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# taz.de -- Krise des linearen Fernsehens: Vom Radio lernen …
> Qualitätsserien laufen im deutschen Fernsehen nicht. Privatsender sollten
> deshalb in Neues investieren. Und nicht versuchen, was sie nicht können.
Bild: Fernsehen: Ob sich das jemals durchsetzen wird?
Es ist alle paar Monate das Gleiche: Ein deutscher Privatsender kauft eine
amerikanische „Premiumserie“, bewirbt sie aufwendig – und dann guckt sie
keiner. Hin und wieder versucht ein Sender das Ganze mit einer
eigenproduzierten Serie – erfolglos.
Dass das so ist, liegt – das wurde in Feuilletons, Branchen-Debatten und
sozialen Medien längst beschlossen – am fehlenden Mut der Sender, an
mangelndem Durchhaltevermögen und an Inkompetenz. Die Tatsache aber, dass
kaum etwas so beständig scheitert wie anspruchsvolle Serien auf Sat.1 oder
RTL, spricht dafür, dass wir es mit einem größeren Phänomen zu tun haben.
Was wäre, wenn das Medium Fernsehen für all diese tollen Serien einfach
nicht mehr das richtige ist?
Um das herauszukriegen, kann man mit einer einfachen Frage beginnen: Warum
gibt es eigentlich keine Radiozeitschriften? Die Frage ist deshalb so
interessant, weil Radio und Fernsehen strukturell extrem viel gemeinsam
haben und dennoch beim Radio die Nutzung komplett spontan erfolgt. Man hört
beim Autofahren Radio, beim Einkaufen, beim Sport. Und weil das Radio das
weiß, gestaltet es so auch sein Programm: flüchtig und kleinteilig, damit
jederzeit eingeschaltet werden kann, ohne irgendwas zu verpassen.
Das Interessante ist: Das war nicht immer so. Schaut man zurück in die
ersten Jahrzehnte des Radios, so findet man Radiokrimis, Talkshows mit
beliebigem Schwerpunkt, sogar fiktionale Serien. Was hat diese Form von
Radio vernichtet? Natürlich: das Fernsehen.
## Besinnung auf die Stärken
Wer sich mit scheinbar sterbenden Medien beschäftigt, liest oft vom
„Riepl’schen Gesetz“. Wolfgang Riepl war Journalist und hat 1913 die These
aufgestellt, dass neue Medien ihre Vorgänger nie ersetzen, sondern nur
verändern. Damals ging es vor allem um das Radio, das mit seiner höheren
Aktualität die Zeitungen zu verdrängen drohte. Stattdessen aber mussten
diese sich nur auf ihre Stärken besinnen: Hintergrundberichte und lokale
Nachrichten. Dinge, die das Radio nicht anbieten kann, weil Sendezeit und
Frequenzen begrenzt sind.
Ein halbes Jahrhundert später passiert das Gleiche: Formen, die im
Fernsehen besser funktionieren, verschwinden aus dem Radio, das seine
Stärke als Nebenbei-Medium entdeckt. Der Vorteil des frühen Fernsehens ist
vor allem die größere Aufmerksamkeit, die ihm der Zuschauer einräumt: Ein
Radiohörer im Auto fährt ja nicht deshalb Auto, weil er Radio hören möchte.
Ein Zuschauer dagegen, der sich nach dem Abendessen aufs Sofa setzt, trifft
die Entscheidung, seine Aufmerksamkeit dem Fernseher zu widmen – und ist
dementsprechend offener für komplexe Stoffe.
Dieses Bild wirkt längst angestaubt, denn auch das Fernsehen hat sich zum
Nebenbei-Medium entwickelt. Wenn ich in jedem Zimmer drei Bildschirme habe,
mein Handy mit „Candy Crush“ lockt und dreißig Freunde bei WhatsApp
murmeln, habe ich als Zuschauer zwangsläufig weniger Aufmerksamkeit übrig.
Wenn dem Fernsehen das passiert, was vor ihm schon älteren Medien passiert
ist, dann muss sich ein deutscher TV-Manager zwei Fragen stellen: Was haben
die neuen Konkurrenzmedien mir voraus? Was bedeutet das für meinen Sender?
## Die Primetime geht kaputt
Die neuen Medien sind natürlich die Streamingdienste: werbefinanzierte wie
YouTube und kostenpflichtige wie Netflix. Die kostenlosen Dienste sind auf
kurze Videos spezialisiert, die inhaltlich eine extreme Breite abdecken.
Die kostenpflichtigen Dienste dagegen setzen auf Filme und Serien und
machen dem Fernsehen den profitabelsten Teil seines Programms kaputt: die
Primetime.
