# taz.de -- Der Hausbesuch: Eine von vielen Normalitäten | |
> Automechaniker, Schauspieler, dann Caterer – Avi Toubiana hat viel | |
> gemacht. Jetzt verführen er und seine Frau mit jüdischer Kochkunst. | |
Bild: Mund-zu-Mund-Propaganda kann wörtlich genommen werden: Am Tisch im Wohnz… | |
Avi Toubiana und Diana Reizman leben in Prenzlauer Berg, einem der hippen | |
Bezirke in Berlin. Zwischen den alten Gründerzeithäusern stehen Neubauten | |
mit klarer Architektur. Das Alte ist verjüngt, verschönert, verdrängt. | |
Draußen: Mittagszeit ist, die schwungvoll geformten Korbstühle sind fast | |
alle belegt. Ziegenkäse auf Rucola, überzogen von Feigenhonig, ist der | |
Renner. Im angrenzenden Café ist man schon beim Espresso. Bestellt wird auf | |
Deutsch, gesprochen wird Englisch, manchmal auch Französisch, Hebräisch, | |
Arabisch. Prenzlauer Berg in Berlin, vom Krieg weitgehend verschont, ist | |
heute das Epizentrum des bewussten und guten Geschmacks. | |
Drinnen: Eine große Fensterfront wirft Licht durch die olivfarbenen | |
Samtvorhänge. An der Wand steht ein schwarzes Klavier. „In jüdischen | |
Familien ist es Brauch, ein Instrument zu spielen“, sagt Avi Toubiana. Der | |
schwere Tisch mitten im Zimmer ist umgeben von zahlreichen Stühlen. Gästen | |
ist schnell klar: Hier wird gern beisammengesessen und gespeist. Momentan | |
mampft aber nur eine: die anderthalbjährige Arielle. Sie isst Kartoffelbrei | |
mit Brokkoli, greift aber zielgerichtet nach den süßen Leckereien, die ihre | |
Mutter, Diana Reizman, eben serviert: „Aus der eigenen Patisserie.“ | |
Kräutersalat: „Mein Name wurde oft verflucht“, da ist sich Avi Toubiana | |
sicher. Denn vor Großveranstaltungen müssen seine Angestellten manchmal | |
eine ganze Woche lang Kräuter auf Insekten hin untersuchen. Die Winzlinge | |
sind nicht koscher. Ebenso gilt: keine Schalentiere, kein Schwein, kein | |
Hase; Milch und Fleisch stets getrennt. Der Cateringservice Elfenbein, den | |
die beiden gegründet haben, sei nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda | |
gewachsen. Im wortwörtlichen Sinne. Und das ziemlich schnell. | |
„Sushi ist out“, sagt Avi Toubiana. Dafür erfreue sich peruanische | |
Ceviche größter Beliebtheit – „mit israelischem Touch“, wie seine Frau | |
hinzufügt. Kürzlich verköstigten sie eine nichtjüdische | |
Hochzeitsgesellschaft in Bochum. Denn die Braut war laktoseintolerant, und | |
das komplette Elfenbein-Angebot kommt ohne Milchzucker aus. Solche Essen | |
würden oft bestellt. Nicht nur wegen einer Unverträglichkeit. Sondern weil | |
es einfach schmeckt. Koscher hin oder her. | |
Die erste Karriere: Teile von Avi Toubianas Familie lebten bereits vor dem | |
Holocaust in Deutschland. Am 8. November 1938, einen Tag vor dem Pogrom, | |
flüchtete Avis Großvater nach Palästina. Im späteren Staat Israel verliebte | |
sich seine Tochter, Avis Mutter, in einen tunesischen Juden. Die | |
Flitterwochen verbrachten die beiden in Nachkriegsdeutschland. Warum | |
ausgerechnet dort? Avi versteht es bis heute nicht. Aber sie blieben. Im | |
beschaulichen Erkrath bei Düsseldorf wird Avi geboren, geht dort zu Schule, | |
macht eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, später das Abitur an der | |
Abendschule und einen Job bei BMW. Das sollte alles sein? | |
Szenewechsel: Avi Toubiana zieht es nach New York. Dort studiert er, es ist | |
seine zweite Karriere, Schauspiel am Lee Strasberg Institute in Manhattan. | |
Mit seinem Bruder David möchte er eine Show schreiben. Sie scheitern an den | |
Hürden der Einwanderungsgesetze der USA. Also produzierten sie ihren ersten | |
Film in Köln. „Komm, wir machen es jetzt richtig, wir ziehen nach Berlin“, | |
sagt der Bruder. Sie treten im Quatsch Comedy Club, im Admiralspalast auf. | |
