# taz.de -- Kritik der Rasenmanie: Die Auslegeware des Gartens | |
> Der Rasen wird gepflegt und von Robotern gemäht. Die Liebe der Deutschen | |
> zum akkuraten Grün spiegelt die Zwanghaftigkeit ihrer Seelen wider. | |
Bild: Etwa fünf Prozent der Fläche Deutschlands ist von Rasen bedeckt | |
Schon Bekanntschaft gemacht mit der neuen Spezies, die in deutschen Gärten | |
ihre Runden dreht? Plattgedrückt wie Wanzen, huschen sie übers Grün und | |
zerschreddern, was im Weg steht. „Landroid“ heißen manche dieser Wesen, | |
andere „Miimo 310“, „YardForce“ oder „Wiper Blitz“ – Namen, die m… | |
Science-Fiction, mal Fantasy, mal der Militärsprache entlehnt sind. Geht es | |
nach der Macht, die sie erschuf, sind sie auf erobernder Mission, und ihre | |
Erfolgschance ist groß, denn der Funktionsträger Mensch schickt sie | |
bereitwillig tausendfach in die Welt. Noch heißen sie Rasenmäherroboter – | |
nur wer sagt, dass sie nicht Vorboten sind für Größeres? | |
Wie viele dieser Roboter in Deutschland schon unterwegs sind, ist nicht | |
genau bekannt. 2012 sollen es 50.000 gewesen sein. Und weltweit würden, | |
laut Marketing Scout, im Zeitraum 2016 bis 2019 etwa 1,5 Millionen | |
dazukommen. Weltweit indes bedeutet vornehmlich: in der westlichen Welt. | |
Genauer: in jenen Regionen, wo Rasen die Auslegware des Gartens ist, wo | |
kein Gemüse darauf gezogen werden muss, weil es keinen Hunger gibt, sondern | |
Hunger dank globalisierten, liberalisierten Kapitalismus exportiert wird. | |
Auf 1,8 Millionen Hektar in Deutschland wächst Rasen, etwa 5 Prozent der | |
Fläche der Bundesrepublik sind damit bedeckt. Rasen auf Sportplätzen, | |
Golfplätzen, Skipisten, Rasen in privaten Gärten und Parks, Rasen an | |
Böschungen und im „Straßenbegleitgrün“. | |
Es sind Zahlen der Rasen-Fachstelle der Universität Hohenheim, und je nach | |
Perspektive wird darin mal ein riesiger Wirtschaftszweig erkannt, mal ein | |
ökologisches und ökonomisches Desaster, mal ein Spiegel der Langeweile, der | |
Zwanghaftigkeit, der Fantasielosigkeit. Rasen gilt als unproduktiver | |
Agrarsektor. | |
Geschätzt wird, dass etwa ein Drittel der 1,8 Millionen Hektar Rasenfläche | |
auf private Gärten entfällt. Diese werden neuerdings zunehmend mit dem | |
Roboter bespielt. Immerhin hat er zwei Vorteile, die die Kritiker des | |
Rasenwahns nicht wegdiskutieren können: Rasenmäherroboter sind leise, und | |
sie ersparen Arbeit bei der Rasenpflege. Dass Rasen aber sehr viel Arbeit | |
macht, sehen vor allem jene nicht, die sich von wilder Natur bedroht | |
fühlen. | |
## Verfeinert von der Rasenforschung | |
Rasen ist so etwas wie die erste Vegetationsstufe von unbewachsenen | |
Flächen. Erst kommen die Gräser und Ruderalpflanzen, dann kommen die | |
Sträucher, danach der Mischwald. Rasen ist demnach ein künstlich auf der | |
ersten Bewuchsstufe festgehaltener Vegetationsstand. Verfeinert wurde von | |
der Rasenforschung nur die Wahl der Gräser. Andere Ruderalpflanzen wie | |
Brennnessel, Ampfer, Natternkopf, Löwenzahn, Königskerzen – weg damit! | |
Ohnehin verschwinden diese auf gedüngten, von Steinen befreiten Böden. Und | |
mit ihnen die Insekten. Dass Pflanzen- und Insektenvielfalt arme, also | |
ungedüngte Böden, braucht, kommt den düngenden Rasenfetischisten entgegen. | |
So verschwindet, was stört, von allein. Bei ihnen ist Vielfalt nicht | |
wichtig, sondern Ordnung. | |
Klar ist: Es kostet Kraft – Energie, Zeit, Geld –, etwas auf einer Stufe | |
festzuhalten, auf der es nicht stehen bleiben will. Deshalb muss gesät, | |
gewässert, gedüngt, gejätet, vertikutiert, gemäht werden. Rasenliebhaber | |
halten Rasen dennoch für die zeiteffektivste Gartengestaltung. Ach, gejätet | |
