# taz.de -- Neue Begriffe im Duden: Schnappschuss Deutsch | |
> Die 27. Auflage des Dudens erscheint mit 5.000 neuen Begriffen. Das | |
> Standardwerk der deutschen Sprache ist ein Spiegel unserer Zeit. | |
Bild: Er ist wunderschön | |
Der „Volksverräter“ fehlt. Kathrin Kunkel-Razum entschuldigt sich für die | |
Panne. Am Montag hatte der Duden-Verlag mitgeteilt, dass der Nazi-Begriff | |
als eines von 5.000 neuen Begriffen in der Neuauflage auftauchen würde. | |
Beim Durchblättern stellt die Redaktionsleiterin fest: Tut er gar nicht. | |
Dass die neurechte Modevokabel vergessen wurde, wird die einen freuen, die | |
anderen aufreiben. Vor allem aber zeigt der Fehler, dass das Schreiben von | |
Standardwerken über Sprache, vor allem ein menschlicher Prozess ist. | |
Der neue Duden, der am Mittwoch erscheinen wird, ist aber auch ein Spiegel | |
gesellschaftlicher Entwicklungen. Wenn ein Wort neu aufgenommen wird, dann | |
liegt das in der Regel daran, dass es aus dem Diskurs nicht mehr | |
wegzudenken ist. So erschien in der letzten Duden-Neuauflage von 2013 zum | |
ersten Mal das Wort „Shitstorm“, der „Entrüstungssturm in einem | |
Internetmedium“. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sogar Angela | |
Merkel im Jahr davor dadurch aufgefallen war, das Wort zu benutzen. | |
Internationale Medien griffen die Geschichte auf, dass die deutsche | |
Kanzlerin unflätige Dinge sagt – und auch noch falsch ausspricht | |
(„[1][Schitschtorm]“). Inzwischen ist der „Shitstorm“ allgegenwärtig, | |
PolitikerInnen sind ihm ausgesetzt, JournalistInnen, manchmal Unternehmen. | |
Erklärt werden muss er nicht mehr. Steht doch im Duden, Alter. | |
Dass in der aktuellen Neuauflage nun „Fake News“ als neues Wort auftaucht, | |
gibt Auskunft über beginnende und endende Debatten im deutschen Sprachraum. | |
Die Duden-Redaktion bezieht sich auf eine deutschsprachige Textsammlung – | |
Fachbegriff „Korpus“ – die sich aus Zeitungsartikeln, Belletristik und | |
Sachtexten speist und ständig anwächst. Laufend fragen | |
ComputerlinguistInnen dieses Korpus nach Begriffen ab, die eine bestimmte | |
Häufigkeitsschwelle überschreiten. Sind die Wörter noch nicht im Duden | |
aufgeführt, werden sie zu Kandidaten für eine Neuauflage. | |
## „Wir wollen keine Eintagsfliegen“ | |
Dazu müssen die Begriffe aber in verschiedenen Textsorten auftauchen und | |
in mehr als einem Medium. Als Zeitungsredaktion einen Neologismus prägen | |
und so oft drucken, bis der Duden ihn aufnimmt: geht nicht. Außerdem achtet | |
die Redaktion darauf, dass die neuen Wörter über einen längeren Zeitraum | |
hinweg benutzt werden. „Wir wollen keine Eintagsfliegen“, sagt | |
Redaktionsleiterin Kunkel-Razum. Wie zum Beispiel das Wort „Smombie“, das | |
eine Jury 2014 zum „Jugendwort des Jahres“ erklärt hat. Damals tauchte das | |
Wort erst in sämtlichen Medien auf, dann aber nie wieder – in den Duden hat | |
es „Smombie“ jedenfalls nicht geschafft. | |
Das zeigt auf wohltuende Weise, dass einstige Aufregerthemen manchmal | |
einfach friedlich verstummen. Zum Beispiel, ob ein Gerät Jahr-2000-fähig | |
ist. Ende der Neunziger galt das als Sache von Leben und Tod – man | |
befürchtete den Zusammenbruch aller elektronischen Systeme, von | |