Ihr Stück „Mord im Panini-Express“ läuft bis 2012. Aber das Duo muss | |
feststellen: „Davon leben kann man nicht.“ | |
Die Kurzentschlossene: „Ganz anders“ hingegen verläuft Dianas Weg nach | |
Berlin. In Kischinau, Moldawien verbringt sie die ersten fünfzehn Jahre | |
ihres Lebens. Dann heißt es: Naher Osten statt Osteuropa. In Israel macht | |
sie Abitur, danach den Militärdienst. Sie arbeitet bei der israelischen | |
Flugzeug-Airline El Al im Sicherheitsbereich. Weil sie Erfahrung in der | |
Jugendarbeit hat, erhält sie ein Angebot: Die Zentralwohlfahrtsstelle der | |
Juden in Deutschland bietet ihr ein soziales Jahr in Berlin an. | |
Binnen zwei Wochen packt sie ihre Koffer. In Städten wie Cottbus und | |
Frankfurt (Oder) bringt sie neu angekommen jüdischen Jugendlichen aus der | |
ehemaligen Sowjetunion die Religion näher. Aus einem Jahr werden zwei. | |
Schließlich bleibt sie für unbestimmte Zeit. Sie hat Avi in der orthodoxen | |
Synagoge in der Berliner Joachimstaler Straße kennengelernt. Auch er hat | |
Erfahrungen in der Jugendarbeit. Sie finden eine Lücke in der | |
Organisationskette: gutes, koscheres Essen. 2008 beginnen sie mit kleinen | |
Projekten, seit 2016 arbeiten sie Vollzeit für ihr Herzstück, Elfenbein. | |
Die dritte Karriere. | |
Arbeit: ist der neue Job nicht. Familie Toubiana-Reizman ist viel | |
unterwegs. Auch in München, Frankfurt und Düsseldorf, in Spanien und der | |
Schweiz sind ihre koscheren Köstlichkeiten auf Bar-Mizwa- und | |
Hochzeitsfesten beliebt. Ein Maschgiach ist immer dabei. Er kontrolliert | |
die Einhaltung der Regeln für Koscheres, reinigt mit einem Feuerbrenner | |
Arbeitsflächen, ehe sie benutzt werden. | |
Wegen dieser Praktik hatte Avi vor Kurzem „fast einen Herzinfarkt“: Die | |
Rauchmelder eines neuen Fünfsternehotels waren noch nicht abgestellt. 400 | |
Gäste wurden evakuiert, ein Löschzug rollte an: „Ich sag immer, wenn die | |
Leute einen Kick brauchen, sollen sie einen Tag bei mir arbeiten.“ Das sei | |
besser als Drogen. Ob sie ein Lieblingsgericht haben? Für Avi ist es | |
eingerollte Gänsebrust mit Pflaume in Weinsoße, für Diana der Papayasalat. | |
Leben: Weit entfernt von der Normalitätsei das jüdische Leben im heutigen | |
Deutschland. Die ewigen Diskussionen über Judentum und Israel nerven | |
Toubiana. Etwas sitze „noch richtig im Mark“, wie er sagt: „Immer wenn die | |
Leute auf das Judentum angesprochen werden, denken sie direkt an den | |
Holocaust. Und dann sagen sie, also ich habe damit eigentlich nichts zu | |
tun, und das, was in Israel passiert, ist auch nicht in Ordnung.“ | |
Schon zu Schulzeiten sei er „jüngster israelischer Botschafter“ gewesen. | |
Ungewollt. „Jesus wurde von den Juden ermordet“, wurde er nach dem | |
Religionsunterricht von den anderen Kindern angefahren. Während Avi davon | |
erzählt, spielt Töchterchen Arielle quietschvergnügt auf dem Balkon. Ihre | |
Schwester ist bereits in der jüdischen Vorschule. Die Eltern wünschen sich | |
für die Kinder ein Umfeld „in dem sie sich nicht die ganze Zeit | |
rechtfertigen müssen“. | |
Wie finden Sie Merkel? Sie mache einen guten Job, „aber die | |
Flüchtlingssituation hat sie verschlafen“. Zu langsam habe man reagiert. | |
„Was in Syrien passiert, ist schlimm“, sagt Toubiana. „Man hätte die | |
Menschen aber besser kontrollieren können“, meint Reizman. Schon jetzt | |
würden jüdische Menschen von „arabischstämmigen Leuten“ angepöbelt. Ihn | |
stört, dass die Polizei nicht eingreift, wenn auf Demonstrationen | |
„Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ gerufen wird. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna-Theresa Bachmann | |
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