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# taz.de -- Klimaprotest „Ende Gelände“: Bis der Ofen aus ist
> Kohlegegner blockieren im Rheinland Züge und Bagger. Ihre Strategien
> haben sie im Anti-Atom-Protest gelernt.
Bild: Kein Durchkommen: Blockade der Gleise am Freitag
Es ist 11 Uhr am Freitagmorgen, die Kraftwerkstürme im Rheinischen
Kohlerevier blasen ihre dicken Dampfschwaden in den blauen Himmel, als
Milan Schwarze am Ziel ist: Mit 200 weiteren DemonstratInnen in weißen
Anzügen sitzt Schwarze, 28, groß, schlaksig, lange braune Haare, auf dem
Gleis der Betriebsbahn von RWE Power.
Einen halben Kilometer weiter biegt es auf das Gelände des Kohlekraftwerks
Neurath ein. 31 Millionen Tonnen CO2 – mehr als 3 Prozent der deutschen
Emissionen insgesamt – und Hunderte Kilo Quecksilber stoßen dessen sieben
Blöcke jedes Jahr aus. Dafür müssen sie 90.000 Tonnen Braunkohle verbrennen
– jeden Tag. Auf Lager halten kann die RWE aber nur 60.000 Tonnen. Bricht
der Nachschub ab, ist noch am selben Tag der Ofen aus.
Genau das wollte Milan Schwarze erreichen. Am Vorabend ist er mit den
anderen Aktivisten im Ende-Gelände-Camp in Erkelenz aufgebrochen. 3.000
Kohlegegner hatten sich dort versammelt, es ist die dritte Aktion dieser
Art nach 2015 und 2016, der größte Umweltprotest in Deutschland seit dem
Ende der Castor-Transporte.
Schwarze ist einer der Köpfe des Anti-Kohle-Camps. Er gehört zu einer
Gruppe, die ausgeCO2hlt heißt. „Ich habe eine Bewegung gesucht, die
Systemwandel und Anti-Kohle-Protest vereint“, sagt er. Für ihn ist
Klimaschutz auch ein Kampf gegen das wachstumsfixierte kapitalistische
System.
## Überraschung für die Polizei
Am Freitag sind über 1.000 Polizisten im Einsatz, am Donnerstagabend aber
haben sie das Geschehen noch weniger im Blick. Also sind Milan Schwarze und
knapp 200 andere mit dem Zug nach Köln gefahren. Am Morgen dann zurück und
ab aufs Gleis. Die Beamten rechneten mit Protestzügen vom Camp aus, aber
nicht aus der Gegenrichtung. Überraschung.
„RWE betreibt 130 Kilometer Schiene“, sagt Julie Greve, die Sprecherin der
Aachener Polizei. „Es ist nicht möglich, die alle schützen zu lassen.“
Und so sitzen Schwarze und die anderen unter ihren Regenschirmen und
Aludecken, halten „No Co2lonialism“-Schilder hoch, rufen: „Es gibt kein
Recht auf Kohlebagger fahren!“ und hören zu, wie der Einsatzleiter der
Polizei sie über ein Megafon wieder und wieder auffordert aufzustehen.
Wenn es nach Schwarzer und den anderen geht, werden sie das Gleis 48
Stunden besetzt halten. Dann müsste das Kohlekraftwerk Neurath längst vom
Netz sein. Für die Polizei ist die Lage kompliziert. Das Gleis verläuft auf
einem 5 Meter hohen Damm, zu beiden Seiten fällt er steil ab, ist
überwuchert von Brombeerbüschen. Die Umweltschützer wegtragen? Schwierig.
## Gewalt der Klimaschützer
Am Vortag war Milan Schwarze zu Besuch bei seinen Gegnern: Er ist zu einer
Mahnwache von Kohlekumpeln gekommen. 24 Stunden wollen die Bergleute gegen
die angebliche Gewalt der Klimaschützer gegen RWE, gegen ihren Arbeitgeber,
mit einer Mahnwache protestieren – mit einer Dauerkundgebung am Rand ihres
Arbeitsplatzes, des riesigen, Hunderte Meter tiefen Tagebaus Garzweiler.
Kurz nachdem sie ihr Mahnfeuer entzündet haben, kommt Schwarze dazu. Die
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, die die Kundgebung
organisierte, hatte ihn eingeladen. „Zum Diskutieren“, sagt
Gewerkschaftssekretär Manfred Maresch. „Den Milan kennen wir, der ist in
Ordnung.“ Und so steht Kohlegegner Schwarze inmitten der Bergleute und
versichert, dass ihm klar ist, dass ihre Identität am Kohleabbau hängt.
Trotzdem: „Ein für alle gerechter Strukturwandel ist möglich, wenn der
politische Wille da ist.“ Kurz darauf verabschiedet sich der Umweltschützer
Schwarze vom Kohlelobbyisten Maresch. „Schön, dass du da warst,“ sagt der.
Aber vor dem gerechten Strukturwandel kommt die Blockade. Und so harren
Schwarze und die anderen am nächsten Tag auf den Gleisen aus. Nach einer
Weile nähert sich langsam eine gelbe Lok, darin sitzt Bernd Maqua, der
Bahnbetriebsleiter der RWE. 13 Züge mit je 1.400 Tonnen Kohle stauen sich
mittlerweile. „Die Kollegen drinnen machen sich sicher schon ihre Gedanken,
wie sie Kohle sparen können“, sagt er und deutet in Richtung des
Kraftwerks.
