# taz.de -- Der Hausbesuch: Hier hat ein Städter gewohnt | |
> War Ludwig Thoma ein Nazi oder eine bayerische Ikone? Wer das Haus des | |
> Schriftstellers besuchen möchte, muss sich bei der Verwalterin anmelden. | |
Bild: Draußen: Das Landhaus des Schriftstellers Ludwig Thoma in Oberbayern | |
Zu Besuch bei Frau Hausperger, Hausverwalterin im Ludwig-Thoma-Haus, Auf | |
der Tuften 12, 83684 Tegernsee. | |
Tegernsee: Von München zum Tegernsee: Die gut fünfzig Kilometer, da bin ich | |
doch in einer Stund’ draußen! Denkt man so. Aber dann ist halt wieder Stau: | |
Auf dem Mittleren Ring, auf der Autobahn, auf den Landstraßen; und wenn es | |
bis dahin ausnahmsweise geflossen ist, dann hakt es auf jeden Fall am Ufer | |
entlang, von Gmund nach Rottach-Egern. Aber es gibt ja einen Bahnhof, im | |
Ort Tegernsee, den man mit der Bayerischen Oberlandbahn tatsächlich in | |
einer Stunde erreicht. Bis zum Ludwig-Thoma-Haus sind es dann allerdings | |
noch gute vierzig Minuten Fußweg – wenn man kein Radl dabeihat (der | |
einstige Hausherr selbst war übrigens ein passionierter Radler). | |
Wohin? Wo ist es denn nun, das Ludwig-Thoma-Haus, Auf der Tuften 12, im Ort | |
Tegernsee? Ein Hinweisschild sucht man vergeblich, was nicht heißt, dass es | |
keines gibt. Aber was nutzt einem ein Schild, das einem nicht gleich ins | |
Auge springt? Gehen wir ruhig davon aus, dass in einer Gemeinde, in der | |
Ludwig Thoma mehr als ein Dutzend Jahre gelebt hat und die sowohl über | |
einen nach dem bayerischen „Volksschriftsteller“ benannten Weg als auch | |
über eine nach ihm benannte Straße verfügt, schon eine Kenntnis besteht, | |
dass es diesen Ludwig Thoma vor Ort gegeben hat. Wer nun mutmaßt, es könne | |
irgendein Problem mit dem Ludwig-Thoma-Haus geben, dem kann gesagt werden: | |
Es gibt ein Problem. | |
Das Problem: Wenn man sich von der Hausbetreuerin Irene Hausperger in das | |
Landhaus – „hier hat ein Städter gewohnt, kein Bauer“ – hat führen la… | |
wird das Problem klar. Überall an den Wänden Fotografien, auf denen diverse | |
Münchner Oberbürgermeister zu sehen sind, zusammen mit den Größen | |
bayerischen Kunst- und Kulturlebens. Sie lachen und fühlen sich sichtlich | |
wohl. Thoma (1867–1921) war nicht nur ein auch heute noch in Teilen sehr | |
lesbarer und erfolgreicher Schriftsteller. Thoma ist mehr, er ist eine | |
Ikone des Bayerseins, mit dem „Münchner im Himmel“, mit den | |
„Lausbubengeschichten“, mit der im Dialekt geschrieben „Heiligen Nacht“, | |
mit seinen antipreußischen Affektsatiren, die im legendären Blatt | |
Simplicissimus erschienen, das er viele Jahre leitete. Thoma war ganz | |
entschieden daran beteiligt, Bayern das krachlederne Gesicht zu geben, das | |
sich heute noch alle aufsetzen, die sich davon etwas versprechen: die | |
Staatsregierung, die CSU, der FC Bayern und die Tourismusbranche. Und eben | |
auch die Oberbürgermeister. Von 1967 an verliehen sie die | |
Ludwig-Thoma-Medaille in Gold, unter vielen anderen an Herbert | |
Achternbusch, Gerhard Polt und Dieter Hildebrandt. 1989 hörten sie damit | |
auf. Da erschien ein Buch des Geschichtsprofessors Wilhelm Volkert, nach | |
dem man Konsequenzen ziehen musste aus Tatsachen, die eigentlich immer | |
schon bekannt gewesen waren: dass der „Volksdichter“ Ludwig Thoma in seinen | |
letzten beiden Lebensjahren sich im Hetzblatt Miesbacher Anzeiger in einer | |
Weise nationalistisch und antisemitisch publizistisch betätigt hatte, dass | |
es einen, wie Frau Hausperger sagt, „einfach nur graust“. | |
Frau Hausperger: Frau Hausperger empfängt an der Freitreppe auf der | |
Südseite des Hauses. Davor liegt der Garten mit Blick auf den Wallberg. | |
Frau Hausperger sieht man an, dass sie den ganzen Tag aktiv ist; was man | |