Krankenhäusern, Security, Flugleitsystemen, ein regelrechtes | |
Netzwerkarmageddon. Aber es ist nie eingetreten, und so hat auch das Wort | |
seinen Dienst getan. | |
Andererseits wird sichtbar, welche Debatten in den letzten vier Jahren | |
dazugekommen sind. Sachverhalte, über die noch vor Kurzem außerhalb von | |
Spezialdiskursen niemand nachzudenken oder zu sprechen fähig war, oder die | |
es schlicht nicht gab. | |
## „Willkommenskultur“, „Lügenpresse“, „Fake News“ | |
„Willkommenskultur“, „Lügenpresse“ und „Fake News“ deuten auf eine… | |
hin, die es so 2013 noch nicht gegeben hat. Steigende Asylbewerberzahlen | |
und Bilder von einem Budapester Bahnhof voller Menschen auf der Flucht | |
lösten die sogenannte „Flüchtlingskrise“ aus (auch ein neues Duden-Wort), | |
in deren Folge sich in Deutschland eine mehr oder weniger mainstreamfähige | |
Rechte formierte – die wiederum die Deutungshoheit der Medien infrage | |
stellte. Nationalistische Politik erstarkte zeitgleich in mehreren | |
europäischen Ländern, sodass in diesem Jahr auch neben dem „Brexit“ zum | |
ersten Mal das Wort „Europagedanke“ auftaucht. Klare Sache: Wenn etwas | |
nicht groß angezweifelt wird, muss man auch nicht darüber sprechen. | |
Ebenso neu sind viele technische Begriffe: das „Selfie“ ist natürlich | |
dabei, das „Emoji“ und der „Medienhype“. Dinge sind jetzt „downloadba… | |
man kann sie aber auch im „Livestream“ anschauen – allerdings noch nicht | |
„livestreamen“. Das Perfekt „gelivestreamt“ kann man also weiterhin rot | |
anstreichen. Nicht fehlen dürfen natürlich auch die Schreckgespenster des | |
Internets: Das „Darknet“, der „Cyberkrieg“ und die „Social Bots“. | |
Die Dudenredaktion legt Wert darauf, in der Auswahl der Wörter deskriptiv | |
zu arbeiten – also dokumentarisch das abzubilden, was in der Schriftsprache | |
ohnehin vorhanden ist. Das Gegenteil wäre, präskriptiv vorzugehen, also | |
Wörter aufzunehmen, von denen die Redaktion findet, dass sie verwendet | |
werden sollten – aktive Sprachpolitik. | |
## „Wutbürgerin“, „Rabaukin“ | |
Das macht die Duden-Redaktion nur in einem einzigen Bereich: „Es ist | |
Verlagspolitik, die weibliche Form von Wörtern aufzuführen, auch wenn sie | |
nicht geläufig ist“, sagt Kunkel-Razum. So fiel schon bei der Neuauflage | |
2013 Wörter wie „Wutbürgerin“ oder „Rabaukin“ auf, bei denen sich nic… | |
wenige fragten, ob sie überhaupt jemand benutzt. „Wir zeigen damit, welche | |
Möglichkeiten es gibt, das ist Form der Sprachpolitik.“ | |
Der Duden ist eine Momentaufnahme der deutschen Sprache, der Schnappschuss | |
von einem kontinuierlichen Prozess. Die Redaktion arbeitet ständig daran, | |
neue Wörter aufzunehmen und alte rauszuwerfen. „Was in fünf oder zehn | |
Jahren mit ‚tindern‘ ist, wissen wir nicht“, sagt Kunkel-Razum. „Sollte… | |
die App dann nicht mehr geben, dürfte auch das Wort verschwinden.“ Wer | |
weiß, vielleicht hat sich bis dahin auch der „Volksverräter“ erübrigt. | |
7 Aug 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theguardian.com/world/2012/jun/07/merkel-cameron-chat-future-eu… | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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