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# taz.de -- Klimacamp gegen Kohlekraft: Pödelwitz ist nicht Woodstock
> In Pödelwitz protestieren Aktivisten am Wochenende gegen Kohlekraft. Im
> diesjährigen Klimacamp geht es aber ausgesprochen gesittet zu.
Bild: So einen straffen Terminplan hätte es bei Woodstock nicht gegeben
Pödelwitz taz | Das Auge des Gesetzes wacht. Am Kraftwerk Lippendorf stehen
Mannschaftswagen der Polizei an Förderbändern und am Umspannwerk. Es gilt
das Objekt vor den Antikohleaktivisten zu schützen, die etwa acht Kilometer
entfernt im Dörfchen Pödelwitz ihr Klimacamp aufgeschlagen haben. Denn:
„Ökoextremisten“ sind gefährlich. Zumindest wenn man dem
CDU-Bundestagsabgeordneten Alexander Krauß glaubt.
In einer Pressemitteilung verglich er die Klimacamper sowohl mit der
Identitären Bewegung als auch mit den RAF-Terroristen. Ein schräger
Vergleich, schließlich plant die Gruppe Kohle erSetzen! für den Freitag
lediglich eine Sitzblockade gegen die Kohlekonzerne Mibrag und Leag.
Zum ersten Mal findet das sommerliche Klimacamp nicht in der rheinischen
Kohlezone oder in der Lausitz statt, sondern im Kohlerevier südlich von
Leipzig. „Wir wollen bewusst auf dieses Abbaugebiet aufmerksam machen“,
sagt Sprecher Florian Teller. Denn nur auf den ersten Blick scheint in
dieser Region das Gröbste überstanden.
In der DDR standen Espenhain und Lippendorf zwar für Kohledreck
schlechthin. Heute laden die ausgekohlten Tagebaue am Südrand von Leipzig
nach ihrer Flutung allerdings mehr zum Baden ein als zum Protestieren. Aber
weiter südlich Richtung Borna dominieren noch immer Mondlandschaften und
werden Dörfer weggebaggert.
## Zerstörung nicht mehr nötig
Ein Dorf wie Pödelwitz unmittelbar am Rand der derzeitigen Tagebaugrube.
Die Mibrag hat bereits alle Grundstücke im Ort gekauft. Die 27 verbliebenen
von ehemals 110 Einwohnern haben die Klimaschützer zum Zelten eingeladen,
um auf den Abriss ihres Ortes aufmerksam zu machen.
Sprecher Jens Hausner von der Bürgerinitiative Pro Pödelwitz kritisiert
die Mitteldeutsche Braunkohle AG (Mibrag) und die sächsische
Landesregierung. Spätestens 2040 [1][solle doch der Kohleausstieg kommen].
Warum also jetzt noch Häuser demolieren? „Das sind völlig aus der Zeit
gefallene Erweiterungspläne, die man unbedingt verhindern muss“, sagt
Hausner. Es sei nicht mehr notwendig, Dörfer für den Braunkohleabbau zu
zerstören.
Und so verbinden sich beim Camp [2][Klimaschutzziele und der Kampf gegen
die Kohleverstromung] mit der Rettungsabsicht für die vom Untergang
bedrohte Ortschaft. „Kohle stoppen, Klima retten“, stand auf Plakaten bei
einer Demonstration am vergangenen Samstag zum Auftakt des einwöchigen
Camps. Etwa 600 Teilnehmer zogen durch die Leipziger Innenstadt. Rund
tausend kampieren seither in einer selbst organisierten Zeltstadt im 20
Kilometer südlich gelegenen Pödelwitz.
Auf der braunen Wiese im halb verlassenen Dorf stehen die Zelte der
Aktivisten. Viel Englisch ist zu hören, denn die Teilnehmer sind aus aller
Welt angereist, zum Beispiel aus Kolumbien. Sie repräsentieren eine
Vielzahl ökologisch und nachhaltig inspirierter Strömungen. Die Leipziger
Auftaktdemonstration, die vor allem die globalen Fragen der Klimarettung
und der Energieversorgung thematisierte, wurde von den Naturfreunden
Deutschlands, dem BUND und Greenpeace organisiert.
