# taz.de -- Die Wahrheit: Den Duetten der Drongos auf der Spur | |
> Der 37. Teil unserer Serie „Die komische Tierwelt und ihre ernste | |
> Erforschung“ folgt einer Kanzlergattin auf Safari und lauscht den | |
> Gesängen exotischer Singvögel. | |
Bild: Graubauchdrongo sucht Singsozius | |
Der letzte Leiter des Instituts für Verhaltensphysiologie der | |
Max-Planck-Gesellschaft in Seewiesen, der Kirchenmusiker Wolfgang Wickler, | |
erforschte Duettgesänge von Vögeln, wobei er immer wieder auf die Drongos | |
zurückkam: kleine Singvögel, die in Afrika und Asien leben. Ab Mitte der | |
siebziger Jahre begleitete ihn und seine Mitarbeiterin Uta Seibt mehrmals | |
die mit dem Ehrendoktor der sowjetischen Akademie der Wissenschaften | |
ausgezeichnete Hobbybotanikerin Loki Schmidt. Sie schloss sich als | |
Kanzlergattin den MPI-Expeditionen auf eigene Rechnung an, aber mit einem | |
bewaffneten Personenschutzbeamten, Günter Warnholz. Der Beamte beschützte | |
sie vor allem vor Flusspferden und Krokodilen und half ihr gelegentlich | |
beim Längenvermessen von Pflanzen. Im Eintrag „Nakuru-See“ (Kenia) schreibt | |
Wickler in „Wissenschaftliche Reisen mit Loki Schmidt“ (2014): „Loki macht | |
uns auf einige weitere, aus der Ethnomedizin bekannte nützliche Pflanzen | |
aufmerksam.“ Über den Drongo bemerkt er zunächst nur lapidar, dass einer, | |
„amselgroß und schwarz“, am See nach Insekten jagte. | |
## Zünftige Botanikerin | |
Auf den Galapagosinseln (Ecuador), wohin die nächste Expedition der vier | |
führte, kofinanziert die Max-Planck-Gesellschaft einige | |
Forschungseinrichtungen sowie auch deutsche Doktoranden, 20 allein aus | |
Wicklers Institut – unter anderem Carmen Rohrbach. Über sie heißt es in | |
seiner Biografie „Wissenschaft auf Safari“ (2017) nur, dass er sie 1980 mit | |
einem Stipendium „zu unserem Arbeitsplatz auf den Galapagos-Inseln | |
schickte. Damit begann ihre Reisekarriere, die sie um die halbe Welt | |
führte.“ | |
Die DDR-Biologin arbeitete ab 1977, vom Westen aus dem Gefängnis | |
freigekauft, als Verhaltensforscherin bei ihm und sollte dann ein Jahr lang | |
das Verhalten von Meerechsen erforschen. Bei der Abreise war sie sich | |
sicher: „In meinem Beruf als Biologin werde ich nicht weiterarbeiten. Zu | |
deutlich ist mir meine fragwürdige Rolle geworden, die ich als | |
Wissenschaftlerin gespielt habe. Ich kann nicht länger etwas tun, dessen | |
Sinn und Nutzen ich nicht sehe.“ | |
Über Loki auf den Galapagosinseln notierte Wolfgang Wickler: Sie trage | |
einen „breitkrempigen Sombrero [vom Botschafter], Jeans und langärmelige | |
Baumwollblusen – ganz zünftige Botanikerin.“ Ansonsten „weiß man gar ni… | |
wohin man zuerst blicken soll“. | |
## Vielmännerei der Bussardin | |
Über den dort lebenden Albatros , dessen „Balzrituale“ wohlerforscht sind, | |
merkt er an, es seien eben keine Balzrituale, denn sie finden nach der | |
Paarungs- und Brutzeit statt: „Mir scheint, es kommt darauf an, dass die | |
Partner ihre Gesten gut aufeinander einspielen, wie es andere Vögel in | |
komplizierten Duettgesängen tun, nämlich so, dass einer endlich immer | |
gerade das tut, was der andere erwartet. Lange, ununterbrochene | |
Ritualszenen zeigen dann an, dass die Partner zusammengefunden haben. Ist | |
das erreicht, verabschieden sich die beiden voneinander und fliegen eigene | |
Wege.“ | |
1971 hatte Wickler in der Zeitschrift für Tierpsychologie einen Aufsatz | |
„Über den Duettgesang des afrikanischen Drongo“ veröffentlicht. Aber nun | |
auf den Galapagosinseln ist ihm unter anderem die „polyandrische | |
Lebensform“ des dort lebenden Bussards ein „Rätsel“: Warum lebt ein | |
Weibchen in einer festen Gruppe mit bis zu acht Männchen? „Das Weibchen | |
paart sich mit allen, bebrütet alleine ihre zwei Eier, aber dann füttern | |
alle Erwachsenen die Küken.“ | |
Seine Doktorandin Carmen Rohrbach beobachtete bei den Meerechsen auf ihrer | |
kleinen Insel das Gegenteil: Laut Wickler „tauchten dort zur Paarungszeit | |
auf der Insel ungewöhnlich große Männchen auf“. Sie schwimmen von der Insel | |
