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# taz.de -- Junge Arbeitslose in Spanien: „Die Gelder werden schlecht genutzt…
> Eines der drängendsten Probleme des Landes ist die hohe
> Jugendarbeitslosigkeit. Wie die EU Milliarden ausgibt, um Jobs für junge
> Leute zu schaffen.
Bild: Demo des arbeitslosen Prekariats, das das Land nicht verlassen will
Madrid taz | „Ein Flop“, sagt Victor Reloba, wenn er auf das europäische
Programm „Jugendgarantie“ angesprochen wird. Der Plan sieht vor, dass jeder
Jugendliche ohne Job spätestens nach vier Monaten, „ein qualitativ
hochwertiges Beschäftigungsangebot, eine Fortbildung, einen
Ausbildungsplatz oder ein Praktikum“ erhält. Brüssel lässt sich dies bisher
8,4 Milliarden Euro kosten. Ein Drittel davon geht nach Spanien. Als die
Jugendgarantie 2013 ins Leben gerufen wurde, füllten alarmierende
Schlagzeilen über die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen
Krisenländern die Zeitungen. In Spanien waren über 50 Prozent ohne Job. Das
Projekt richtete sich zuerst an 16- bis 25-Jährige und wurde dann auf die
bis 30-Jährigen ausgeweitet.
Heute, vier Jahre und einige Milliarden Euro später, sind noch immer 43
Prozent der Spanier unter 25 ohne Arbeit. Bis Ende 2016 haben sich gerade
einmal 423.000 – und damit weniger als ein Drittel der Zielgruppe –
eingeschrieben“, erklärt Reloba, der 25-jährige Sprecher und Vizepräsident
des spanischen Jugendrates (CJE), in dem alle politischen und
gewerkschaftlichen Jugendorganisationen vertreten sind. Das ist weit unter
dem EU-Schnitt von 42 Prozent, die sich eingeschrieben haben. 2016 bekamen
durch die Jugendgarantie gerade einmal 2.249 junge Spanier einen festen
Arbeitsplatz. 47,5 Prozent derer, die am Programm teilnehmen, warten vier
Monate später noch immer vergebens auf ein Jobangebot.
„Bis heute kennen viele Jugendliche das Programm nicht, und die Gelder
werden schlecht genutzt“, sagt Rebola. 40 Prozent der EU- Gelder dienen
dazu, Unternehmern, die jemanden aus der Jugendgarantie einstellen, sechs
Monate lang die Sozialversicherung zu finanzieren. Außerdem werden mit
einem Großteil der Gelder bereits bestehende Programme finanziert. Das
entlastet den Staatshaushalt, bringt aber keine zusätzliche Hilfe für die
Betroffenen. Ein typisches Beispiel ist der „Plan für junge Unternehmer“,
mit dem junge Arbeitslose zu Selbstständigen herangezogen werden sollen.
„Der ‚Plan für junge Unternehmer‘ zerstört die Arbeitsverhältnisse, wi…
sie bisher kannten“, sagt der 34-jährige Soziologe Jorge Moruno. Was die
Konservativen „Unternehmer“ nennen, sei meist nichts anderes als ein
Scheinselbstständiger, der zu wesentlich schlechteren Bedingungen Arbeiten
übernimmt, die früher ein Festangestellter ausführte. 38 Prozent der
EU-Gelder fließen in diesen Plan, den es bereits vor der Jugendgarantie
gab.
## Teilzeitverträge nehmen zu
Die Folge: „35 Prozent der arbeitenden Spanier verdienen weniger als 600
Euro im Monat“, zitiert Moruno offizielle Statistiken. Teilzeitverträge,
die meist auch noch befristet sind, nehmen zu. Die Arbeitslosigkeit geht so
zwar zurück. Doch immer weniger Menschen können von ihren Einkünften leben.
Esther Herrera, 27, ist eine derer, die sich in die Jugendgarantie
eingeschrieben hat „Das war 2015. Ich war seit fast zwei Jahren
arbeitslos“, erinnert sie sich. Nach Monaten kam die Antwort, sie erfülle
die Kriterien nicht. Warum? Das ist ihr bis heute nicht klar. Herrera
gehört zum „Prekären Büro“, einer Gruppe von jungen Menschen, die sich m…
der Situation auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen.
„Unserer Erfahrung mit der Jugendgarantie ist, dass wer aufgenommen wird,
nie Angebote bekommt, die zu seinen Studien passen“, erklärt Herrera. So
kennt sie einen Philosophen, der einen Kurs bezahlt bekommen hat, um
digitale Bildbearbeitung zu erlernen. „Die Behörden veröffentlichen keine
Statistiken über die Ergebnisse der Jugendgarantie. Das macht eine
Bewertung des Programms unmöglich“, fügt Herrera hinzu.
Selbst diejenigen, die eigentlich mit den jungen Menschen aus der
Jugendgarantie arbeiten sollen, haben kaum Informationen. Eduardo Cabornero
ist Lehrer und Mitglied der Direktion an einer Schule in einem der ärmeren
Stadtteile Madrids, an der Erwachsene den Hauptschulabschluss nachholen
können. „30 Prozent meiner Schüler gehören zur Zielgruppe der
Jugendgarantie, aber nur 5 Prozent sind eingeschrieben“, weiß der
61-Jährige.
## Neue Pläne
Anstatt die jungen Menschen dazu anzuhalten, den Schulabschluss
nachzuholen, werden ihnen von der Jugendgarantie immer wieder Kurse
angeboten, die sie schnell auf ein befristetes, meist schlecht bezahltes
Arbeitsverhältnis vorbereiten sollen. „Diese Kurse werden von eigens
gegründeten Akademien abgehalten“, sagt er und bestätigt damit etwas, was
auch Gewerkschaften und Jugendrat immer wieder ansprechen. Die
Jugendgarantie privatisiert einen Teil der Bildung und wird so zum Geschäft
für diejenigen, die den Behörden und den Landesregierungen, die
Bildungshoheit haben, nahestehen. „Außerdem werden mit dem Geld aus Brüssel
Haushaltsposten beglichen, die bereits zuvor bestanden. So wird ein Teil
der Gehälter der Lehrer an der staatlichen Erwachsenenbildung aus diesem
Topf bezahlt“, sagt Cabornero. Das sei dem Zuständigen bei den Behörden auf
einer Sitzung „rausgerutscht“.
Spaniens Regierung hat bereits neue Pläne für die weiteren 900 Millionen
Euro, die bald aus Brüssel fließen werden. Künftig sollen bis zu 400 Euro
des Lohnes der jungen Arbeitnehmer aus der Jugendgarantie nicht vom
Unternehmer, sondern mit EU-Geldern beglichen werden. Für die Kritiker wäre
dies ein weiterer Schritt in Richtung Prekarisierung. Noch hat sich Brüssel
nicht darüber geäußert, ob dies zulässig ist oder nicht.
18 Jul 2017
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Spanien
Arbeitslosigkeit
Jugendarbeitslosigkeit
Reiseland Spanien
Soziales
Spanien
Schienenverkehr
Katalonien
Kirche
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