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# taz.de -- Rechter Nachrichtenchef in Polen: Wildsteins Zeit ist gekommen
> Eine Gruppe junger rechtsgesinnter Journalisten steigt mit den
> Rechtspopulisten in Polen auf. Inzwischen besetzen sie
> Schlüsselpositionen.
Bild: Weil sie den Lifestyle junger urbaner Polen kopieren, nennen sie sich rec…
Warschau taz | Zettel liegen herum, Aschenbecher voller Kippen, verklebte
Kaffeepötte, Computermonitore, Bücher und Vasen. An der einen Wand hängt
ein Kreuz, an einer anderen der gekrönte weiße Adler, das polnische
Wappentier. Und direkt unter den Bildschirmen, wo unablässig Nachrichten
laufen, fläzt sich ein bulliger Kerl in Camouflage-Uniform. Es ist ein
eigentümlicher Empfang in der Chefetage des Nachrichtensenders TVP Info.
Während der Tarnjacken-Typ mit der Fernbedienung spielt, lässt Dawid
Wildstein sich in seinen Stuhl fallen und zündet eine Zigarette an. „Du
wirst uns in Deutschland also als irre Rechte darstellen“, sagt er. Die
Unordnung stört ihn offensichtlich nicht, Kaffee oder Wasser bietet er
nicht an. Allerdings entschuldigt er sich, dass er den Termin mehrfach
verschoben hat.
Dawid Wildstein wurde 1983 in Paris geboren, er ist Journalist und seit
März vergangenen Jahres Redaktionsleiter beim Nachrichtenkanal des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP. Dass er eine steile Karriere
hingelegt hat, sieht man ihm nicht an, zumindest nicht seiner Kleidung.
Kein Anzug, kein Hemd, keine Lederschuhe. Wildsteins Stil lässt sich am
ehesten mit dem Wort Freizeitkleidung beschreiben, sogar als Gast in
Fernsehsendungen trägt er meist nur ein Motiv-Shirt, darüber eine Jacke.
Wildstein gehört zu einer Gruppe junger Journalisten, die nach der
Machtübernahme der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit
(PiS) im November 2015 in Führungspositionen aufgerückt sind und die nun
die Stoßrichtung bei dem nationalen TVP Info und TVP Kultura, dem
polnischen Kultursender, vorgeben. Sie sind die neuen Stimmen des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Sie pflegen eine aggressiv-kritische Haltung gegenüber der
liberal-konservativen Partei Bürgerplattform (PO), gegenüber den polnischen
Eliten seit 1989, gegenüber Berlin, Brüssel und liberalen Grundwerten.
Wildstein etwa wirft dem ehemaligen Premier und derzeitigen
EU-Ratspräsidenten Donald Tusk immer wieder vor, er schade seinem Land. Die
Regierungspartei hingegen schont er. Und was Homo-Ehe betrifft und ein
liberales Abtreibungsrecht – in Wildsteins Augen alles Quatsch.
## Gegen die Lemming-Jugend
Schon vor seinem Karrieresprung ist Wildstein als Hardliner mit
Magazinkommentaren oder in YouTube-Clips in Erscheinung getreten. „Hipster
prawica“, zu Deutsch „Hipster-Rechte“ – Wildstein hat sich diese
Bezeichnung ausgedacht. Er geistert seit 2012 als Begriff für jene jungen
wilden Rechten durch Warschaus Redaktionen, anfangs ein Scherz, aber doch
auch ein Anliegen: Knallhart konservative junge Polen können Hornbrillen
tragen und in den einschlägigen Cafés Flat White trinken – ein modernes
Leben leben.
Wildsteins Kritik richtet sich gegen Karrierestädter, die viele in Polen
„Leminigi“ nennen. Er sieht sie in Warschaus Bankentürmen, dort, wo sie
gerade genug verdienen, um sich Flachbildschirme zu leisten und den
Wohnungskredit abzubezahlen. Wie Lemminge, die auf den Abgrund zulaufen,
schienen die Angehörigen dieser Klasse sich nicht mehr für Identität,
Religion oder die soziale Frage zu interessieren.
