| # taz.de -- Der Hausbesuch: Das Glück würde sie hell malen | |
| > Eichstätt ist die kleinste Universitätsstadt Bayerns: Dort lebt Li | |
| > Portenlänger. Für die Künstlerin ist der Ort eine „dichte Welt“. | |
| Bild: „Erst durch die Kunst habe ich hier meinen Platz gefunden“: Li Porten… | |
| Draußen: Barocke Häuser reihen sich um das alte Rathaus von Eichstätt. In | |
| Plastikstuhl-Oasen davor: frühstückende Fahrradtouristen in | |
| Funktionskleidung. Brunnengeplätscher vermischt sich mit dem Rattern von | |
| Mittelklassewagen auf Pflasterstein. Im Erker, drei Stockwerke über dem | |
| Marktplatz, wohnt die Künstlerin Li Portenlänger. Seit ihrer Kindheit kennt | |
| sie den Blick. Die Wohnung gibt es schon viel länger, seit 1735 („früher | |
| die Stadtpapstei für fürstliche Beamte“). | |
| Drinnen: Glockenläuten dringt durch die offenen Fenster, die weißen | |
| Vorhänge flattern im Wind raus. Das Läuten übertönt das Ticken der Uhren; | |
| in jedem Zimmer steht mindestens eine. „Ich mag das Mechanische, das | |
| Taktangebende“, sagt Li Portenlänger. Breitbeinig, die Hände in den | |
| Hosentaschen vergraben, steht sie im größten Raum der Wohnung. Er ist fast | |
| komplett leer, dafür voller „Bewegungsspuren“: Furchen, die sich über den | |
| knackenden Dielenboden ziehen. Hier gibt sie Tai-Chi-Stunden, tanzt, legt | |
| ihre Kunstwerke aus, bereitet ihre Ausstellungen vor. „Vererbter Adel“, so | |
| nennt Li Portenlänger auch die Risse durch den Stuck in der Küche. | |
| Geschwärzte Wände erinnern daran, dass hier über offenem Feuer gekocht | |
| wurde. Sie denkt gar nicht daran, die Makel zu beseitigen („Ich habe mit | |
| meinem Geld andere Prioritäten“). Zum Beispiel die Arbeit. | |
| Li Portenlänger,65, das feinlinige Gesicht eingerahmt in einen blond-grauen | |
| Bob, subtil: der Lippenstift, das Lächeln. Als Künstlerin, Deutsche und | |
| Eichstätterin stellt sie sich vor, zumindest auf Reisen: „Weil ich stolz | |
| bin, woher ich komme“. Das war nicht immer so. Erst vor zwei Jahren änderte | |
| sie ihren Namen im Personalausweis in „Li“. Davor war sie in Eichstätt als | |
| „Aloisa“ und Tochter erfolgreicher Stoffhändler bekannt. Heute als | |
| Kulturschaffende und Leiterin der Lithografie-Werkstatt. | |
| Dunkle Erinnerungen: Ihr damaliges Kinderzimmer ist heute korallenpink, | |
| Lager für ihre Lithografie-Drucke und nur noch ein Hinterzimmer. Damals | |
| gehörte Li Portenlänger das kleinste Zimmer der Wohnung, eher eine Nische | |
| nach dem Gang („ich war ja ein Mädchen“). Eine prägende Erfahrung aus der | |
| Kindheit: wie sie ihre Eltern in einen dunklen Raum sperrten. Als sie | |
| aufwachte, war es stockfinster, sie wusste nicht, wo sie war, weinte die | |
| ganze Nacht („die Eltern hatten eben wenig Zeit“). Nachts wanderten ihre | |
| Hände entlang der tapezierten Wände, um den Lichtschalter zu finden („ich | |
| hatte immer Angst vor Geistern“). Was half? Das Licht natürlich und | |
| Aufräumen. Beide Elemente werden später Leitmotive in ihrem Schaffen. | |
| Die Familie: Li Portenlängers Bruder ist acht Jahre älter und darf auf das | |
| Gymnasium. Sie dagegen soll das Stoffgeschäft der Mutter gleich unter der | |