Santa Cruz rüber und „vertrieben die ansässigen, futterlimitierten und viel | |
kleineren Konkurrenten auf deren Revieren, paarten sich mit den Weibchen | |
und verschwanden“. Wieder anders ist es bei den „Stielaugenfliegen: „Die | |
Männchen haben längere Augenstiele als die Weibchen, und zwar individuell | |
verschieden lange. Beim Rivalisieren vor einem Kampf schieben sie ihre | |
Köpfe gegeneinander, und wer breiter gucken kann, hat das Recht auf die in | |
der Nähe sitzenden Weibchen.“ | |
## Zeichnung ohne Spinne | |
Auf dem Rückflug saß der Duettgesangsexperte Wickler neben dem | |
BBC-Naturfilmer David Attenborough: „Er fragt mich aus über duettsingende | |
Vögel.“ Abschließend heißt es in seinen Reisenotizen: „Die Galapagos-Tour | |
hat sich gelohnt. Von Loki haben wir Botanik gelernt.“ Was, erfährt man | |
nicht, trotzdem bedankte sich Helmut Schmidt bei Wickler im Vorwort für das | |
Buch und die Würdigung der Forschungsarbeit seiner Frau darin. | |
Die nächste Expedition führte die vier nach Malaysia. Helmut Schmidt hatte | |
Loki die Teilnahme zum Geburtstag geschenkt. Im Wald lauschen sie den | |
„Duettgesängen“ der Gibbons. Einer von Wicklers Mitarbeitern in Seewiesen | |
hatte „das an Zootieren genau analysiert“. „Auf unserem Weg hören wir di… | |
Paargesänge zu unserer Freude über eine Stunde lang immer wieder.“ In | |
Kinabalu endlich beobachten sie zwei auf Ästen sitzende „Graudrongos“, die | |
„ein kurzes, rauhes Duett äußern“. Ab und zu „setzt sich Loki auf den B… | |
und skizziert eine Pflanze, Blüte und Frucht, nicht aber eine | |
farbenprächtige Stachelspinne, die im Radnetz dicht über ihrem Kopf hängt“. | |
Als das Magazin der Max-Planck-Gesellschaft Wicklers Biografie | |
„Wissenschaft auf Safari“ unter der Überschrift „Duett der Drongos“ | |
rezensierte, dachte ich, das ganze Buch handele davon. Zumal es dort weiter | |
hieß, dass der Drongo „den kompliziertesten Paargesang unter den Vögeln | |
hat. Er besteht aus exakt aufeinander abgestimmten Abfolgen von Lauten, die | |
ineinandergreifen wie die Zähnchen in einem Reißverschluss. Bis eine | |
minutenlange Strophenserie fehlerfrei klappt, muss ein Drongopaar | |
wochenlang üben. Dafür wirkt das mühsam einstudierte Gezwitscher als | |
Beziehungskitt. Die Vögel bleiben normalerweise ein Leben lang zusammen. | |
## Zweifelnde Biologen | |
Dieser Duettgesang ist aber „nur eines von vielen Themen, die Wolfgang | |
Wickler erforscht hat“. In seiner Biografie mutmaßt er: „Offensichtlich | |
sind Vogelgesang und Menschensprache konvergent evoluierte | |
Kommunikationssysteme.“ Sein letzte Kapitel darin heißt „Zweifel“. Wickl… | |
Kollege, der Leiter der limnologischen Station der | |
Max-Planck-Gesellschaft, Joachim Illies, zweifelte im Laufe seiner | |
Erforschung von Süßwasserinsekten immer mehr an Darwins Evolutionstheorie | |
beziehungsweise an deren tragenden Begriffen – und wurde immer gläubiger. | |
In seinem letzten Buch „Der Jahrhundert-Irrtum“ (1982) schrieb er: Zwar | |
gebe es eine schrittweise Generationenkette von der Amöbe bis zum Menschen, | |
aber der Darwinismus mit seiner Reduktion auf Mutation und Selektion sei | |
eine unzulässige Vereinfachung allen Evolutionsgeschehens. Hinter der | |
Evolution stehe mehr; das sei etwas bisher Unverstandenes; dieses | |
Unverstandene bilde die Brücke zum Religiösen. Bei dem Katholiken | |
Wolfgang Wickler regten sich dagegen als angehender Darwinist schon | |
frühzeitig Glaubenszweifel – zunächst an der „Erbsünde“. | |
In ihrem Familienroman „Berlin liegt im Osten“ (2015) berichtet die hier | |
lebende sowjetisch-russische Schriftstellerin Nellja Veremej von ihrer | |
allein lebenden Großmutter, die einem verwitweten Nachbarn, der ihr einen | |
Heiratsantrag machte, schließlich antwortete: „Und was treiben wir dann vor | |
ihrem gemütlichen Kamin zusammen? Sollen wir etwa als Paar im Duett in die | |
Asche furzen?“ | |
14 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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