Der Vorteil von Netflix ist dabei: Fokus. Je anspruchsvoller eine Serie,
desto mehr setzt sie eine Bereitschaft voraus, sich auf eine Stimmung
einzulassen. Diese Bereitschaft hat kaum ein Zuschauer zu jeder Tageszeit
und an jedem Ort. Wenn Leute also sagen, dass sie Serien lieber auf Netflix
schauen als auf Pro7, dann geht es nicht um den Moment des Anschauens,
sondern um das Sicheinlassen, weniger um zeitliche als um emotionale
Flexibilität: Ich schaue etwas, wenn ich mich danach fühle.
Dass der größte Vorteil der Streamingdienste gar nicht ihre zeitliche
Flexibilität ist, zeigt sich besonders bei den kostenlosen Anbietern. Wenn
es Leuten darum ginge, Sat.1-Sketche in der U-Bahn zu schauen, hätten sie
das auch vor fast zehn Jahren schon gekonnt – so verschlafen sind auch die
deutschen Sender nicht. Dass viele trotzdem Y-Titty gucken, liegt nicht
daran, dass diese lustiger sind, sondern dass sie eine Marktlücke füllen:
Comedy von der eigenen Generation, schneller produziert und mit
Feedback-Schleife. Auch das ist ein emotionaler Vorteil: ein Programm, dass
ich mir selbst zusammenstelle, entspricht mir mehr, als es das von Pro7 je
könnte.
## Es ist noch nicht vorbei
Was soll man also tun als deutscher Privatsender? Genau wie damals die
Radiosender und Zeitungen: das Gegenteil der Konkurrenz. Wenn Netflix in
Sachen anspruchsvoller Serien immer das bessere Angebot haben wird, dann
können RTL und Co immer noch bei den Serien auftrumpfen, die an den
Zuschauer weniger hohe Ansprüche stellen. Dass das kein qualitatives Urteil
sein muss, zeigt sich an den Serien, die etwa auf Pro7 nach wie vor gut
laufen: „How I Met Your Mother“ und „Die Simpsons“. Beide werden von der
Kritik geliebt, taugen aber trotzdem als Berieselungsfernsehen: Egal wann
ich einschalte, die Witze helfen mir in den Rest der Folge.
Und auch im Vergleich zu YouTube ist für Privatsender nicht alles verloren:
denn je breiter das Angebot, desto niedriger die einzelnen Budgets. Ein
LeFloid wird immer schneller produzieren können als Joko und Klaas, aber
nur Joko und Klaas können aufwendige Shows mit großem Bühnenbild stemmen.
Und es gibt noch einen dritten Punkt: den der Kuratierung. Alle
Streamingdienste schlagen mir immer passgenauere Inhalte vor – trotzdem
muss immer ich eine Auswahl treffen. Der Blick in andere Branchen zeigt,
dass es immer eine Zukunft gibt für Firmen, die mir diese Auswahl abnehmen.
Der Trick liegt hier, wie bei Radiosendern, in der konsequenten
Herausarbeitung einer Programmstimmung, auf die sich der Zuschauer zu jeder
Zeit verlassen kann.
„Aber in den USA“ könnte man jetzt sagen. „This is Us“, das gerade auf…
zu wenige Menschen schauen, ist dort auf NBC Kritikerliebling und Quotenhit
zugleich. Im Gegensatz zu deutschen Sendern aber hat NBC seit Jahrzehnten
gepflegte Sendeplätze für Qualitätsserien. Und nur deswegen gibt es dort
nach wie vor genug Zuschauer, die für diese Serien alle Nachteile des
linearen Fernsehens in Kauf nehmen. Der Blick auf jede Zuschauerstatistik
aber zeigt, dass dieser Markt beständig kleiner wird.
## Der effizienteste Weg zu den Inhalten
Übrigens: Die anspruchsvollen Radioprogramme von früher feiern gerade
anderswo ein großes Revival: im Internet. Podcasts profitieren dort von
den gleichen Strukturen wie Qualitätsserien. Und das ist vielleicht der
klügste Ausweg aus dieser Debatte: einzusehen, dass es weder um
Intelligenz, Qualität und noch nicht mal um das Fernsehen an sich geht,
sondern nur um Zuschauer, die sich den effizientesten Weg zu den Inhalten
suchen.
Genau deshalb müssen öffentlich-rechtliche Sender auf Streamingdienste auch
komplett anders reagieren. ARD und ZDF haben durch die Beitragsfinanzierung
den Vorteil, dass sie, in ihrer idealen Gestalt und, wenn sie wollten,
ohnehin eher Netflix entsprechen könnten als RTL. Dem
öffentlich-rechtlichen Sender der Zukunft – und die Jugendplattform FUNK
ist da ein gutes Beispiel – ist es egal, wo seine Sendungen konsumiert
werden. Er trägt einfach nur dafür Sorge, dass wir Zuschauer das beste
Programm für unsere Rundfunkbeiträge bekommen.
29 Jul 2017
## AUTOREN
Stefan Stuckmann
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Fernsehen
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