# taz.de -- Die Wahrheit: Urbane Greifer | |
> Der 39. Teil unser Serie zur lustigen Tierwelt und ihrer ernste | |
> Erforschung widmet sich Falken, ihren saudischen Prinzen und anderen | |
> Vogelflüsterern. | |
Bild: Viele der misstrauischen Vögel leben ein Jetset-Leben zwischen Wolkenkra… | |
Über Falken kann man leicht etwas Falsches sagen. Sie sind übererforscht | |
und überinterpretiert, aber merkwürdig blass geblieben. So heißt etwa das | |
„Journal für Vogelbeobachter“ und vor allem für Singvogelfreude | |
ausgerechnet Der Falke. | |
Die Straße, die von der neuen Kupfermine Oyu Tolgoi in der Gobi zur | |
Hauptstadt führt, wird von Saudi-Arabien gebaut, das dafür von der Mongolei | |
mit Falken „bezahlt“ wird. Der in Baku aufgewachsene Physiker und „Geopoe… | |
Alexander Ilitschewski erwähnt in seinem Roman „Der Perser“ (2016) eine | |
Brigade von Wildhütern des Nationalparks an der aserbaidschanischen Küste | |
des kaspischen Meeres. Sie bekommen nur selten Gehalt und fangen deswegen | |
Falken, die sie für viel Geld auf dem Falkenmarkt im pakistanischen Quetta | |
verkaufen. | |
## Jagd im Schutzgebiet | |
Wegen der immer fanatischeren Hinwendung der müßigen Saudis zur Falkenjagd | |
wurden die Trappen auf der arabischen Halbinsel und in Marokko ausgerottet, | |
deswegen erkaufen sie sich bei der aserbaidschanischen Regierung das Recht, | |
mit ihren Falken im Trappen-Schutzgebiet zu jagen. Sie bringen 100 Falken | |
mit. Das macht für die Dauer ihres Jagdausflugs 2.000 Trappen, rechnet „Der | |
Perser“ seiner Wildhütertruppe vor. Heimlich bringen sie daraufhin so viele | |
Zuchttrappen wie sie fangen können auf eine unbewohnte iranische Insel im | |
Kaspischen Meer. Die saudischen Falken können nur noch wenige Trappen im | |
Nationalpark erwischen. Ihre Scheichs beschweren sich bei der | |
aserbaidschanischen Regierung. Diese veranlasst den Umweltminister, den | |
Nationalpark „Sirvan“ zu schließen. Fortan haben die Wildhüter keine Arbe… | |
mehr und zerstreuen sich in alle Himmelsrichtungen. | |
## Luxusklinik in Abu Dhabi | |
Auch die anderen Araber am Persischen Golf sind leidenschaftliche | |
Falkenjäger. In Abu Dhabi gibt es eine Luxusklinik mit über 100 | |
Mitarbeitern – nur für Falken. Die Chefärztin ist eine Deutsche und heißt | |
Margit Müller. Alle vier Wochen berichten die deutschen Intelligenzblätter | |
über sie, die das „Falcon Hospital“ laut FAZ „zur führenden Einrichtung… | |
der Welt ausgebaut hat“. Gibt es überhaupt noch ein zweites? Dr. Müller | |
sagt, sie würde im Jahr etwa 11.000 Falken behandeln, viele würden nur zu | |
„Check-ups“ gebracht. Sie seien gemäß der beduinischen Tradition keine | |
Haustiere, sondern „Familienangehörige“ und beim schnellen Aufstieg der | |
Golfstaaten ein „Bindeglied zwischen Moderne und Tradition“. In Berlin | |
nisten zwei Falkenpaare: auf dem Roten Rathaus und auf dem Urbanklinikum, | |
sie werden geschützt und mit Kameras überwacht. | |
Die englische Historikerin und Falknerin Helen Macdonald veröffentlichte | |
eine Kulturgeschichte des Falken, danach ein sehr persönliches Buch mit dem | |
Titel „H wie Habicht“ (2015), das von einem Habicht-Weibchen namens „Mabe… | |
handelte, mit der sie vertraut werden wollte und dann wunschgetrieben dahin | |
kam, „ein Habicht zu werden“. Das ging nicht gut aus: „In meinem Unglück | |
hatte ich den Habicht aber nur in einen Spiegel meiner selbst verwandelt … | |
Irgendetwas lief schief. Sehr schief.“ Sie erinnert sich an den | |
Anthropologen Rane Willerslev, der das sibirische Volk der Jukagiren | |
erforschte. Dabei erfuhr er, dass „eine solche Verwandlung bei den | |