Wildstein stammt aus einer jüdischen Familie. Sein Vater, Bronisław
Wildstein, ist ebenfalls Journalist, bekannt wurde er 2005, als er die
sogenannte Wildstein-Liste veröffentlichte, eine Aufzählung von Tätern und
Opfern des kommunistischen Regimes. Eine heftig umstrittene
Veröffentlichung, durch die er seinen Arbeitsplatz verlor. Heute schreibt
der Vater für mehrere national-konservative oder nationalistische Blätter
und Plattformen.
Dawid Wildstein breitet nun seine Arme aus während er spricht, er ist
sichtlich erregt. „Der Einfluss von Religion zählt doch und er ist von
großer Bedeutung für uns Polen.“ Was Religion für ihn bedeutet? Darüber
will er nicht reden. Allerdings hat er sich in früheren Interviews dazu
geäußert. Das Judentum sei ihm kulturell und intellektuell wichtig, hat er
da betont, er selbst habe sich aber für den „neokatechumenalen Weg“
entschieden. Das heißt, dass er sich an den Katholizismus heranführen
lässt.
Und so vertritt er auch die konservativen Werte der Katholiken. „Auf keinen
Fall sollten Frauen abtreiben dürfen, wenn keine Gefahr für Leib und Leben
besteht“, holt Wildstein weiter aus. „Und die Ehe zwischen Mann und Frau
gilt es zu schützen.“ Es klopft an der Tür, aber Wildstein redet sich erst
heiß, jetzt nicht, ruft er, und spricht weiter.
Meinungspluralismus – aber nur rechts
Seine weltanschauliche Haltung tut er gern kund, etwa in einem Post mit dem
Titel „In London habe ich eine Schwuchtel getroffen“. Darin äußert er sich
abfällig über schwule Männer. Später hat er zwar versucht, ihn zu löschen.
Dennoch findet er sich immer noch auf mehreren Internetseiten.
Wildstein fährt sich mit der Hand durch seinen rotbraunen Vollbart. Was er,
der Journalist, denn von den Kündigungen im polnischen Fernsehen halte?
Wildstein blickt gelangweilt, so als hätte er diese Frage schon hundertmal
gehört. Das sei eine „Normalisierung“, sagt er, „es gibt nun mehr
Medienpluralismus.“ „Lange haben fast alle TV-Kanäle PO-freundlich
berichtet, das musste geändert werden.“
Allein 2016 wurden 225 Journalisten entlassen oder haben gekündigt. Ein
neues Mediengesetz wurde erlassen. Im Zuge dessen sind regierungstreue
Journalisten aufgerückt. Die personellen Umwälzungen sind gewaltig. Das
öffentlich-rechtliche Fernsehen ist seitdem eine Art Staatsfernsehen, das
die Regierungspartei ausschließlich in ein positives Licht rückt. Die
Befürchtungen, die polnische Regierung schaffe faktisch die Pressefreiheit
ab, waren international groß. Der deutsch-französische Sender Arte stellte
damals sogar seine Zusammenarbeit mit TVP ein, weil er die
Meinungsfreiheit, redaktionelle Vielfalt und Unabhängigkeit gefährdet sah.
Kritische Fragen zur Politik der PiS, zum Beispiel zur Behinderung der
Arbeit des Verfassungsgerichts, kontert Wildstein mit Verweisen auf die
Regierungszeit von Donald Tusk: Damals, das seien Skandale gewesen!
Wildstein zählt Namen und Daten auf, schlägt mit der Hand auf den Tisch. Es
gehe um Korruption, Angriffe gegen die Presse und andere dubiose
Machenschaften unter Tusk. „Ich könnte bis in die Nacht so weitermachen!“
2012 fingen Wildstein und die anderen an, in sozialen Netzwerken Gruppen zu
gründen und gegen die damalige Regierung zu mobilisieren. Ihr erster Coup:
Sie forderten User dazu auf, Selfies mit rechten Publikationen zu posten.