– auch dafür gibt es Lösungen: Glyphosat und Co. Die Agroindustrie macht’s | |
vor. | |
Dass die intensive Landwirtschaft mit Monokultur, überdüngten Böden und dem | |
Einsatz von Pestiziden in großem Maß für das Verschwinden von | |
Pflanzenarten, Insekten, Vögeln und Kleintieren verantwortlich ist, ist | |
keine Entschuldigung dafür, wenn dem in den Gärten nachgeeifert wird. | |
Wenigstens da wäre Vielfalt möglich. Eine Wiese muss übrigens auch nur | |
ein-, zweimal im Jahr gemäht werden, nicht jede Woche. | |
## Im „Rasensektor“ tätig | |
Zur Verteidigung des Rasenwesens wird hier jetzt Harald Nonn von der | |
Deutschen Rasengesellschaft DRG ins Rennen geschickt. Die DRG ist im | |
„Rasensektor“ tätig. „Der Rasen ist etwas sehr Wichtiges in Deutschland�… | |
sagt Nonn, immerhin gebe es 15 Millionen Gärten. Aus der Innensicht eines | |
Rasenkundlers geht es um die besten Rasensorten für den jeweiligen Zweck, | |
den der Rasen erfüllen müsse. Und zudem: Rasen generiere mehr Sauerstoff | |
als eine vergleichbare Waldfläche, sagt Nonn. Das klingt gut, darf aber | |
infrage gestellt werden, weil beim Wald noch andere Faktoren eine Rolle | |
spielen. | |
Etwa der, dass Wald in der Regel nicht künstlich bewässert wird, sondern im | |
Gegenteil Wasser bindet. Auch wird er nicht künstlich gedüngt und mit | |
Pestiziden traktiert. Beide – Kunstdünger und Unkrautvernichtungsmittel – | |
verbrauchen Energie in der Herstellung und damit Sauerstoff, verunreinigen | |
das Grundwasser und tragen zum Insektenschwund bei, der „unzweifelhaft“ | |
gegeben sei, wie eine Pressesprecherin des Umweltministeriums sagt, und | |
zwar in erheblichen Maß. | |
Harald Nonn geht bei all diesen Einwänden nur in Ansätzen mit. Für ihn ist | |
Rasen ein technisches Problem, das anforderungsbezogen gelöst werden müsse. | |
Beim Hausrasen allerdings sieht er Handlungsbedarf, „da müssen wir schon | |
gucken, was umweltverträglich ist“. Und wenn im Baumarkt Kunststoffrasen | |
zur Begrünung angeboten wird, „sehe ich unsere Aufgabe schon darin, zu | |
sagen, hört auf mit diesem Unsinn“. (In Amerika sieht man das übrigens | |
anders: Weil Rasen in einigen Bundesstaaten mitunter monatelang nicht | |
gewässert werden darf, ist eine Industrie entstanden für Kunstrasen wie | |
auch für Maler, die die vertrockneten Gräser mit grüner Farbe besprühen.) | |
## Geltungskonsum | |
Natürlich ist klar, worauf diese These hinauswill: Sie ist eine Kritik an | |
der Rasenmanie. Bill Mollison, der die Permakultur mitbegründete, sagt es | |
so: „Jede Gesellschaft, die sich Rasen auf riesigen Flächen leistet, könnte | |
auf denselben Flächen unter Einsatz desselben Düngers und Wassers und | |
derselben menschlichen Arbeit Lebensmittel anbauen.“ Dies würde den Hunger | |
in der Welt verringern. Rasen seien wie übergroße Häuser, Geländewagen und | |
XXL-Fernseher Zeichen bewusster Verschwendung und zeugten von einem Mangel | |
an Fürsorge gegenüber der Erde und ihren Bewohnern. | |
Rasen sind in Adelskreisen entstanden. Die Adligen demonstrierten, dass sie | |
auf die Nahrungsmittelproduktion nicht angewiesen sind. Wem im Garten vor | |
allem der Rasen wichtig ist, der versucht, es den Noblen der Welt | |
gleichzutun und so seinen Status zu heben. Geltungskonsum wird das genannt. | |
Es geht nicht um Sein, sondern um Schein. Es geht nicht um Vielfalt und | |
Leidenschaft, sondern um Konformität und Langeweile. Es geht nicht um | |
Entwicklung, sondern um Kontrolle. Danke, deutscher Rasen, dass, wer will, | |
das an dir erkennt. | |
3 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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