| # taz.de -- Die Wahrheit: Asexuell bis aufs Blut | |
| > In Folge 35 unserer beliebten Serie „Die komische Tierwelt und ihre | |
| > ernste Erforschung“ geht es um Fortpflanzung nach allen Regeln der Kunst. | |
| Bild: Rammeln können sie alle gut, diese Säugetiere, aber manche Tiere machen… | |
| Kabarettisten verwenden gern Tiervergleiche, um sich über Menschen lustig | |
| zu machen. „Wir vermenschlichen nicht die Tiere, sondern vertierlichen die | |
| Menschen“, könnten sie mit dem Biologen Konrad Lorenz auch sagen, nur das | |
| die bei ihm daraus entstandene reaktionäre Soziobiologie bei ihnen witzig | |
| gemeint ist. | |
| Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker hat zusammen mit den Schriftstellern | |
| Martin Stankowski und Dietmar Jacobs ein Buch über „Das Mysterium der | |
| Fortpflanzung: ‚Zu dir oder zu mir?‘“ veröffentlicht. Darin geht es unter | |
| anderem um die christliche, muslimische und hinduistische Jungfrauengeburt: | |
| Parthenogenese von den Biologen genannt, die in der Natur noch öfter als im | |
| Monotheismus vorkommt. Die Autoren erwähnen die Blattlaus: „Wenn der nach | |
| Fortpflanzung zumute ist, gebären die Lausemädels ohne irgendwelches Zutun | |
| eines Lausbuben bis zu zehn Töchter am Tag. Der Lausbub ist völlig außen | |
| vor. Keine paart sich mit ihm. Gut, das kann am Aussehen liegen. So eine | |
| Blattlaus sieht nicht aus wie Robert Redford … Die Blattläuse müssen | |
| niemanden anmachen. Trotzdem kriegen sie Kinder – lauter genetische Kopien. | |
| In nur wenigen Tagen hat die Blattlaus 100 Kinder hergestellt. Unehelich. | |
| Und es bleibt ja nicht bei den Kindern. Denn die werden schnell selbst | |
| jungfräuliche Mütter. In nur einer Saison kann ein einziges | |
| Blattlausweibchen über 80 Millionen Nachkommen zeugen.“ | |
| ## Zoologinnen forschen zur Jungfernzeugung | |
| Eine der ersten Zoologinnen in Deutschland, Paula Hertwig, schrieb 1919 | |
| ihre Habilitation über „Abweichende Formen der Parthenogenese bei einer | |
| Mutation des Fadenwurms Rhabditis pellio“. Ihre Biografin Gudrun Fischer | |
| fragte sich darob: „Forschte sie vielleicht über Jungfernzeugung, weil ihr | |
| der preußische Staat mit dem Beamtengesetz Forschung und gleichzeitige | |
| Heirat unmöglich machte?“ | |
| Die Bremer Meeresforscherin Antje Boetius meinte in einem Interview mit | |
| Gudrun Fischer, es sei vielleicht kein Zufall, dass „Wissenschaftlerinnen | |
| in der Symbioseforschung besonders stark vertreten sind und dass gerade | |
| Frauen den merkwürdigen Lebenszyklus des Osedax (ein auf dem Meeresboden | |
| lebender Bartwurm) entdeckt haben, bei dem nur die Weibchen heranwachsen | |
| und in ihrem Körper viele winzige Männchen als Samenspender beherbergen.“ | |
| Der Osedax-Wurm ist also nur auf dem ersten Blick Ergebnis einer | |
| Jungfrauengeburt, ähnlich ist es bei dem Tiefsee-Anglerfisch der Art | |
| Rutenangler. Bei diesem wunderte sich der Fischforscher Charles Tate Regan | |
| lange Zeit, dass er immer nur Weibchen erhielt, die vor Island gefangen | |
| wurden, bis er herausfand, dass an den über einen Meter großen Fischen bis | |
| zu drei Männchen hingen. Sie waren sechzig Mal kleiner als die Weibchen und | |
| mit ihnen fest verwachsen. „Schlund, Magen und Darm waren verkümmert. Aber | |
| die brauchten sie auch nicht, weil sie von den Säften der Weibchen mit | |
| ernährt wurden.“ Das gibt es zwar auch bei Menschen, sogar massenhaft, hat | |
| aber bei den Männchen bisher nur zur Verkümmerung der Intelligenz geführt. | |
| ## Überflüssige Sexualität | |
| Hegel hat die Sexualität zwar nicht bei Blattläusen, aber bei Pflanzen für | |
| überflüssig gehalten, weil sie sich auch durch Triebe, Ableger und so | |
| weiter fortpflanzen können. Becker und seine Koautoren erwähnen „einige | |
| Haiarten“, die sich parthenogenetisch fortpflanzen können. Im Karlsruher | |
| Vivarium lebte eine Bambushaimutter, Mariechen, die jahrelang Eier ablegte, | |
| aus denen dann gesunde Bambushaie schlüpften. Eine Untersuchung ergab: „Die | |
| DNS stimmt so stark überein, dass die Beteiligung eines Männchens | |
| ausgeschlossen werden kann.“ Eines der Jungtiere verblüffte die | |
| Wissenschaftler: „Es hatte männliche Begattungsorgane. Dies gilt bei einem | |
