# taz.de -- Qualifikationsspiele für die Fußball-WM: Syrische Freuden in Mala… | |
> Syriens Nationalmannschaft kann sich noch für die Weltmeisterschaft 2018 | |
> qualifizieren. Die Mannschaft muss für die Heimspiele weit ausweichen. | |
Bild: Das syrische Team: Noch haben die Spieler Hoffnung, an der WM 2018 teilne… | |
KUALA LUMPUR taz | Die syrische Fußballnationalmannschaft trägt ihre | |
nominellen Heimspiele bei der WM-Qualifikation für Russland 2018 in | |
Malaysia aus. Sie hat dort inzwischen sogar eine Fanbasis. Etwa 2.000 | |
syrische Flüchtlinge leben aktuell in dem Land in Südostasien, zu | |
Hochzeiten 2011 und 2012 waren es gar 10.000. | |
Mohamad, ein 15-jähriger Bursche aus Aleppo, strahlt über das ganze | |
Gesicht, als er von seinem schönsten Tag seit Langem erzählt. „Es war der | |
22. August 2017. Ich habe im Internet gesehen, dass Syrien Malaysia 2:1 | |
geschlagen hatte. Ich habe mir dann die Höhepunkte bei YouTube angeschaut. | |
Es war so prächtig, so schöne Tore. Ich war auch so stolz. Unser Land ist | |
im Krieg, und jetzt sind die ganzen Spieler hier, und sie gewinnen auch | |
noch! Ich bin dann zu meinen malaysischen Freunden gegangen und habe ihnen | |
gesagt: ‚Hey, unsere Mannschaft hat eure geschlagen, wie geht denn das?‘ �… | |
Seit sechs Jahren lebt er in Malaysia. Er hat einen Job, wenn auch schwarz, | |
weil Geflüchtete in Malaysia nicht arbeiten dürfen, und hat sich neben | |
Englisch und Französisch auch die Sprache des Landes angeeignet. Seine | |
Familie floh aus der Heimat, als er zehn war. Mit dem Fußballspielen im | |
Verein hatte er damals schon begonnen. | |
„Ich war in der ersten Klasse, wirklich ganz am Anfang“, sagt er. Jetzt, | |
zum Gespräch im Malaysian Social Research Institute in Kuala Lumpur, bei | |
der er eine an die Schule für Refugees angeschlossene Fußballschule | |
besucht, ist er mit einem Chelsea-Trikot gekommen. Er sagt selbstbewusst: | |
„Ich kann Verteidigung und Abwehr spielen.“ Sein Plan B ist es, | |
Fußballprofi zu werden. Plan A ist noch ambitionierter: Astronaut. Der | |
Junge will das Leben richtig spüren, das merkt man. | |
Jetzt ist er ganz hingerissen von der Nationalmannschaft seiner Heimat. Sie | |
gewann, soweit er sich erinnern kann, jetzt schon das zweite Mal seit | |
seinem zwangsweisen Aufenthalt in Malaysia gegen die Auswahl seines | |
aktuellen Gastlandes. Gegenwärtig kann die Truppe sogar noch den Sprung in | |
die WM-Endrunde nach Russland 2018 schaffen. Werden die letzten zwei Spiele | |
in der dritten Qualifikationsrunde, am Donnerstag gegen Katar und am 5. | |
September in Teheran gegen Iran gewonnen, winkt erst einmal die Teilnahme | |
an den Playoffs der Asien-Gruppen gegen den anderen Gruppendritten. | |
## Ein steiniger Weg | |
Und wenn die Syrer hier siegreich bleiben, gibt es den finalen Showdown mit | |
dem viertplatzierten Team der Qualifikation der Concacaf-Vertreter aus | |
Nordamerika und der Karibik. Ein komplizierter und steiniger Weg, aber er | |
ist machbar. | |
So nah jedenfalls kam Syrien einer WM-Endrunde noch nie. „Es ist eine | |
historische Situation. Wir hatten sie bisher nicht, und wir werden | |
vielleicht zehn oder zwanzig Jahre warten müssen, bis sie wieder kommt“, | |
erzählt Tarek Al Jabban der taz. | |
Jabban, 26 Jahre älter als Mohamad und in Damaskus geboren, war lange Zeit | |
