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# taz.de -- Blutwurst fürs Sofa, Schinken als Sitzsack: „Fleisch polarisiert…
> Die Vegetarierin Silvia Wald stellt Wurst- und Fleischwaren aus Textilien
> her. Als Kunst. Und als Wohnaccessoires. Ein Gespräch über Stoffe und
> Inhalte
Bild: Silvia Wald in ihrer Friedrichshainer Textilfleischerei „Aufschnitt“
taz: Frau Wald, Sie haben sich in einer Fleischerei in Friedrichshain
eingemietet und verkaufen dort Fleisch und Wurst aus Stoff. Sie sind aber
Vegetarierin. Das müssen Sie erklären!
Silvia Wald: Ich habe mich nicht in der Fleischerei eingemietet, sondern
die Fleischerei und ich haben uns gefunden. Als mir der Laden in der
Boxhagener Straße angeboten wurde, wusste ich nicht, dass da früher eine
Fleischerei war. Doch als mich die ehemaligen Besitzer spontan besuchten,
erzählten sie mir von ihrer 40-jährigen Unternehmertätigkeit und ich war
begeistert. Mir gefiel die kontroverse Idee, in einem
Fleischereitraditionsgeschäft als Vegetarierin eine Textilfleischerei mit
Theke und Fliesenwand aufzubauen.
Warum?
Fleisch ist ein starkes und faszinierendes Thema. Die Menschen lieben oder
hassen es. Deshalb polarisiert Fleisch mehr als Obst oder Backwaren.
Was bei Ihnen für den Gaumen und Magen gar nicht funktioniert, funktioniert
als textile Variante mit dem schönen Namen „Aufschnitt“ ganz wunderbar.
Ja, aber das war gar nicht meine Absicht. Es war eher so, dass ich
Modellanfertigung und Schnittkonstruktion unter dem Namen „Aufschnitt“ am
Markt anbieten wollte. Als Bekleidungstechnikerin habe ich ja viel mit
Stoffen zu tun, man kann sagen, ich bin stoffsüchtig. Und in meinem Atelier
gibt es viele Materialien, die der Oberfläche und dem Griff von Würsten
sehr ähnlich sind.
Was für Materialien verwenden Sie, damit die Produkte möglichst realistisch
aussehen?
Gebürstete Mikrofaser ist gut für den speckigen Griff beim Schinken.
Weicher Baumwollnicki eignet sich wunderbar für die kuscheligen
Nackenwürste. Die Wurstketten und Schlüsselanhänger sind aus Lycra, weil
das am besten die echte Wurstpelle nachempfindet. Und die großen Sitzsäcke
sind aus Kunstleder.
Wie fühlt sich die detailgenaue Herstellung von Fleisch und Wurst für Sie
als Vegetarierin an?
Iiih, eklig, aber ich weiß ja, dass es kein Fleisch ist, sondern sich nur
so anfühlt. Als Vegetarierin habe ich den nötigen Abstand.
Wie kam es überhaupt zu der Idee mit den textilen Fleisch- und Wurstwaren?
Auf Wienerle-Partys haben wir kostenlos Würstchen aus Stoff verteilt. Die
kamen so gut an, dass ich Lust hatte, eine ganze Kollektion auszuprobieren.
Und dann ging alles ganz schnell. Ein Freund baute einen Aufsteller in
Fliesenoptik mit Metallhängestange als Verkaufspräsentation, den wir auf
einem Designmarkt im Wedding aufgestellt haben. Davon hat eine
Boulevardzeitung ein Foto veröffentlicht, und daraufhin lud mich „TV Total“
in die Sendung ein. Mit der Unterstützung des Gründercoachings entstand zum
Fernsehauftritt die Webseite, und damit war „Aufschnitt“ in kurzer Zeit als
Textilfleischerei bekannt.
Wann und warum haben Sie aufgehört Fleisch und Wurst zu essen?
Das war ein schleichender Prozess. Ich kann mich noch gut an die 3. Klasse
im Biologieunterricht in der DDR erinnern. Da gab es ein Buch mit einem
Bild eines Rinderfinnenwurmes, der sich im Muskelgewebe einnistet. Das war
ein erschreckender Moment für mich. Mit 16, 17 Jahren entschied ich mich
dann gegen Fleisch und Wurst.
Sie nennen sich „weltweit erste Textilfleischerei“.
Das Nachbilden von Essen zieht sich ja durch die ganze Kunstgeschichte.
Aber es gibt nur einen Laden, der diese Würste dem Privatkunden so zum Kauf
anbietet, wie ich es mache. Eine schöne Mischung aus Kunst und Kommerz.
Wie reagieren die Menschen auf die Textilfleischerei?
Die Reaktion ist immer gleich: Die Menschen sehen von der
gegenüberliegenden Straßenseite das Geschäft, kommen rüber und fragen sich
erstaunt: Hä, was ist das denn? Das ist ja alles aus Stoff! Und dann lachen
sie.
Sowohl Fleischesser als auch Vegetarier reagieren so?
Veganer lachen manchmal nicht. Es geht ja viel um Humor. Aber die Würste
und das Fleisch aus Stoff sind auch Kunstgegenstände, mit denen man eine
bestimmte Gestaltungsrichtung in seine Wohnung bringen kann. Wenn
Fleischliebhaber kommen, um ein Geschenk für Veganer zu kaufen, spielt auch
Ironie eine große Rolle.
Wie viele Produkte bieten Sie zu was für Preisen an?
Es sind knapp 100 Produkte. Das Angebot reicht von kleinen Ansteckwürsten
für 7,50 Euro über große Nackenrollen in Form einer Blutwurst oder eines
Bierschinkens für 46,50 Euro und Schinken als Seitenschläferkissen für
56,50 Euro bis zu einem anatomisch korrekten Herz aus hochwertigem
Baumwollsamt für 79,90 Euro oder einem großer Schinken-Sitzsack für 320
Euro.
Stellen Sie alles selber her?
Wir haben lange Zeit alles selber gemacht. Heute fertigen wir
ausschließlich Einzelanfertigungen, Prototypen oder Mikroserien in unserer
Werkstatt, alles andere ist ins europäische Ausland ausgelagert.
Gibt es Wurstsorten, die textil nicht funktionieren?
Die Gestaltung mit Stoffen und die nähtechnische Verarbeitung haben
Grenzen. Geeignete Stoffe sind in kleinen Mengen nicht immer erhältlich,
oder es kann passieren, dass wir ein tolles Produkt haben, aber der Stoff
nicht mehr nachbestellbar ist. Und manchmal müssen wir von
Veredlungstechniken absehen, da sonst das Produkt zu teuer wird. Ein gutes
Beispiel ist die Hühnerkeule. Es gibt einen ganz aufwendigen Druck, um die
gerupfte Hühnerhaut darzustellen. Doch der ist leider zu teuer.
Auf Ihrer Homepage steht, dass Ihre Produkte „mit Originalmaterialien der
Fleischbranche abgerundet werden“. Was ist damit gemeint?
Die Netze der Salamis sind solche, wie sie auch für die Wurstindustrie
verwendet werden. Außerdem verwenden wir das Original rosa Einpackpapier.
Und Fleischerhaken dürfen auch nicht fehlen.
Denken Sie darüber nach, die Produktpalette zu erweitern?
Ich würde gern mehr im Kunstbereich arbeiten und denke an eher
außergewöhnliche große Objekte für Galerien, Messen etc., wie etwa eine
Rinderhälfte oder einen Schweinekopf. Außerdem würde ich gerne noch mehr
Techniken ausprobieren, um das Echte zu imitieren.
13 Aug 2017
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
## TAGS
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