| durch Jungfernzeugung entstandenen Tier als unmöglich – laut Lehrmeinung | |
| dürfen dabei nur Weibchen rauskommen.“ | |
| Einige Jahre später stellten Forscher der University of Belfast auch bei | |
| Hammerhaien fest, dass die Weibchen sich „zur Not“ ohne Männchen | |
| fortpflanzen können. Dazu hieß es: „Die eingeschlechtliche Vermehrung | |
| konnte bisher nur bei manchen Insektenarten, Reptilien und Amphibien | |
| nachgewiesen werden. Nach den neuesten Erkenntnissen sind somit Säugetiere | |
| die einzige Wirbeltiergruppe, in der die Jungfernzeugung nicht festgestellt | |
| wurde.“ Das ist nicht ganz ohne Witz, weil der Mensch wiederum das einzige | |
| Säugetier ist, für das ausgerechnet die Jungfernzeugung eine besondere | |
| Bedeutung hat. Und der selbst über die gewöhnliche Jungfernschaft ein | |
| heiliges Brimborium macht. | |
| Der Spiegel erklärte zu dem Hammerhainachwuchs: „Bei einer Parthenogenese | |
| wird der unbefruchteten Eizelle durch bestimmte Hormone eine Befruchtung | |
| vorgespielt, woraufhin diese sich zu teilen beginnt und zu einem Lebewesen | |
| heranwächst. Hierbei findet keine Durchmischung des genetischen Materials | |
| wie bei einer Befruchtung statt. Mit zweigeschlechtlicher Fortpflanzung | |
| kann die Jungfernzeugung also nicht mithalten.“ | |
| Auch das Science Magazin des ORF hob die Wichtigkeit der „Durchmischung“ | |
| dabei hervor: „Die Parthenogenese ist eine extreme Form von Inzucht. Bei | |
| Bambushaien könnte es allerdings eine geeignete Strategie sein, falls ein | |
| Weibchen an einem isolierten Riff lebt. Durch die Jungfernzeugung könnten | |
| die Tiere eine Zeitlang überleben, bis dann doch einmal ein Männchen | |
| vorbeikommt und die normale Fortpflanzung stattfinden kann.“ | |
| ## Männlich-heterosexuelle Sichtweise | |
| Aus diesen Meldungen spricht eine ebenso männlich-heterosexuelle wie | |
| dumpf-sozialdarwinistische Sichtweise: Als gäbe es ohne Männchen nur ein | |
| trostloses „Überleben“ für die Haiweibchen, denen im übrigen die Männch… | |
| bei der Verpaarung jedes Mal große Fleischstücke rausbeißen – „ruppig“ | |
| nennt der Spiegel das. | |
| Die Biologen halten die ungeschlechtliche Fortpflanzung klein, obwohl immer | |
| wieder neue Arten entdeckt werden, die sich derart fortpflanzen, so zum | |
| Beispiel mehrere Eidechsenarten. Von einer weiß man, dass die Weibchen, | |
| bevor sie Eier legen, von einer Geschlechtsgenossin bestiegen – stimuliert | |
| – werden müssen. Diese Art praktiziert keine a-, sondern eine homosexuelle | |
| Fortpflanzung. | |
| Becker und andere erwähnen noch die Schnecken. Sie können sich ebenfalls | |
| parthenogenetisch fortpflanzen, aber es sind Zwitter, das heißt: dass sich | |
| Schnecken gegenseitig befruchten können – und zwar sehr liebevoll. Daraus | |
| kommen laut der herrschenden Lehre, der sich die drei Autoren verpflichtet | |
| fühlen, Nachkommen mit einer größeren genetischen Vielfalt heraus. | |
| Im Gegensatz zu den meisten hier genannten Arten kommen bei der | |
| Parthenogenese der Bienen und anderer Hautflügler, also bei deren | |
| unbefruchteten Weibchen (den „Arbeiterinnen“) nur Männchen heraus, die zwar | |
| für einen Insektenstaat notwendig sind, um später kurz die Königin zu | |
| befruchten, aber in der Regel werden sie von der Königin als alleiniger | |
| Eilegerin produziert. | |
| Es gibt noch eine seltene parthenogenetische Fortpflanzung, Amphitokie | |
| genannt, in der Schmetterlingsfamilie der Psychidae, bei der sowohl | |
| männliche als auch weibliche Nachkommen entstehen. Und schließlich kennt | |
| man noch eine „zyklische Parthenogenese“, die nur in bestimmten | |
| Generationen – bei Fadenwürmern, Gallwespen und Wasserflöhen – auftritt u… | |
| in der ihre Weibchen dotterarme „Subitaneier“ abgeben, die sich schnell | |
| entwickeln, und wobei ebenfalls nur weibliche Nachkommen entstehen. Um der | |
| antidarwinistischen Runde willen, sei abschließend noch erwähnt, dass in | |
| immer mehr Tanzclubs Hetero-„Sex-Partys“ stattfinden, bei denen gar nichts | |
| herauskommt, was aber gewollt ist. | |
| 17 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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