| # taz.de -- Mahnwache gegen „Ende Gelände“: Protest gegen den Protest | |
| > Bergleute demonstrieren mit einer Kundgebung gegen die angebliche | |
| > „Gewalttätigkeit“ der KlimaschützerInnen. | |
| Bild: Bisher sieht alles friedlich aus | |
| Jackerath/Erkelenz taz | Was tut man, wenn man gerade einen Aufreger | |
| braucht, es aber keinen gibt? Man denkt sich einen aus. So wie [1][Jens | |
| Spahn] die englischsprechenden Hipster und ihre „kulturelle | |
| Selbstverzwergung“ in Berlin. Ganz ähnlich hat die Gewerkschaft IG BCE im | |
| rheinischen Braunkohlerevier der „Gewalt“ von KlimaschützerInnen in diesen | |
| Tagen den Kampf angesagt. Davon nämlich hat sie die „Schnauze voll“ – so | |
| das Motto ihrer 24-stündigen Mahnwache am Rand des Tagebaus Garzweiler. Die | |
| Aktion ist ihre Erwiderung auf das [2][„Ende Gelände“-Klimacamp]. Während | |
| sich dort, einige Kilometer weiter westlich, am Donnerstagmittag rund 3.000 | |
| KohlegegnerInnen auf die geplanten Besetzungen des Tagebaus vorbereiten, | |
| entzünden die Kumpel an der Autobahnabfahrt Jackerath ein „Mahnfeuer“. | |
| Dabei sprechen sie weniger von Arbeitsplätzen oder Kohle, dafür umso mehr | |
| über drohende „Gewalt“ gegen Kumpel. Die Sonne scheint, etwa 100 Männer in | |
| Warnwesten haben sich versammelt, in Metallschalen kokeln Holzscheite, | |
| daneben grillt ein Bergmann. „Wir für Deutschland“, steht auf einem Plakat, | |
| das über ihm hängt. „Wir müssen raus aus den Betrieben, unsere Belange | |
| klarmachen“, sagt Walter Butterweg. 1979 kam er zur Rheinbraun AG, die | |
| heute RWE Power heißt, seit 2005 ist er freigestellter Betriebsrat. „Wenn | |
| wir von Gewalt sprechen, dann meinen wir die körperliche Unversehrtheit von | |
| unseren Kollegen.“ | |
| Bei den zurückliegenden Klimacamps, 2015 und 2016, sei zwar kein einziger | |
| Bergmann zu Schaden gekommen, räumt Butterweg ein. Aber das könnte sich ja | |
| ändern. Butterweg und andere verweisen immer wieder auf Sabotageaktionen | |
| von KohlegegnerInnen im weiter südlich gelegenen Hambacher Wald, der für | |
| einen weiteren Tagebau gerodet werden soll. | |
| Denn schließlich, bei ihrem jetzt startenden Camp, hätten die | |
| UmweltschützerInnen eine „rote Linie“ angekündigt, sagt der IG BCE-Sekret… | |
| Manfred Maresch. „Das macht uns Sorgen.“ Gegen „Meinungsäußerung“ hä… | |
| niemand was, im Gegenteil, „das finden wir toll,“ aber: „Bitte gewaltfrei… | |
| Immer wieder versichern die Bergleute, sie wollten die Camper „nicht alle | |
| mit Straftätern gleichsetzen“. Andererseits: „In der Masse gehen die | |
| Straftäter unter.“ | |
| So wollen die Bergleute den UmweltschützerInnen in diesen Tagen begegnen: | |
| Sie in die Nähe von Militanten rücken und so unter Druck setzen – eine nach | |
| den G20-Krawallen womöglich erfolgversprechende Strategie. Die Gewaltfrage | |
| sei „bei denen schließlich eine schwierige Diskussion“, sagt Maresch. Zwar | |
| hätten die Aktivisten sich zu einem „Aktionskonsens“ verpflichtet, der die | |
| „Gefährdung von Menschen“ ausschließt. „Das finden wir gut“, sagt Mar… | |
| Aber sie wollen mehr: „Eine absolute Distanzierung von dem was im Hambacher | |
| Forst passiert.“ | |
| ## Ziviler Ungehorsam interessiert sie nicht | |
| Die Aktionen, die die CamperInnen für dieses Wochenende angekündigt haben, | |
| fallen jedoch in eine andere Kategorie: Ziviler Ungehorsam. Sitzblockaden | |
| etwa. Wie finden die Bergleute das? „Das klammern wir immer aus,“ sagt | |
| Maresch. „Das ist nicht unsere Diskussion. Das sind ja auch Straftaten, | |
| aber das muss die Polizei entscheiden.“ | |
| Tatsächlich aber reden die KohlearbeiterInnen und die KohlegegnerInnen viel | |
| mehr miteinander, als man vermuten könnte. 2016 wurden Butterweg und zwei | |
| weitere Kumpel auf das letzte Klimacamp eingeladen. „Da haben wir unsere | |
| Positionen persönlich klargemacht, das war eine angenehme Atmosphäre, null | |
| Agressivität“, sagt er. Maresch hat in den vergangenen Tagen das Camp des | |
| BUND und eine Podiumsdiskussion im Camp besucht. „Das ist neu, dieses | |
| Verhältnis“, sagt er. Und auch jetzt, zum Beginn der Mahnwache sind zwei | |
| der CampsprecherInnen gekommen. „Den Milan und die Janna, die kennen wir | |
| schon,“ sagt Maresch, „die haben wir zum diskutieren eingeladen.“ | |
