| # taz.de -- Zweite Staffel von „Eichwald, MdB“: Hajo, der treudoofe Hanswur… | |
| > Jedes Land hat die Polit-Serie, die es verdient. Trotz aller | |
| > Übertriebenheit ist „Eichwald, MdB“ verdammt nah dran am deutschen | |
| > Politikeralltag. | |
| Bild: Hajo Eichwald (2.v.l.) sitzt nicht auf der Hinterbank, er reitet sie | |
| Das deutsche Fernsehen kann ja eigentlich weder Politik noch Comedy. Umso | |
| erstaunlicher, dass „Eichwald, MdB“ beides vereint – und dann auch noch | |
| gut. In der ersten Staffel der Miniminiserie konnte man auf ZDF neo dem | |
| Bochumer Bundestagsabgeordneten Hajo Eichwald viermal dreißig Minuten lang | |
| dabei zusehen, wie er von einer Katastrophe zur nächsten trottelte, und | |
| schon da waren die Parallelen zur Wirklichkeit verblüffend. | |
| Jetzt kommt endlich die zweite Staffel, nachdem das ZDF sich lange nicht zu | |
| einer Fortsetzung hatte entschließen können, immerhin sechs Folgen, und | |
| noch mehr als bei der ersten fragt man sich, wie viele Informanten die | |
| Macher denn wohl an zentralen Stellen der SPD-Bundestagsfraktion platziert | |
| hatten. Zwar wird in der Serie nicht gesagt, für welche Partei Hajo da | |
| eigentlich sitzt, aber groß herausgefordert wird die Fantasie diesbezüglich | |
| nicht. | |
| Staffel zwei, geradezu prophetisch, spielt kurz nach einer Bundestagswahl, | |
| Hajo Eichwald hat sein Bochumer Revier gerade nochmal so gegen einen | |
| 24-jährigen rechtspopulistischen Youtuber verteidigt. Die Fraktion ist im | |
| Krisenmodus angesichts von immer weniger Direktmandaten und hat sich in | |
| eine Große Koalition gerettet, um nicht komplett abzurauschen. | |
| Hajo selbst hat nicht nur keine Ahnung vom Internet, er ist auch zunehmend | |
| verloren im sich immer schneller drehenden Diskurskarrussell um ihn herum, | |
| das keinen Dickenwitz verzeiht und ihm seine bisherige Erfolgsstrategie – | |
| wenn man merkt, dass man gerade Mist erzählt hat, einfach umschwenken und | |
| voll unschuldiger Überzeugung das Gegenteil vertreten – nicht länger | |
| durchgehen lässt. Er wittert seine Chance in einem großen Dopingskandal, | |
| für den er einen Untersuchungsausschuss anleiert. Vor dem landet er dann, | |
| man ahnt es, bald selbst. | |
| ## Bitterschwarzer Humor | |
| Dazu muss man wissen: Hajo Eichwald sitzt nicht auf der Hinterbank, er | |
| reitet sie. Und zwar seit Jahrzehnten. Immer, wenn er kurz vorm politischen | |
| Durchbruch steht, stolpert er entweder über sich selbst oder seine | |
| Mitarbeiter, die es immer gut mit ihm meinen und also sein Untergang sind. | |
| Da ist der onkelige Bernd, sein ewiger Schatten, der zwar klüger ist als | |
| der Chef, aber auch unverbesserlich von gestern. Da ist Sebastian, der zwar | |
| twittern kann, aber keine drei Meter geradeaus denken. Und Julia, seine | |
| Büroleiterin, ohne die der Laden so wenig funktioniert, dass sie kurz nach | |
| der Entbindung schon wieder im Büro auftaucht, wo sie Hajo das kotzende | |
| Kind in den Arm klatscht und dann eine halbe Folge lang sehr nachahmenswert | |
| ins Telefon brüllt. | |
| Der bitterschwarze Humor von „Eichwald, MdB“ erinnert an britische Serien | |
| wie Blackadder oder The Office, die von der genialen Bescheuertheit ihrer | |
| Figuren in ausweglosen Situationen leben. Hajo ist im Grunde ständig damit | |
| beschäftigt, Brände, die er selbst gelegt oder indirekt in Auftrag gegeben | |
| hat, wieder auszutrampeln. Sein Darsteller Bernhard Schütz ist zudem der | |
| wohl einzige deutsche Schauspieler, dem man eine Frage wie “Schenkt man da | |
| was?“ abnimmt, wenn er darauf hingewiesen wird, dass heute der erste | |
| Todestag der Frau eines Fraktionskollegen sei – und dann sogar noch lachen | |
| muss. | |
| Anstatt dass wie sonst in deutschen Serien dunkle Widersacher aus | |
| Industrielobby oder Clankriminalität konstruiert würden, heißt Hajos | |
| größter Schrecken Birgit Hanke. Die Fraktionsvorsitzende, sanfte Stimme und | |
| sinistres Lächeln, herrlich gespielt von Maren Kroymann, hat solch kalte | |
| Intrigen drauf, dass Herbert Wehner vor Neid erblassen würde. Auf der | |
| anderen Seite ist sie eine beinharte Feministin, die Praktikantinnen bei | |
| Frauen-Networking-Treffen nicht nur Sekt eintrichtert, sondern auch ihr | |
| Credo: „Die Zukunft hat weniger Penisse!“ | |
| ## Mit nacktem Arsch | |
| Das Faszinierende an der Serie ist dies: Trotz aller Übertriebenheit ist | |
| sie zugleich verdammt nah dran am bundesdeutschen Politikeralltag abseits | |
| der Tagesschau. Sportausschuss, Petitionsausschuss, Landesgruppe NRW, | |
| aufregender wird’s nicht, und deinen Namen schreiben sie so lange falsch, | |
| bis du irgendeinen Skandal am Hals hast. Das als Plot für eine Serie zu | |
| nehmen, ist weder langweilig noch trocken, sondern überraschend lustig. Es | |
| musste sich einfach nur mal jemand trauen. | |
| Am Ende ist es doch so: Jedes Land hat die Polit-Serie, die es verdient. | |
| Die Amerikaner haben „House of Cards“, [1][die Dänen haben „Borgen“,] … | |
| haben „Eichwald, MdB“. Hajo, den traurigdoofen Hanswurst, den | |
| Schmalspurchauvinisten mit Herz, der zwar auch keine Ahnung hat, aber es | |
| wenigstens mal versucht. In dieser Serie springt einem der deutsche | |
| Parlamentarismus quasi mit nacktem Arsch ins Gesicht, immer wieder, bis | |
| auch der Letzte lacht. Und das ist derzeit die vermutlich einzige Art, ihn | |
| zu ertragen. | |
| 14 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johanna Roth | |
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