ihr nicht ansieht, sind ihre 59 Jahre. Frau Hausperger hat nicht nur den | |
Garten und ein Haus mit 450 Quadratmetern Wohnfläche zu versorgen. Sie hat | |
hier in Tegernsee zusammen mit ihrem Mann, 61, ihre zwei Kinder | |
großgezogen, und sie ist eben nicht zuletzt die „Betreuerin“ des | |
Ludwig-Thoma-Hauses. Kundig und in einem weichen Münchnerisch führt sie | |
durch die weitgehend original erhaltenen Zimmer im Erdgeschoss und im | |
zweiten Stock, mit den niedrigen Decken und kleinen Fenstern. Frau | |
Hausperger ist mit ihrer Familie 1991 an den Tegernsee gekommen. Sie stammt | |
aus Münchnen, hat Fremdsprachensekretärin gelernt und arbeitete als | |
städtische Angestellte, als sie die Ausschreibung zur Betreuung des | |
Thoma-Hauses sah. Sie macht keine große Sache aus der doch recht mutigen | |
Entscheidung, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und zu Thoma zu | |
ziehen. Ohne ihren Mann wäre das nicht gegangen, das war auch den | |
Entscheidern bei der Stadt München klar, weswegen er beim | |
Einstellungsgespräch dabei war: Allein die schweren Möbel zu verrücken, | |
wenn das Haus für Veranstaltungen genutzt wird, das packt keiner allein; | |
und die tief verschneite Tuften-Straße freizufräsen, das hat, wie so vieles | |
andere in all den Jahren, auch ihr Mann gemacht. | |
Das Erbe: Rechtlich ist das Thoma-Haus seit 1964 Eigentum einer städtischen | |
Stiftung, deren Vorsitzender automatisch der jeweilige Münchner | |
Oberbürgermeister ist. Dass die Räume so sind, wie sie sind, ist neben Frau | |
und Herrn Hauspergers Arbeit Maidi von Liebermann zu verdanken, der letzten | |
von einigen großen Lieben Ludwig Thomas, der er Haus und literarische | |
Rechte vererbte. Maidi von Liebermann galt in der Nazi-Terminologie als | |
„nicht arisch“, ihr Bruder wurde in Buchenwald ermordet: „Niemand wagte | |
sich an mich heran“, sagte sie 1965 in einem Interview zu ihrem Überleben | |
im Dritten Reich. Das habe sie Ludwig Thoma zu verdanken. | |
Die Räume: Gelebt hat Thoma im Tuften-Haus allerdings mit einer anderen | |
Frau, der deutsch-philippinischen Varietékünstlerin Marietta di Rigardo aus | |
Berlin. Vier Jahre, von 1907 bis 1911, waren die beiden nicht recht | |
glücklich verheiratet. Unten im Haus hatte Marietta ihren Salon, im | |
Biedermeierstil eingerichtet. Geliebt hat sie Haus und Landleben nie. Der | |
Hausherr hielt sich lieber an die genau gegenüberliegende Jagerstube, mit | |
Rehgeweih und König Ludwig II. an den Wänden. Im zweiten Stock ist das | |
repräsentative Arbeitszimmer Thomas erhalten. Maidi von Liebermann hat | |
teils hier übernachtet, um Plünderungen zuvorzukommen, erzählt Frau | |
Hausperger. Im Bücherregal stehen viel Geschichtliches und die Klassiker, | |
darunter Heinrich Heines sämtliche Werke, in Leder gebunden. | |
Pläne: Die Hauspergers wollen auch nach ihrer Pensionierung ihren | |
Lebensabend am Tegernsee verbringen. Es ist kein einfacher Job, den sie | |
machen, eine Berufsbeschreibung gibt es nicht. Und der Wechsel zwischen | |
physischer Knochenarbeit, der Verwaltung, den Veranstaltungen und den | |
Führungen sei belastend geworden mit den Jahren. Das Ludwig-Thoma-Haus ist | |
jedenfalls genau das, was es sein soll: ein Ort, den jeder nach | |
telefonischer Voranmeldung besuchen kann, aber den man nicht groß bewirbt. | |
Ein Ort, an den zum Glück keine Menschen pilgern, die nicht den | |
Schriftsteller, sondern den Hetzer Thoma verehren. Und solange die | |
Hauspergers den Laden schmeißen, ist das Haus eines nicht: ein Museum. | |
Thoma würde das möglicherweise mögen. | |
9 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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