waren es mit Thomas | |
Lutze an der Spitze nur noch 10 Prozent. Mindestens 6,5 Prozent der | |
Zweitstimmen benötigt der Kandidat diesmal, sonst verliert er sein | |
Bundestagsmandat. Er persönlich habe für einen solchen Wahlausgang keinen | |
Plan B, „sonst könnte ich keinen Wahlkampf machen“, versichert Lutze. | |
Seine MitstreiterInnen auf dem Burbacher Markt sprechen unterdessen neue | |
Termine ab. Sie wollen Plakate aufhängen und Infostände organisieren, vor | |
allem dort, wo die GenossInnen die Wahlkampfunterstützung verweigern. Es | |
bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum 24. September. | |
7 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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