## Gelebte Vielfalt in Sachsen
Auf dem Klimacamp mit eigenem Programm bietet auch die
Degrowth-Sommerschule Vorträge und Kurse zu den Möglichkeiten eines Lebens
jenseits des ökonomischen Wachstumsdogmas an. Ab Freitag stoßen dann
schätzungsweise noch etwa 200 aktionserprobte Aktivisten von Kohle
erSetzen! hinzu. Gelebte Vielfalt in Sachsen.
Die altersmäßige Zusammensetzung der Aktivisten ist dagegen recht
heterogen. Sprecher und Organisator Florian Teller zählt mit Mitte 30 schon
zu den älteren, verdient seine Brötchen sonst als Artist und Kleinkünstler.
Seine Sprecherkollegin von Kohle erSetzen!, Mira Jäger, hat vor Kurzem erst
ihr Geografiestudium in Göttingen abgeschlossen.
„Wichtig ist der Bewegungszusammenhalt“, sagt Teller. Selbstverständigung
gehöre dazu, genau wie Vernetzung und vor allem Bildungsarbeit. Ebenso
wichtig seien aber eben auch die öffentliche Demonstration, der
Fahrradkorso. Die Vielfalt des Camps fasst der Aktivist folgendermaßen
zusammen: „Es geht letztlich um ein anderes Wirtschafts- und
Gesellschaftsmodell.“
Der Diskurs reiche dabei von Einzelfragen zu Kohlekommission und
Kohleausstieg bis hin zu esoterisch angehauchten Gruppen. Auch Hochbeete
und Kompost sind geplant. Sogar eine Agora, ein kleines Amphitheater, ist
aufgebaut. Und selbstverständlich wird die autarke Energieversorgung mit
mobilen Solarpaneelen praktiziert.
## Der Tag nach Plan
Der straffe Tagesablauf im Camp ist hingegen wenig esoterisch. Schon um 9
Uhr morgens tagt das erste Plenum. Und überall hängen handgeschriebene
Zettel mit der Aufforderung: „Ab 22 Uhr bitte flüstern!“ Pödelwitz ist
nicht Woodstock, dazu fehlt allein schon der Schlamm. Am Wochenende gibt es
in der Dorfkirche sogar einen klassischen Liederabend und einen
Camp-Gottesdienst.
Die Hitzeschlacht wird am nahen See gewonnen. Dort fallen dann mit Blick
auf alle, denen die Kohleverstromung egal ist, schadenfrohe Sätze wie: „Die
sollen ruhig den Klimawandel am eigenen Leibe spüren.“
Sachsens Ministerpräsident und Kohlefreund Michael Kretschmer (CDU) war zu
einer Diskussion im benachbarten Groitzsch eingeladen und wäre auch
gekommen, wie er beteuert. Aber die angekündigten möglicherweise illegalen
Aktionen hätten ihn in ein Dilemma gestürzt und zur Absage gezwungen.
Was hat Kohle erSetzen! denn Übles vor? Man wolle zwar den Druck in
Richtung eines sofortigen Kohleausstiegs erhöhen, sagt Sprecherin Mira
Jäger. Aber auch beim Aktionstraining gelte der Konsens „Keine Gewalt“. Mit
einer Sitzblockade sollen Kraftwerksabläufe nur passiv gestört werden. Ein
militantes Anketten an Geräte oder Ähnliches aber soll es nicht geben.
Und so hatte der Streifenwagen am Eingang des Camps bis Mittwoch keinen
einzigen Zwischenfall zu registrieren.
3 Aug 2018
## LINKS
[1] /Ringen-um-Kohle-Aus/!5512640
[2] /Pariser-Klimaabkommen-und-die-USA/!5411507
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Fossile Brennstoffe
Kohleausstieg
Klimaschutzziele
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Lesestück Recherche und Reportage
Klimakonferenz COP23
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