# taz.de -- Salman Rushdie in Berlin: Kein Gott, kein Staat, viel Kaffee | |
> Salman Rushdie sprach im Haus der Berliner Festspiele ein bisschen über | |
> sein neues Werk. Viel mehr Redezeit widmete er jedoch der Weltlage. | |
Bild: Salman Rushdie, hier bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse im Okto… | |
Salman Rushdie hat zwar die Erkältungswelle erwischt, aber er ist dennoch | |
gut in Form. Nur die Pointen klingen etwas nasaler als sonst. „Ich weigere | |
mich, den IS einen Staat zu nennen, denn er ist kein Staat“, sagt der | |
68-Jährige, auf dem Podium des Hauses der Berliner Festspiele sitzend. | |
„Nennen wir sie doch einfach Bastarde.“ | |
Der Abend ist schon fortgeschritten, man befindet sich mitten in einer | |
Debatte über die Genese des gegenwärtigen islamistischen Terrors. Es wird | |
einem bewusst, dass es in diesen Tagen doppelt wertvoll ist, wenn eine | |
Person wie Rushdie sich kämpferisch und angriffslustig gibt. Immer wieder | |
brandet Applaus auf. | |
Gut eine Woche nach den Ereignissen von Paris stellt der britisch-indische | |
Schriftsteller Salman Rushdie, seit Jahrzehnten eine der meistgehassten | |
Figuren der islamischen Welt, am Samstagabend seinen neuen Roman „Zwei | |
Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ in Berlin vor – und die | |
eigentliche Premiere wird dabei zur Nebensache. | |
Nicht nur, weil man doch hin und wieder Hintergedanken an Paris hegt, | |
während man im fast voll besetzen Saal sitzt, oder sich dabei erwischt, wie | |
man über die Gefährdungslage sinniert. Auch, weil man gespannt ist, wie | |
Rushdie, über den nach Veröffentlichung seines islamkritischen Buchs „Die | |
satanischen Verse“ 1989 im Iran eine Fatwa verhängt wurde und wegen dessen | |
Auftritt bei der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt das Mullah-Regime | |
Verlage zurückpfeift, auf den zweiten Anschlag in Paris binnen elf Monaten | |
reagieren würde. | |
## Über Krieg zwischen Religion und Vernunft | |
In dunklem Anzug gekleidet, mit der Geste eines gewitzten Professors stellt | |
Rushdie dabei fest, dass „die Lebensfreude selbst zum Feind der Terroristen | |
geworden ist“ (“Happyness itself is the enemy“). Auch er glaubt, dass man | |
sein Lebensmodell am besten verteidige, indem man im Alltag so weiterlebe | |
wie bisher: „Der beste Hashtag zu Paris war ‚#JeSuisEnTerrasse‘“, sagt … | |
„wir sitzen weiter in den Cafés“ – so müsse man dem Terror begegnen. | |
Nachdem Charlie Hebdo im Januar angegriffen worden war, hatte Rushdie | |
gesagt: „Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird, wenn | |
sie mit modernen Waffen kombiniert wird, zu einer echten Gefahr unserer | |
Freiheiten.“ | |
In Rushdies kürzlich erschienenem Roman, über den die Moderatorin Johanna | |
Adorjan (FAS) zu Beginn des Abends mit dem Schriftsteller spricht, geht es | |
auch um einen Krieg zwischen Religion und Vernunft – der aber ist verpackt | |
in eine überdreht-surreale Fiktion, in der die islamischen Fabelwesen der | |
Dschinn in das irdische Leben eingreifen (und jede Menge Sex haben, auch | |
mit den merkwürdigen menschlichen Wesen, auf die sie dort stoßen), in der | |
die Grundordnung und das Grundverständnis der monotheistischen Religionen | |
genüsslich durcheinander gewirbelt wird. Gleichzeitig spielt „Zwei Jahre, | |
acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ – macht zusammen 1001 Nacht – eben | |
auf den Erzählungsklassiker der arabischen Welt an. | |
„Full of crazy stuff“ seien diese Erzählungen, meint der Autor selbst – … | |
liest sogleich einige Passagen daraus auf Englisch, während der | |
Schauspieler Tom Wlaschiha längere Auszüge auf Deutsch vorträgt –, er liest | |
gut, ab und an ein bisschen zu kühl – professionell. Spannend sind auch die | |
Gespräche über den Entstehungsprozess des Romans, der wie viele | |
Vorgängerwerke des Autors religiösen Fanatismus und Totalitarismus als | |
zentrales Problem der Gegenwart beschreibt. | |
Rushdie sagt, als er vor vier Jahren angefangen habe zu schreiben, habe man | |
Isis in erster Linie für eine ägyptische Göttin gehalten – in der | |
Zwischenzeit habe die Realität die Fiktion eingeholt. Die Geschichten aus | |
1001 Nacht habe er schon als Kind von seinem Vater vorgelesen bekommen – | |
dass sie so reichhaltig seien, dass es darin auch mal um Menschliches, | |
Allzumenschliches wie Fürze gehe, habe ihn schon immer dafür eingenommen. | |
## Albern und analytisch | |
So switcht der in Erzähllaune mittig auf der Bühne sitzende Rushdie gekonnt | |
zwischen Albernem und Politisch-Analytischem, kapituliert ganz sicher nicht | |
vor den Dschihadisten, aber davor, ihre Motive rational nachvollziehen zu | |
können: „Ich verstehe nicht wirklich, warum im Westen lebende Menschen, so | |
niedergeschlagen sie auch immer sein mögen, sich dem anschließen“, sagt er, | |
„besser als in Mossul ist das Leben hier ganz sicher.“ | |
Nach anderthalb Stunden Lesung ist die Stimmung gelöster, trotz langer | |
Schlangen an der Garderobe – es war vorgeschrieben, Jacken und Taschen | |
abzugeben – freute man sich, dass wieder etwas Normalität einkehrt. Die | |
eine oder der andere mögen noch zur Signierstunde gepilgert sein. | |
Moderatorin Adorjan wies kurz noch darauf hin: Jeder nur ein Autogramm, | |
möglichst nur auf Papier, und nicht auf Unterarme. Wobei, denkt man da so | |
bei sich, so ein geschwungener Rushdie würde sich in diesen Tagen auch ganz | |
gut auf der Haut machen. | |
22 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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