Kapitän der syrischen Nationalmannschaft und ist jetzt deren Co-Trainer. So | |
konzentriert, wie er Fußball arbeitet, wird zwar nicht ganz klar, ob er mit | |
„historischer Situation“ die politische Lage in seiner Heimat oder „nur“ | |
die Chance auf eine Endrundenteilnahme meint. Er ist sich der paradoxen | |
Konstellation aber selbstverständlich bewusst. | |
„Es ist wie ein Traum – wir haben die guten Ergebnisse ausgerechnet in | |
diesen schweren Zeiten“, sagt er am Rande des Trainings im Stadion Hang | |
Jebat in Melaka, knapp zwei Autostunden von der Hauptstadt Kuala Lumpur | |
entfernt. Er wirkt hin- und hergerissen zwischen permanenter Überwältigung | |
und dem Vertiefen in die tägliche Arbeit. Die meint eben: mit Spielern auf | |
den Platz gehen, diverse Aufwärmübungen machen – physisch noch ziemlich | |
fit, führt der Assi seinen Spielern vor, was sie dann brav nachmachen. Auch | |
Spielszenen studiert er mit ihnen ein. | |
Im Stadion Hang Jebat, einem immerhin 40.000 Zuschauer fassenden | |
Fußballtempel, sieht das Trainingsgeschäft mit Männern, Bällen, Hütchen f�… | |
Laufwegbegrenzungen und einem Haufen Wasserflaschen so aus wie überall auf | |
der Welt, wo Fußball gespielt wird. Der Krieg spielt hier keine Rolle. Er | |
wird auch bewusst draußen gehalten. | |
## Nach vorne schauen | |
„Wir schauen nicht in die Vergangenheit. Wir schauen nach vorn“, sagt Firas | |
Al Khatib, der aktuelle Kapitän, Lenker und Star der Mannschaft. Al Khatib | |
blieb der Nationalmannschaft vier Jahre lang fern. 2012 stellte er sich | |
öffentlich auf die Seite der Opposition und beendete seine | |
Nationalmannschaftskarriere. Das brachte ihm viel Respekt ein. Gerade bei | |
syrischen Geflüchteten in Deutschland wurde er zu einem Idol. | |
Im letzten Jahr dann die Kehrtwende: Er kehrte zur Nationalmannschaft | |
zurück. Das kostete ihn Freunde. „Ich verstehe es nicht, und ich bin | |
traurig, wenn unsere großen Spieler, die im Ausland spielen, und die sich | |
auf die Seite der Opposition gestellt haben, jetzt ihre Meinung geändert | |
haben“, sagt Usama, einst ein Anhänger des FC Karameh aus Homs, der einige | |
Zeit sogar als Fotograf für die Vereinshomepage gearbeitet hatte, in | |
Berlin. | |
Für Usama ist die Nationalmannschaft ganz klar „die Mannschaft des | |
Regimes“: „Ich schaue mir deren Spiele nicht an, auch nicht mehr die Spiele | |
der syrischen Premier League.“ | |
Die syrische Meisterschaft wird immer noch ausgetragen, trotz Krieg, trotz | |
Bomben – ein Wunder des Sports. Einerseits. Andererseits, so sieht es | |
Usama: pure Propaganda. „Das Regime will zeigen, dass das Leben ganz normal | |
läuft in Syrien“, sagt er – und lehnt die Fußballshow in der Heimat rundw… | |
ab. | |
Auch die aktuellen Erfolge der Nationalmannschaft beglücken ihn nicht. Er | |
ringt sichtlich nach Fassung: „Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich | |
nicht will, dass diese Mannschaft gewinnt. Ich will nicht, dass sie die WM | |
in Russland spielt, denn das wäre nur eine Show für das Regime.“ | |
## Viele sind gestorben | |
Firas Al Khatib, nach langen Jahren im Ausland gegenwärtig ohne Vertrag und | |
auf manchen Websites gar bei Usamas altem Lieblingsverein Karameh gelistet, | |
ist auch sichtlich bewegt, als er auf seine Entscheidung angesprochen wird, | |
