| # taz.de -- Ein Geflüchteter wartet auf seine Duldung: Die Statistik ist gegen… | |
| > Yusuf Sadri floh vor zwei Jahren aus Afghanistan nach Deutschland. Er | |
| > lebt in Pirna und hofft noch immer, dass er bleiben kann. | |
| Bild: Wünscht sich nicht nur die Caritas 2016 für eine gerechtere Welt | |
| Pirna taz | Im Sommer 2017 sollte Yusuf Sadri eigentlich nicht mehr hier | |
| sein. Nicht in Deutschland und auch sonst nicht auf der Welt. | |
| Sadri kommt aus Afghanistan und ist 2015 nach Deutschland geflohen. Im | |
| Sommer 2016 lebte er in Zinnwald, auf einem Hügel an der | |
| sächsisch-tschechischen Grenze. Mit anderen Afghanen, mit Syrern, Libyern, | |
| Iranern. Sie wohnten in einem alten Zollgebäude, um das immer ein Wind | |
| weht, als wolle er sie fortblasen. | |
| Die Männer warteten. Auf einen Entscheid des Bundesamts, einen Sprachkurs, | |
| eine Arbeitserlaubnis. Täglich fragten sie sich: Wie würde es weitergehen? | |
| Die taz.am wochenende hat Yusuf Sadri und seine Mitbewohner 2016 getroffen. | |
| Wir wollten wissen, wie es ihnen in ihrem ersten Jahr in Deutschland | |
| ergangen war. Besonders den Afghanen – damals die zweitgrößte Gruppe der | |
| Asylantragsteller. Die meisten ihrer Anträge werden nicht anerkannt, was | |
| nichts daran ändert, dass sie oft in Deutschland bleiben. Denn | |
| Abschiebungen nach Afghanistan gibt es nach wie vor selten. Eine | |
| Perspektive bekommen die Menschen aber kaum. | |
| ## Aufstehen und überleben | |
| Yusuf Sadri ist ein freundlicher junger Mann, 21 Jahre alt, er zieht sein | |
| rechtes Bein nach, wenn er läuft. Trotzdem lächelt er – auch wenn es noch | |
| sehr schmerzt. Mit drei Jahren fiel er vom Dach des Hauses seiner Familie, | |
| das gebrochene Bein wuchs krumm zusammen. Mit neun Jahren wurde er | |
| operiert. Als er aus dem Krankenhaus kam, hatten die Taliban seine Eltern | |
| und seine Schwester umgebracht. Übrig blieben er und sein kleiner Bruder. | |
| Sie schlugen sich durch, sagt er. Yusuf wurde Schneider, da war er zehn. | |
| Einmal, erzählt er, wurde er von den Taliban entführt und so lange | |
| verprügelt, bis sie ihn für tot hielten und auf einen Acker warfen. Als sie | |
| weg waren, stand er wieder auf. Er hatte überlebt. | |
| Yusuf Sadri lieh sich Geld, ließ sich in den Iran schmuggeln, arbeitete | |
| dort als Lackierer – und wurde wieder ausgewiesen. Er arbeitete in | |
| Pakistan, in der Türkei. Ließ sich schließlich mit all den anderen Menschen | |
| nach Ungarn schmuggeln und dann nach Hamburg. Er landete in Zinnwald. | |
| Die Statistik ist gegen Sadri. Bei weniger als der Hälfte der Afghanen wird | |
| der Asylantrag anerkannt, damit ist die Quote so schlecht, dass Afghanen | |
| nicht an Deutschkursen teilnehmen dürfen. Man geht davon aus, dass die | |
| Mehrzahl das Land ohnehin verlässt. | |
| ## Sprachunterricht im Geheimen | |
| Abends schaute sich Yusuf Sadri YouTube-Videos auf Deutsch an. Und wenn die | |
| Syrer nicht zum Sprachkurs kamen, unterrichtete die Lehrerin ihn heimlich | |
| mit. Lesen und Schreiben kann er nicht, deshalb hatte er keine Chance auf | |
| eine Ausbildung. Aber als die Sozialarbeiterin ihn fragte, ob er bei einem | |
| Automobilzulieferer in Pirna ein Praktikum machen will, sagte er sofort zu. | |
| Ein Jahr später ist er immer noch hier. Er lebt jetzt in Pirna, ist fest | |
| bei dem Automobilzulieferer angestellt und hat gerade seine erste eigene | |
| Wohnung bezogen. Vor zwei Monaten hat er endlich Bescheid vom Bundesamt für | |
| Migration und Flüchtlinge bekommen – eine Ablehnung. Er solle Deutschland | |
| so schnell wie möglich verlassen, stand dort. | |
| Wir brauchen dich, sagte sein Chef. Geh zu einem Anwalt, sagten seine | |
| Arbeitskollegen. Sadri klagte – und bekam Recht. Sein Asylantrag muss jetzt | |
| noch mal geprüft werden. Bis zum 8. Januar gilt seine | |
| Aufenthaltsgestattung. Was danach kommt, weiß niemand. | |
| ## Die Zeit rennt | |
| Auch Sadris Mitbewohner aus Zinnwald wohnen inzwischen in Pirna. Auch sie | |
| sollten gehen, trotzdem sind alle noch hier. Einer hat Asyl bekommen, er | |
| hat in Afghanistan für die US-Armee übersetzt. Einer schneidet Yusuf Sadri | |
| immer die Haare. Er ist Friseur und versucht seit Monaten, eine Ausbildung | |
| zu bekommen. Vor zwei Wochen kam der Bescheid, dass sein Asylantrag | |
| abgelehnt wurde. Zum zweiten Mal schon. Er will noch mal klagen. Aber er | |
| hat jetzt nicht mehr viel Zeit. | |
| Yusuf Sadri hofft, dass es irgendwie klappt – dass seine | |
| Aufenthaltsgenehmigung einfach immer weiter verlängert wird, dass er | |
| geduldet wird, wie so viele andere. Nicht wegen der Arbeit, auch, weil er | |
| jetzt eine Freundin hat: Sie ist 16 und hat lange blonde Haare. Im Januar | |
| hat er sie kennengelernt, als sie im Schnee zusammen auf einer Parkbank | |
| saßen. | |
| Würden sie Yusuf Sadri nach Afghanistan abschieben, er wüsste nicht, wohin | |
| er gehen soll. Sein kleiner Bruder lebt jetzt in der Türkei, er hat | |
| geheiratet. Sonst gibt es dort niemanden mehr, seine Familie ist tot. Sadri | |
| sagt, er würde wahrscheinlich gleich wieder fliehen. | |
| 27 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Steffi Unsleber | |
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