| Wohnung übernehmen, so erzählt sie im Treppenhaus. Die Fotografien dort | |
| zeigen stolze Bayern, Ordensträger und Geschäftsleute. Eine | |
| Schwarzweißfotografie zeigt die Mutter in einer ganz anderen Rolle, als | |
| Opernsängerin („sie hatte eigentlich eine tolle Stimme“). Der Vater, erst | |
| Bankkaufmann, stieg später mit ins Geschäft ein. Zwei Stockwerke tiefer, am | |
| Ende der Treppe, steht ein chinesischer Schirm mit bunt flatternden | |
| Fäden. Er sieht aus wie aus einem der Eisbecher vor der Tür. „Ich hab es | |
| nicht mehr ausgehalten“, sagt die Künstlerin und lässt die Handflächen nach | |
| unten kippen: „Ein bisschen bin ich abgehauen“. Damals war sie 16. | |
| Die Flucht: Von Freunden erfährt Li Portenlänger, dass man in Augsburg das | |
| Abitur nachmachen kann („ich war sofort weg“). Kurz darauf fährt sie mit | |
| Freundin in einem Mercedes-Bus Richtung Osten. Chinesische Drucke, | |
| orientalische Statuen und Stoffe erzählen von ihrer Reise durch 22 | |
| verschiedene Länder: Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Syrien, und später: | |
| Indien, Tibet und Nepal. Damals schrieb sie viele Briefe nach Hause, („die | |
| Reise war die große Auflehnung und Ablösung von dem, was mich gefangen | |
| hielt“). In einem Buchladen in Katmandu, als sie so durch die Bücher | |
| blätterte, erschlich sie das Gefühl zurückzuwollen und weiterzumachen. „Ich | |
| wunderte mich viel“, meint sie zu ihrer Rückkehr nach Deutschland, vor | |
| allem über den Alltag der Eichstätter, der Eltern. Der Rhythmus beim | |
| Reisen: ein natürlicher („plötzlich fehlte der Takt“). | |
| Kunst: Li Portenlänger entscheidet sich, ins „rote Bremen“ zu ziehen („so | |
| weit weg wie möglich, zumindest innerhalb Deutschlands“) und Kunst zu | |
| studieren: zunächst Malerei, später Grafik, dann Performance-Kunst. Vor | |
| einem roten Punkt auf weißem Grund in ihrer Wohnung macht sie Halt („Nein, | |
| das ist nicht die japanische Flagge“). Der rote Punkt trägt den Titel | |
| „supreme état“. Ihr schief gelegter Kopf spiegelt sich im Bild wider. Die | |
| Kreise seien mit ihre Lieblingsmotive („kosmische Formen“). | |
| Neuanfang: Der Schlüsselbund klimpert im Takt mit ihren Absätzen auf dem | |
| Pflaster, als sie durch die Altstadt zu ihrer Lithografie-Werkstatt geht. | |
| Früher empfand Li Portenlänger Eichstätt als „weltabgewandt“, heute als | |
| schönes Nebeneinander von Altem und Neuem. Neuem, das sie sich selbst | |
| schuf, als sie nach dem Tod ihrer Eltern 1994 wieder zurückzog. Zwei Jahre | |
| lang verstand sie sich als „Fremdkörper“ im Alten („erst durch die Kunst | |
| habe ich hier meinen Platz gefunden“). Gemeinsam mit Freunden baut sie die | |
| Lithografie-Werkstatt auf. Der („weltbeste“) Stein für die traditionellen | |
| Steindrucke kommt aus dem Nachbarort. Was ihr half, sich selbst zu | |
| verorten: die Arbeit an dem „goldenen Weg“, einem konzipierten Spaziergang, | |
| der die Aufmerksamkeit auf die goldenen Embleme der Stadt lenkt: Adler, | |
| Türschilder, Schriftzüge („das, was früher die Leuchtreklame waren“). | |
| Das Bestreben nach Verfeinerung, so beschreibt Li Portenlänger ihr | |