zum Nationalteam zurückzukehren. Der Kampf spielt sich vor allem in seinem | |
Gesicht ab. Nach längerer Pause sagt er: „Ich will nicht über die | |
Vergangenheit nachdenken, sondern in die Zukunft schauen. Unsere Leute sind | |
alle müde nach sechs Jahren Krieg. Es sind viele gestorben. Wir betrauern | |
sie, sie sind in unserem Gedächtnis. Aber sie kommen nicht zurück. Wenn wir | |
nur an die Vergangenheit denken, dann sitzen wir zu Hause und weinen. Wir | |
wollen aber an die Zukunft denken und unser Land aufbauen.“ | |
„Wer, wenn nicht wir jungen Leute, soll das tun?“, schiebt der 33-jährige | |
noch hinterher. Man mag dies für einen Propagandaspruch eines | |
Staatssportlers halten. Man kann den Menschen Firas Al Khatib in seinem | |
Ringen um eine Zukunft seines Landes, und, ja warum nicht, in seinem Kampf | |
für den größten sportlichen Erfolg seiner Karriere aber auch ernst nehmen. | |
Er selbst sieht seine Rückkehr, und auch die von Topstürmer Omar Al Soma, | |
Spitzname „der syrische Ibrahimović“, als Beleg für den Rückkehrwillen | |
vieler Landsleute. Und auch als Beleg dafür, dass die Rückkehr klappen | |
kann. | |
Fußballerisch ist momentan jedenfalls ein Wunder im Gange – ein Wunder | |
allerdings, das Vorläufer hat. 1986 qualifizierte sich der Irak für die WM; | |
Damals war das Land in den Krieg mit Nachbarn Iran verwickelt. Nach der | |
US-Invasion erfolgte eine lange Sperre durch die Fifa. Die irakische | |
Nationalmannschaft trug einige ihrer „Heimspiele“ damals ebenfalls in | |
Malaysia aus. Am 26. August 2017 traf sie in Malaysia auf Syrien. Das Spiel | |
endete 1:1. | |
## Fernab der Heimat ohne Fans | |
„Wir können nachvollziehen, wie es den syrischen Fußballern geht. Es ist | |
schwer, in einem Stadion fern der Heimat ohne die Unterstützung der eigenen | |
Fans zu spielen. Aber es macht auch stark, es ist ein Charaktertest“, sagte | |
Waleed Tabri, Mitglied der irakischen Delegation, der taz. | |
Beim wichtigen Spiel gegen Katar werden zwei-, dreihundert syrische Fans im | |
Stadion erwartet. Ein Lehrer aus Mohamads Schule für Geflüchtete etwa wird | |
mit seinem Cousin kommen. Mohamad selbst nicht. Das Geld, das er verdient, | |
hilft der siebenköpfigen Familie zum Überleben. Er wird per Livestream | |
dabei sein. Und hoffen, dass er weiter glücklich sein kann. | |
Noch eines muss man anfügen: Mohamad, der mit zehn Jahren aus der Heimat | |
wegging, und jetzt aus der Ferne mit seinem Team mitfiebert, ist mit den | |
Namen der syrischen Nationalspieler nicht so recht vertraut. „Mein Idol ist | |
Cristiano Ronaldo“, sagt er, und strahlt in seinem Chelsea-FC-Trikot, das | |
mit CR7 nun aber auch gar nichts zu tun hat. | |
Usama hingegen, der aus dem Gedächtnis die Namen der Nationalspieler | |
zitieren kann, wendet der Elf den Rücken zu. Auch das sind Kriegsfolgen, | |
kleine nur, bezogen auf so etwas Nebensächliches wie den Sport. Sie weisen | |
aber auf die seelischen Beschädigungen hin: Der, der den Fußball seines | |
Landes bis in kleinste Details kennt, will nichts mehr von ihm wissen. Und | |
der, der für ihn brennt, ist in der Diaspora derart globalisiert, dass ihm | |
die Namen der Idole fehlen. | |
31 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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