Nicht alle Umweltschützer sind an diesem Vormittag so erfolgreich. Als
Schwarze und die anderen schon auf den Gleisen sitzen, reiht sich Selj,
junger Aktivist aus Amsterdam, ans Ende des pink-schwarzen „Fingers“ ein,
wie die Kohlegegner ihre Demozüge nennen: 500 Menschen, fast alle in weißen
Anzügen, in den Rucksäcken geschmierte Brote, um die Köpfe tragen viele
pinkfarbene und schwarze Tücher. Es ist der Marsch der queeren und
feministischen AktivistInnen.
## Drei bis vier Stunden marschieren
Selj, schmal, kurz geschorene Haare, 31 Jahre alt, schwul, bildet das
Schlusslicht. Mit einem Dutzend anderen soll er aufpassen, dass alle
zusammenbleiben. Drei bis vier Stunden müssen sie jetzt marschieren, über
staubige Feldwege, die Sonne brennt. „Power?“, ruft einer, „To the
people!“, antwortet der Rest. Ihr Ziel: die Grube.
Den aus der Türkei stammenden Selj hat der Irakkrieg politisiert, dann
erschien ihm der Klimaschutz die drängendste Frage: „In 10 Jahren können
wir nicht mehr umdrehen“, sagt er. Deshalb verließ er die Türkei, seit der
UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 ist Selj aktiv. „Das ist die Aufgabe
unserer Zeit“, sagt er. „Wie wir mit dem Klima umgehen, entscheidet, wie
wir leben.“ Klimagerechtigkeit habe ja auch mit Demokratie oder Flucht zu
tun.
Selj, das ist ein Protestname – er möchte seine Identität als Aktivist von
seiner beruflichen unter seinem richtigen Namen trennen: In Amsterdam
promoviert er über postkapitalistische Designkultur. Vom Camp war Selj
zunächst nur mäßig begeistert: „Erst dachte ich, das sind alles Hippies,
die beschäftigen sich nicht mit Kapitalismus – aber das stimmt nicht.“
Vor den Aktivisten fahren Mannschaftswagen der Polizei, über ihnen kreisen
Helikopter. Nach etwa einer Stunde kommt ein Kontaktbeamter zu Selj.
„Wollen Sie in die Mine?“, fragt er. Ein Lachen ist die Antwort.
Selj ist zum dritten Mal bei Ende Gelände. Das Konzept des Bündnisses hat
er mit seiner Gruppe Code Red in den Niederlanden adaptiert. Vor zwei
Monaten erst haben sie Europas zweitgrößten Kohlehafen in Amsterdam
besetzt.
## Straßensperre drei Kilometer vorm Ziel
Gegen 14 Uhr geht für den pink-schwarzen Finger erst mal nichts mehr: Die
Polizei hat die Straße in Richtung Tagebau bei dem Dorf Holzweiler gesperrt
– nur 3 Kilometer von ihrem Ziel entfernt. „Diese Sperre werden Sie nicht
passieren“, sagt ein Polizeisprecher über Megafon. „Sie können umdrehen
oder zurück ins Camp – geradeaus geht es nicht weiter.“ Selj nimmt es
gelassen: „Wenn wir festsitzen, bewegt sich woanders was“, sagt er. Auf der
Straße staut sich hinter dem pink-schwarzen Finger der Verkehr. Die
Lkw-Fahrer sind genervt. „Ich will heute noch nach Hause“, ruft einer. Er
sei seit zwei Uhr nachts unterwegs. Selj zuckt mit den Schultern. „Die
Polizei blockiert die Straße“, sagt er, „nicht wir.“
Eine andere Gruppe der Kohlegegner schafft es am Freitag in den Tagebau
Inden, eine dritte Gruppen blockiert das RWE-Gleis an anderer Stelle,
wieder andere Kohlegegner sind an der Landesstraße 19 aktiv. Bis zum frühen
Nachmittag nimmt die Polizei etwa 100 AktivistInnen vorübergehend in
Gewahrsam, sagt Nina Wolff, Sprecherin der Polizei Aachen: „Es gibt
keinerlei Hinweise auf Gewalt von Demonstranten, weder gegen Polizei noch
gegen RWE Mitarbeiter.“
Bis 16 Uhr räumt die Polizei die Blockade von Milan Schwarze. Einige
stehen auf und werden am Arm weggeführt. Andere werden geschleift oder
getragen wie Milan Schwarze. Die Mannschaftswagen der Polizei bilden unter
der Eisenbahnbrücke einen Halbkreis, in dem die abtransportieren Aktivisten
festgehalten werden. Schwarze hat dort schon wieder das Handy am Ohr und
erzählt von dem Tag als vollem Erfolg. Eine Sprecherin von RWE hatte am
Nachmittag gesagt, der Konzern habe das Kraftwerk Neurath „vorsorglich
gedrosselt“, also weniger Kohle verbrannt. Weil die Züge stillstanden.
25 Aug 2017
## AUTOREN
Christian Jakob
Andreas Wyputta
Patricia Hecht
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