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# taz.de -- Debatte Polens Konservative: Weiter auf Rückwärtskurs
> Die Konservativen haben ihre Hasstiraden nur kurz gemäßigt. Jetzt
> bereiten sie die Schlammschlacht für die Parlamentswahlen im Herbst vor.
Europa atmet auf. Von Moskau und Berlin bis Brüssel herrscht Erleichterung
darüber, dass dem beim Flugzeugabsturz in Smolensk verunglückten
Präsidenten Lech Kaczynski nicht dessen Zwillingsbruder Jaroslaw, sondern
der liberale Bronislaw Komorowski im Amt folgt. Zu gut sind vielen noch die
Auswüchse jener Ära in Erinnerung, in der die beiden Kaczynski-Brüder nach
ihren Siegen bei den Parlamentswahlen 2005 und den Präsidentschaftswahlen
2006 mit Brachialrhetorik und ultrarechten Koalitionspartnern Polens Ruf
international kräftig ramponierten.
Versöhnung als vorübergehende Leitwährung
In Polen selbst machten sich die Zwillingsbrüder gegen exkommunistische
Altkader und Homosexuelle und für nationale und erzkatholische Werte stark,
Lech Kaczynskis Eintreten für die Todesstrafe brachte diesem sogar eine
Ermahnung durch EU-Kommission und Europarat ein. Doch mit der europäischen
Integration standen die Zwillinge ohnehin auf Kriegsfuß. Gegen das Ausland
grenzten sie sich misstrauisch ab - vor allem gegen die großen Nachbarn
Deutschland und Russland. Und Israel verprellten sie, als sie den Chef der
teilweise antisemitischen "Liga der Polnischen Familien" zum
Erziehungsminister ernannten.
Dann kam die Katastrophe von Smolensk und alles schien plötzlich anders.
Der Tod des Präsidenten und der konservativen Führungselite setzte das Land
unter Schock und führte zum konfliktärmsten Wahlkampf des demokratischen
Polens. Auch Jaroslaw Kaczynski verzichtete ganz auf die von ihm bekannten,
scharfen Töne. Stattdessen profilierte er sich als versöhnlicher
Staatsmann, der sogar seinem Lieblingsfeind, den Postkommunisten, die Hand
entgegenstreckte. Als Premier war er ihnen seinerzeit mit einem scharfen
Durchleuchtungsgesetz auf den Leib gerückt. Nun buhlte er um ihre Wähler,
indem er sich wie sie für ein solidarisches, gehaltsunabhängiges
Gesundheitssystem in die Bresche warf.
Mit seiner zurückhaltenden Kampagne konnte Jaroslaw Kaczynski seine
Zustimmungswerte binnen weniger Wochen von knapp über 20 auf zuletzt fast
47 Prozent steigern. Trotz seiner Niederlage ging er daher als Gewinner aus
den Präsidentschaftswahlen hervor - und es ist nicht unwahrscheinlich, dass
er sich dieses Ergebnis genau so gewünscht hat. Einerseits konnte er damit
seinen Führungsanspruch in der Partei eindrucksvoll untermauern. Die Reihen
der verunsicherten Partei sind wieder eng geschlossen, ein
Generationenwechsel ist in weite Ferne gerückt. Zum anderen hat er sich
eine ideale Ausgangsbasis geschaffen, um bei den Parlamentswahlen im
nächsten Herbst den amtierenden Premier Tusk herauszufordern: Als
Staatspräsident hätte er sich kaum so energisch ins parteipolitische
Getümmel stürzen können.
Harte Bandagen für den Wahlkampf im Herbst
Die Freude darüber, Polen hätte seine katholisch-nationale
Rückwärtsgewandtheit abgeschüttelt, ist deshalb verfrüht; die Hoffnung,
dass Polen und Europa nun einen neuen, geläuterten Jaroslaw Kaczynski
erleben werden, ist unbegründet. In einem Interview ließ er kürzlich
verlauten, sein Angebot, einen gemäßigteren Ton in der politischen
Auseinandersetzung anzuschlagen, werde von den anderen Parteien offenbar
nicht angenommen. Daher werde er wohl künftig wieder dazu gezwungen sein,
härtere Bandagen anzulegen. Mit anderen Worten: Der Burgfrieden ist
vorüber.
Nicht nur im Tonfall, auch inhaltlich bleibt Kaczynski der alte. So dürfte
das lange vor der Katastrophe von Smolensk verabschiedete Programm seiner
Partei "Recht und Gerechtigkeit" seine Kampagnen für die Kommunalwahlen
Ende des Jahres sowie die Parlamentswahlen im Herbst 2011 prägen. Darin
findet sich nicht nur der Ruf nach einer weiteren "Reinigung" der
Verwaltung von politisch belasteten Staatsdienern, sondern auch die
populistische Forderung nach Veröffentlichung der Namen von
Sexualstraftätern auf "Pranger-Listen" nach britischem Vorbild. Mit Blick
auf Europa wird nach dem Vorbild von General Charles de Gaulle ein "Europa
der Vaterländer" propagiert, was faktisch einen weitgehenden Rückbau der
erreichten europäischen Integration bedeuten würde.
Wird Jaroslaw Kaczynski Donald Tusk besiegen?
Inzwischen schreckt Jaroslaw Kaczynski auch nicht mehr davor zurück, die
Tragödie von Smolensk politisch für sich zu instrumentalisieren. So macht
er die Tusk-Regierung indirekt für das Unglück verantwortlich, indem er ihr
vorwirft, keine modernen Flugzeuge angeschafft zu haben, und kündigt forsch
an, mit allen rechtlichen, politischen und moralischen Mitteln dafür zu
sorgen, dass die Untersuchung der Absturzes endlich "die Wahrheit ans
Licht" bringe - ganz so, als ob diese bislang bewusst verschleiert worden
wäre.
Und das dürfte erst der Anfang sein. Denn Polen stehen harte Reformen im
Sozialsystem bevor, das Renten- wie das Gesundheitssystem gelten als
chronisch unterfinanziert. In der gegenwärtigen Regierungskoalition aber
gehen die Vorstellungen, welche Schritte nun nötig sind, weit auseinander.
Der verstorbene Präsident Lech Kaczinsky hatte den Reformeifer der
Regierung wiederholt ausgebremst, indem er gegen deren Gesetze 18-mal sein
Veto einlegte. Nun hat Donald Tusk freie Hand. Mit zu harten Reformen aber
läuft er Gefahr, die Kluft zwischen Reich und Arm zu vergrößern und neue
gesellschaftliche Konflikte heraufzubeschwören.
In jedem Fall wird Jaroslaw Kaczynski genügend Munition erhalten, um seinem
Rivalen Tusk in einem Jahr das Amt wieder abzujagen und Europa erneut das
Fürchten zu lehren. Dabei ist die Statistik mit ihm. Denn seit 1989 ist
noch keiner polnischen Regierung eine Wiederwahl vergönnt gewesen.
3 Aug 2010
## AUTOREN
Holger Münch
## TAGS
Polen
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