Junge Polen bekannten sich so massenhaft als Leser rechter Blätter und
übten gleichzeitig Kritik an einer angeblichen Meinungsführerschaft
etablierter Medien, wie der liberalen Gazeta Wyborcza.
Mit Memes Politik machen
Wildstein und seine Mitstreiter nutzten die Mechanismen sozialer Medien –
sie verbreiteten Memes, also lustige, verfremdeten Bildchen, attackierten
Politiker und Journalisten, immer garniert mit einer Prise Selbstironie.
Rechte waren bis dahin nicht dafür bekannt, dass sie die Lebenswelt junger
Polen verstehen, zu alten Herren oder stiernackigen Schlägertypen wollten
sie sich nicht zugehörig fühlen. Die „Hipster-Rechte“ lösten so eine Art
Coming-out rechter Gesinnung in akademischen Milieus aus und führte den
Nachwuchs an die PiS heran. Parteimitglied ist Wildstein selbst allerdings
nicht.
Am Warschauer Erlöserplatz stehen Studentinnen und gescheitelte
Hemdenträger bei Toasts und Wein an Stehtischen vor dem Café Charlotte.
Hier, in den schicken Bars der Innenstadt, treffen sich die rechten
Hipster. Darunter: Jakub Moroz. Der 32-Jährige ist seit Kurzem in der
Chefetage von TVP Kultura. Er und Wildstein kennen sich über TV Republika,
Moroz hat dort eine Morgensendung moderiert, Wildstein war regelmäßiger
Gast in verschiedenen Programmen.
Trotz der Hitze zieht Moroz sein Jackett nicht aus. Schweißperlen glänzen
auf der Stirn, er streicht sich durch die schütteren lockigen Haare, rückt
seine Brille zurecht und bestellt etwas zu trinken. „Alleine schon weil mir
der polnische Republikanismus wichtig ist sowie das Erbe des polnischen
Landadels, der Szlachta, kann ich kein Linker sein“, setzt er an.
Alte Weggefährten aus der Studienzeit beschreiben Moroz als klug und
ausgesprochen belesen. Er ist Vater, hat Kultur- und Theaterwissenschaften
studiert. Früher war er häufig in der Krakauer Schwulenbar „miejsce“
anzutreffen, damals ein Treffpunkt auch für Intellektuelle und Künstler.
Trotzdem möchte er auf gar keinen Fall, dass Homosexuelle Kinder adoptieren
dürfen, das wäre „ein Experiment an unserem Nachwuchs“.
Moroz spricht über Korruption, den Ausverkauf der Industrie und die
Abwanderung junger Polen ins Ausland. Er kritisiert Effekte der
Globalisierung, der Marktöffnung – eigentlich ziemlich linke Positionen.
„Während meines Studiums haben mich die Ansätze konservativer Denker am
ehesten überzeugt.“ Er erwähnt den Philosophen Zdzisław Krasnodębski, der
heute die PiS im EU-Parlament vertritt. Es störe ihn, sagt Moroz, wenn
jemand Foucault lese und denke, das sei alles.
Auch Moroz zählt Fehltritte der Bürgerplattform und der Vorgängerregierung
auf, er versucht damit, die konservative Revolution der PiS zu
rechtfertigen. Hipster-Rechte? Er lacht laut. Den Begriff verwendet er
nicht. Aber er kann nicht leugnen, dass er Teil einer Gruppe ist, die
rechte Inhalte in den öffentlichen Diskurs brachte und damit aufgestiegen
ist. Moroz lächelt und nippt an seinem Kaffee. Er ist selbstgewiss. Er
weiß, dass die „Hipster-Rechte“, nicht die polnische Linke, eine Leerstelle
gefüllt hat. Die Regierungspartei PiS liegt übrigens nach aktuellen
Umfragen mit 41 Prozent weiterhin vorn.
23 Jul 2017
## AUTOREN
Philipp Fritz
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