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# taz.de -- Neuer Roman von Salman Rushdie: Signale aus einer finsteren Welt
> Wir leben im Zeitalter der Identität: Salman Rushdies vollmundiger Roman
> „Golden House“ rechnet mit der Gegenwart ab.
Bild: Wenigstens diese Identität ist sicher: Das ist der Trump Tower in New Yo…
Irgendwer hat mal behauptet, Salman Rushdie sei der berühmteste
Schriftsteller der Welt. Gut möglich, kennen ihn seit der gegen ihn
gerichteten Fatwa doch auch Nichtleser in aller Welt. Wie dem auch sei, ein
neuer Roman aus dem Hause Rushdie ist in jedem Fall ein Ereignis: „Golden
House“ erscheint jetzt zeitgleich auf Englisch und auf Deutsch.
Darin liest er der Gegenwart gehörig die Leviten, mit allen Mitteln der
Kunst versteht sich. Es beginnt mit der Amtseinführung von Barack Obama und
endet, als Donald Trump schon als 45. Präsident der Vereinigten Staaten
hantiert.
Der Hauptteil der Handlung spielt in New York, wo der Erzähler des Buchs,
René Unterlinden, als Professorensohn aufwächst und wo sich auch der
indische Mafioso Nero Golden mit seinen drei Söhnen niederlässt. Wie
Rushdie selbst stammen die Goldens aus Bombay, dem heutigen Mumbai. Ihr
Wechsel in die Neue Welt ist mit dem Wunsch verbunden, im Ausland ein neuer
Mensch zu werden, die Identität zu wechseln wie ein fadenscheinig
gewordenes Hemd.
Zeiten des Übergangs, Metamorphosen, bilden den Glutkern in Rushdies neuem
Roman, der uns bescheinigt, im Zeitalter der Identität zu leben. Wer bin
ich, und wer entscheidet darüber? Dabei belässt er es nicht bei den
Verwandlungen, die Emigranten, Exilanten und Flüchtlinge in der neuen
Heimat erfahren, sondern weitet das Thema auf Transgender-Diskurse,
Drogenerfahrungen, Kunst und Kultur aus. So hadert der jüngste der drei
Söhne von Nero Golden mit seinem eigenen Geschlecht beziehungsweise der
Zugehörigkeit zu nur einem.
## Bigger Than Life
Rushdie zieht das Thema in all seiner politischen Korrektheit durch den
Kakao, aber eben nicht nur. Gleichzeitig blickt er auf die großen Mythen
der Menschheitsgeschichte, in den hinduistischen Götterhimmel oder ins
antike Griechenland, verknüpft dieses mit jenem und alles mit seiner Sicht
auf die Welt. Das Androgyne, Uneindeutige, Hybride erscheint dabei als
Zeichen der Zeit, in der wir leben.
Wobei sich auch der Roman selbst als ein solcher Hybrid entpuppt, paart
Rushdie doch Gangstergeschichte und Familienroman, verbändelt die
Raffinessen von Hitchcock und Shakespeare, erzählt diverse
Liebesgeschichten, mal zart, mal hart, und entlarvt die amerikanische
Realpolitik als moderne Geistergeschichte.
Rushdie-Leser kennen das, sein üppiges, spöttisches, ironisches Erzählen,
das Länder, Textsorten, Bezugsrahmen, Haltungen mischt, bis sich Realität
und Fantasie, Buch und Welt nicht mehr trennen lassen. Immer nach der
Devise: bigger than life.
Nero Golden weist dabei so einige hässliche Ähnlichkeiten mit Donald Trump
auf, das Protzige, die zu barbiehafte Ehefrau, das neureiche
Feldherrengehabe. Doch auch der richtige Trump tritt in Erscheinung, bei
Rushdie firmiert er in Anlehnung an den bösen Clown aus den Batman-Comics
bzw. -Filmen als Joker, während Hillary Clinton als Batwoman daherkommt.
Der in New York lebende Rushdie rechnet also ab mit dem neuen Mann im
Weißen Haus und mit einer Gegenwart, die weit schlimmer scheint, als man es
sich ausdenken könnte. Dabei mästet er die Wirklichkeit mit Fiktion und
unterfüttert jedes Hirngespinst mit Fakten. Es ist eine Art Weltenbrand,
die er inszeniert, womit er dezidiert pessimistische Signale aus einer
finsteren Welt sendet, wobei er diesmal traurige Töne anschlägt, etwa wenn
er darüber schreibt, wie die Schönheit des Wissens gerade in Misskredit
gebracht wird.
Nicht zufällig ist sein Ich-Erzähler ein Filmemacher, denn der ganze Roman
lässt sich auch als Liebeserklärung ans Kino lesen. Auf fast jeder Seite
finden sich Querverweise, Filmzitate, Cameoauftritte. Kein Wunder bei einem
Sohn der filmverrückten Stadt Mumbai. Immer wieder schaltet sein Roman, der
bei Licht betrachtet auch der Film ist, an dem der Erzähler René
Unterlinden arbeitet, in den Drehbuchmodus. Kurz: Rushdies neuer Roman
gleicht tollstem Breitwandkino.
Alles zieht er auf die Megaebene, wo sich seine Exkurse als Exkursionen in
aufregende Gegenden erweisen. Natürlich lotst er die Leser auch in seine
Geburtsstadt Mumbai, zieht Linien von dort nach New York, bezieht sich mal
auf Kafka, mal auf Fritz Lang und integriert Märchengestalten wie Michael
Jackson mit links in sein geschichtsträchtiges, gegenwartsgesättigtes und
mit allen Genres jonglierendes Werk. Rushdie ist ein manischer und ein
genuiner Erzähler, gegen dessen vollmundige Sprachmacht sich die deutsche
Übersetzung von Sabine Herting ein bisschen blass und kleinlaut liest.
Seinen Erzähler René lässt Rushdie an einer Stelle sagen: „Mein bevorzugter
Stil sollte etwas sein, das ich für mich opernhaften Realismus nannte.“
Opernhafter Realismus trifft es gut, wobei man bei Rushdie nie sicher sein
kann, wo das Bühnenleben aufhört und die Wirklichkeit beginnt. Die
Tatsache, dass zwei so unterschiedliche Männer wie Barack Obama und Donald
Trump nacheinander dasselbe Amt bekleiden, hätte sich schließlich nicht
einmal Salman Rushdie ausdenken können. Oder anders gesagt: Gegen die real
existierende Weltlage scheint magischer Realismus nichts als die Wahrheit.
10 Sep 2017
## AUTOREN
Shirin Sojitrawalla
## TAGS
Salman Rushdie
Identität
Roman
Spielfilm
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Fatwa
Frank-Walter Steinmeier
Salman Rushdie
Schwerpunkt Iran
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