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# taz.de -- Antideutsche Kampagne in Polen: Fakten sind nebensächlich
> Rechte Medien springen auf eine antideutsche Kampagne der Regierung an
> und fordern Reparationen. Sie zielen auch auf die polnische Opposition.
Bild: So funktioniert Stimmungsmache: Fotomontage des Auschwitz-Tors mit dem Sc…
Warschau taz | Pani Basia steht vor ihrem Kiosk im Warschauer Stadtteil
Mokotów und inspiziert die Auslage. „Rafał“, ruft sie ihrem Mitarbeiter im
Kiosk zu: „Der Hitler mit den sechs Billionen muss nach vorne. Der verkauft
sich gut.“ Sie wendet sich an die Kundschaft und preist die Zeitschrift
Sieci Prawdy (Netze der Wahrheit) an: „Wenn die Deutschen Reparationen
zahlen, kriegt jeder von uns 150.000 Złoty!“
Seit Wochen überbieten sich Polens rechte Medien mit immer neuen
fantastischen Zahlen. Angeblich schulden die Deutschen den Polen
gigantische Summen für die Zerstörungen und Morde im Zweiten Weltkrieg,
behaupten seit Juli Polens Staatsfernsehen und rechte, der PiS-Regierung
nahestehende Magazine wie Do Rzeczy (Zur Sache), Gazeta Polska (Polnische
Zeitung), Sieci Prawdy oder auch die Gazeta Polska Codziennie (Polnisches
Tagblatt).
Die Deutschen hätten nie auch nur einen Groschen an Entschädigungen
bezahlt, geiferte Anfang Juli PiS-Chef Jarosław Kaczyński auf dem
Parteitag. Wahr ist das nicht; aber wenn es darum geht, die antideutsche
Stimmung im Land zu schüren, ist Polens Expremier selten zimperlich.
„Wir fordern Reparationen von den Deutschen“ – diese Parole griff auch das
polnische Fernsehen TVP auf, das seit dem Machtantritt der PiS im November
2015 wieder verstaatlicht ist. Beinahe täglich berichtete der Sender über
die Naziverbrechen in Polen und die angeblich nie gezahlten Reparationen
und Entschädigungen. Besonders gern zitiert Polens rechte Presse den
Vizeverteidigungsminister Bartosz Kownacki, der monierte, dass es nicht
sein könne, dass „die Kinder und Enkel dieser degenerierten Verbrecher uns
heute Demokratie beibringen wollen“.
Wie Kaczyński halten es auch viele Journalisten nicht allzu genau mit den
Fakten. Dass Polen von 1945 bis 1953 durchaus Reparationen aus Deutschland
bekam – Schätzungen zufolge in einem Wert von heute etwa 20 Milliarden
US-Dollar – war zunächst kaum Thema.
## Sachleistungen aus der sowjetischen Besatzungszone
Im Potsdamer Abkommen aus dem Jahr 1945 hatten die Alliierten festgelegt,
dass die Reparationen als Sachleistungen aus den jeweiligen Besatzungszonen
zu entnehmen seien. Polen bekam Züge, Schienen, Lastkraftwagen,
Chemikalien, demontierte Fabriken und vieles mehr aus der sowjetischen
Besatzungszone.
Nach dem Londoner Schuldenabkommen verzichteten erst die Westalliierten,
dann auch die Sowjetunion und schließlich Polen im Jahr 1953 auf weitere
Reparationen. Endgültig sollten offene Reparationsfragen bei einem
Friedensvertrag geklärt werden, zu dem es aber nie kam. An seiner Stelle
wurde 1990 der sogenannte Zwei-plus-vier-Vertrag geschlossen, der die
Reparationsfrage stillschweigend als erledigt betrachtete.
All diese Informationen lieferten aber zunächst diejenigen Medien in Polen,
die den angeblichen „Verrätern, Putschisten und Deutschen“ – so der
PiS-Jargon – nahestehen. Dazu gehören die linksliberale Gazeta Wyborcza,
die konservative Rzeczpospolita, das Ringier-Springer-Blatt Newsweek
Polska, etliche Rechercheportale im Internet und der Privatsender TVN.
Als auch die regierungsnahen Medien diese Fakten nicht länger verschweigen
konnten, gaben sie ihnen wenigstens ihre eigene Prägung. Der Staatssender
TVP sendete als Einleitung zu einer Diskussion zum Thema Reparationen
Bilder von Hitler und der marschierenden SA, dazu den deutschsprachigen
Aufruf: „Deutsche, ihr habt Adolf Hitler und die NSDAP in demokratischen
Wahlen gewählt.“
Auch Kaczyńskis Vorliebe, politische Gegner als „Deutsche“ zu
verunglimpfen, ist in die Medien gedrungen. Der PiS-Chef nennt die
Opposition ganz offen „deutsche Partei in Polen“ oder „von den Deutschen
gekaufte Verräter“.
## „Reparationen machen frei“
In einer TVP-Diskussionssendung wurde vor Kurzem dann die aus einer
bekannten Krakauer Gelehrtenfamilie stammende Róża Thun als „Deutsche“
bezeichnet. Sie hatte sich über Plakate in Warschau aufgeregt, die das Tor
des Konzentrationslagers Auschwitz, „Arbeit macht frei“, per Fotomontage
in „Reparationen machen frei“ verwandelt hatten.
Das sei nicht nur eine Relativierung der Leiden der Opfer, sagte Thun. Es
suggeriere auch, dass die Urheber des Plakats die heutigen Deutschen gern
hinter dem Stacheldraht von Auschwitz sehen würden. Nachdem der
mitdiskutierende Chefredakteur der Gazeta Polska sich für seinen Satz „Sie
sind in der Seele eine Deutsche“ nicht entschuldigen wollte, verließ sie
das Studio. „Schade, dass uns Róża Maria Gräfin von Thun und Hohenstein
verlässt“, kommentierte der Moderator.
Am Dienstag sagte Regierungschefin Beata Szydło, sie wolle das Thema beim
nächsten Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ansprechen. Kaczyński
erklärte in einem Interview mit dem rechten Magazin Sieci Prawdy, es gehe
vor allem um das „moralische Recht der Polen“. Das Thema müsse medial so
präsent sein, dass es zum „internationalen Problem“ werde.
Schon vor Jahren hatte Kaczyński in einem Interview bekannt, dass er das
„schlechte Gewissen der Deutschen angesichts der Nazi-Verbrechen in Polen
auszunutzen“ gedenke.
27 Sep 2017
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
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