| Inhaltlich näher, so stellen die Bergleute klar, kommt man sich allerdings | |
| nicht: „Wir haben da keinen Konsens, keine einheitliche Meinung“, sagt | |
| Maresch. „Die wollen eine andere Welt, aber das ist nicht unsere“, sagt | |
| Butterweg. Denn zur Welt, die die Kumpel wollen, gehört der Tagebau dazu. | |
| „Manche von den Klimaschützern sagen ja: Das soll nicht eure Sache sein. | |
| Ihr kriegt Geld und wir machen das Ding zu. Aber das wollen wir nicht. Das | |
| ist ein Lebensgefühl für uns. Wir identifizieren uns mit unserer Arbeit.“ | |
| Im Camp selbst, einer etwa zwei Fußballfelder großen Wiese, die von | |
| rot-gelben Zirkuszelten und ein paar hohen, alten Bäumen begrenzt wird, ist | |
| die Stimmung am Donnerstag gelöst und entspannt. Schon jetzt sind mehr als | |
| 2.000 Menschen vor Ort, die meisten zwischen 20 und 40, viele sitzen auf | |
| dem strohbedeckten Boden. Ein paar sind barfuß, andere tragen feste | |
| Wanderschuhe, viele Wollpullis. „Ziemlich hippiesk“, sagte eine 20-Jährige | |
| aus Dänemark und schaut sich um. „Aber irgendwie auch politisch genug, dass | |
| ich mich hier wiederfinde.“ | |
| Aus ganz Europa sind Menschen angereist, bei den Plena oft zu erkennen an | |
| kleinen Radios, die sie sich an die Ohren halten und über die die | |
| Simultanübersetzung übertragen wird. Aus Dänemark und Großbritannien sind | |
| ganze Busse mit AktivistInnen gekommen, eine rund zehnköpfige Gruppe ist 18 | |
| Tage lang von Wien bis ins Rheinland geradelt, um die Anreise zum Klimacamp | |
| auch CO2-neutral zu gestalten. | |
| ## Vorbereitung auf gewaltfreie Aktionen | |
| Schon vormittags herrscht Betriebsamkeit, kleinere und größere Gruppen | |
| besprechen sich, in welchen „Fingern“, so nennen sich einzelne Teile der | |
| Aktion, sie mitlaufen wollen. Viele stopfen Stroh in gelbe und rote | |
| Netzsäcke, die sie später zum Schutz in die Aktion mitnehmen wollen, | |
| bemalen weiße Baumarktanzüge oder Regenschirme oder packen Proviantpakete. | |
| Im Zelt, in dem Material ausgegeben wird, können noch Atemschutzmasken | |
| gegen den Braunkohlestaub abgeholt werden. | |
| Dieses Jahr wird das Konzept schon allein wegen der geografischen Lage und | |
| der Größe des Reviers in die Fläche gespielt: Es soll darum gehen, | |
| verschiedene Gruben und Schienen einzubinden. „Wir wollen ganz viel Chaos | |
| verbreiten“, motiviert eine Rednerin die AktivistInnen. Es wird | |
| Fahrraddemos geben, Sitzblockaden, Menschenketten und Kleingruppenaktionen. | |
| Der Vorteil: Wenn irgendwo was schief geht, funktioniert es woanders. Und | |
| schwer nachzuvollziehen für Sicherheitskräfte ist es sowieso. | |
| Auch die Struktur, mit der es in die Aktion gehen soll, hat sich | |
| ausdifferenziert: Es gibt mehr Finger als noch vergangenes Jahr, sie | |
| organisieren sich selbstständiger, und sie haben sich eigene Themen | |
| gegeben. Ein Finger zeigt sich solidarisch mit Menschen, die vom steigenden | |
| Meeresspiegel bedroht sind, einer will zeigen, was Feminismus mit dem | |
| Klimawandel zu tun hat. | |
| Auch für den Ernstfall wird geübt: Sitzblockaden und das Durchfließen von | |
| Polizeiketten werden simuliert, auch die Erfahrung, sich wegtragen zu | |
| lassen, kann schonmal geprobt werden. Bei einem Aktionstraining sitzen etwa | |
| dreißig Menschen auf dem Boden und halten sich gegenseitig fest. „Auf | |
| geht’s, ab geht’s, Ende Gelände!“, brüllen sie einer anderen Gruppe | |
| entgegen, die die Sitzenden erbarmungslos auseinanderreißt und wegträgt – | |
| den PolizistInnen also, die die Demonstrierenden aus der Blockade entfernen | |
| wollen. „Wir bereiten die Leute darauf vor, dass es zu stressigen | |
| Situationen kommen kann, und dass es deswegen wichtig ist, in einer | |
| Bezugsgruppe organisiert zu sein“, erklärt eine Aktivistin von Ende | |
| Gelände. | |
| Mit einigen von der IG BCE sei Ende Gelände gut im Gespräch, sagt | |
| Sprecherin Insa Vries. „Die wissen, dass es den Strukturwandel gibt und | |
| haben auch Interesse daran, ihn gut zu gestalten.“ Und was die Gewalt | |
| angehe: Der Konsens, dass von Ende Gelände keine Gewalt ausgehe, sei | |
| bislang immer eingehalten worden. | |
| 25 Aug 2017 | |
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