| Leitmotiv beim Umgang mit der Farbe Gold. Die wirke ja wie eine Veredelung, | |
| wie eine Bündelung des Lichts. Über ihrem Haus wurde mit Gold der frühere | |
| Schriftzug, wahrscheinlich der Name der Hausbewohner und auch ihrer, | |
| übermalt. „Als ich zurückkam, musste ich erst einmal aufräumen, damit sich | |
| die Geister lösen können.“ | |
| Heimat: „Heute bin ich froh, hier aufgewachsen zu sein“, sagt Li | |
| Portenlänger, die Hand an der Schläfe, als ob sie sich angestrengt an das | |
| Gefühl erinnern müsse, als es nicht so war. Das hätte sie erst in der | |
| Distanz gelernt. Eine Atempause später sagt sie: „Eigentlich aber ist die | |
| Kunst meine Heimat.“ | |
| Angst: Nicht mehr die Geister oder Dämonen in der Wohnung, sondern die | |
| „Zusammenhänge im globalen Weltgeschehen“ machen ihr heute noch Angst: | |
| religiöser Fatalismus oder Gier. | |
| Glück: „Glücklich“, überlegt Li Portenlänger und reibt den Daumen über… | |
| Fingerspitzen, als würde sie einen wertvollen Stoff durch die Hände gleiten | |
| lassen, das sei sie im Tun, im Moment. Glück als Gefühl würde sie hell | |
| malen, wie Licht – oder wie Gold. | |
| 19 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ann Esswein | |
| ## TAGS | |
| Der Hausbesuch | |
| Kunst | |
| Bayern | |
| Eichstätt | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| 40 Jahre Deutscher Herbst | |
| Der Hausbesuch | |
| Essen | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Der Hausbesuch: „Ich bin ein Nomade“ | |
| Schon als er im kurdischen Dorf in Syrien aufwuchs, spürte er die Unruhe. | |
| Anfangs dachte er, er suche Ziele. Doch das Gefühl blieb. | |
| Der Hausbesuch: Einer, der Ordnung ins Chaos bringt | |
| Karl-Heinz Viemann ist elektrisiert von der RAF. Er will alles wissen, | |
| sammelt, was er dazu kriegen kann. Er will aufklären, was unaufklärbar ist. | |
| Der Hausbesuch: Bei ihm pumpt das Herz | |
| Als Kind liebte er die Mühle des Großvaters, jetzt lebt er in Leipzig: | |
| Stephan Tuchscherer macht Krafttraining und schreibt Gedichte. | |
| Der Hausbesuch: Eine von vielen Normalitäten | |
| Automechaniker, Schauspieler, dann Caterer – Avi Toubiana hat viel gemacht. | |
| Jetzt verführen er und seine Frau mit jüdischer Kochkunst. | |
| Der Hausbesuch: Er wollte weg aus seinem Schatten | |
| In Griechenland studierte Nicolaos Bitas Philosophie und war Polizist. | |
| Heute ist er Kneipenwirt in einer Berliner Gartenkolonie. Dort kennt er | |
| alle. | |
| Der Hausbesuch: Sie stellte ihr Leben auf den Kopf | |
| Tochter, Mutter, Ehefrau, Muslimin – Emel Zeynelabidin erfüllte diese | |
| Rollen 30 Jahre lang perfekt. Dann trennte sie sich, legte das Kopftuch ab, | |
| begann zu suchen. | |
| Der Hausbesuch: Hier hat ein Städter gewohnt | |
| War Ludwig Thoma ein Nazi oder eine bayerische Ikone? Wer das Haus des | |
| Schriftstellers besuchen möchte, muss sich bei der Verwalterin anmelden. | |
| Der Hausbesuch: Undogmatisch zwischen Pu und Pauli | |
| Als Student zog Manfred Paulsen nach Marburg. Er wollte eine bessere Welt, | |
| engagierte sich – bis heute gehört er zum Buchladenkollektiv „Roter Stern�… |