jukagirischen Jägern als sehr gefährlich gilt, weil man dadurch den Kontakt | |
zur 'Identität der eigenen Spezies verlieren und eine unbemerkte | |
Metamorphose durchlaufen könne“. | |
## Welt ohne Halt | |
In ihrer Falken-Kulturgeschichte holte sie weit aus: Beduinen kommen darin | |
ebenso vor wie der leidenschaftliche Falkenjäger und -forscher Friedrich | |
II., Kaiser des römisch-deutschen Reiches, dessen „bevorzugte | |
Freizeitbeschäftigung“ laut Wikipedia „die Falkenjagd war, zeitweilig | |
standen 50 Falkner in Friedrichs Diensten“. Er jagte damit unter anderem | |
Adler und Kraniche. Über ihn veröffentlichte bereits der Tierfilmer Horst | |
Stern eine Biografie: „Mann aus Apulien“ (1993). Friedrichs berühmtestes | |
Buch heißt: „Über die Kunst mit Vögeln zu jagen“. Die Zeit bezeichnete d… | |
1245 entstandene Werk als „Anleitung zur Falknerei verbunden mit präzisen | |
Verhaltensstudien, die im Grunde erst durch die Arbeiten Konrad Lorenz’ | |
eingeholt worden sind.“ | |
2014 erschien in der Reihe „Naturkunden“ ein Buch des inzwischen | |
verstorbenen englischen Bibliothekars John Alec Baker über „Wanderfalken“. | |
Die Welt spricht von einem „als Ornithologenbericht getarnten Prosagedicht“ | |
und dass man über den Autor „wenig mehr erfährt, als dass er versuchte, ein | |
Falke zu werden“. Im Unterschied zu Helen Macdonald, die sich mit Mabel zu | |
Hause einsperrte, um ein Habicht zu werden, hat John Alec Baker sich frei | |
fliegenden Falken genähert. „Der Blick des Wanderfalken von oben auf das | |
Land ist wie der Blick des Seemanns auf die Küste, wenn er in die lange | |
Flussmündung einfährt. Hinter ihm rauscht das Kielwasser, und zu beiden | |
Seiten brechen die Bugwellen des durchschnittenen Horizonts. Wie der | |
Seefahrer lebt der Wanderfalke in einer zerfließenden Welt ohne Halt, einer | |
Welt der Wellen und Wogen, aus versinkenden Flächen von Land und Wasser. | |
Wir Verankerten und Geerdeten können uns diese Freiheit, die das Auge hat, | |
nicht vorstellen.“ | |
## Wo bleibt der Falke? | |
Im Grunde geht es John Alec Baker wie Helen Macdonald darum, Vertrauen zu | |
gewinnen – „wohin der Falke diesen Winter auch gehen mag, ich werde ihm | |
folgen. Ich werde die Furcht und Freude seines Jagens teilen, und auch die | |
Langeweile. Ich werde ihm folgen, bis meine bedrohliche Menschengestalt das | |
wirbelnde Kaleidoskop, das die Sehgrube seiner glänzenden Augen füllt, | |
nicht mehr in Angst verdunkeln lässt.“ Er setzt also – als „Bird-Stalker… | |
wie die Welt ihn nennt – auf den freien Willen und nicht auf Gefangenschaft | |
und Zwang wie die Falkner. Trotz großer Ausdauer hat Baker aber das | |
Vertrauen des Falken nicht gewonnen, dafür jedoch seine Prosa: „Baker | |
beobachtet exakt wie Proust und durchdringt die Sprache wie Rilke,“ | |
schreibt ein Rezensent. | |
Aber wo bleibt der Falke, der echte Falconidae? Ein Falke würde schon | |
genügen oder Geschichten (Anekdoten, wie die Biologen abfällig sagen) über | |
einen einzigen Falken, einen mit Namen sozusagen. Man sieht im Fernsehen | |
immer wieder große Mengen von Falken in Passagierflugzeugen, gechartert von | |
den Saudis. Sie werden zu ihrem nächsten Einsatzort geflogen – ein | |
Jagdausflug, aber nie erfährt man die Namen der dort auf den Sitzen mit | |
einer Haube auf dem Kopf hockenden „blinden“ Passagiere, wahrscheinlich | |
haben sie keine Namen – außer Schimpf- und Koseworte. | |
## Die Greife der Konzerne | |
1962 veröffentlichte die amerikanische Zoologin Rachel Carson einen Bericht | |
über das Aussterben der Vögel aufgrund des flächendeckenden Einsatzes von | |
DDT: „Der stumme Frühling“ hieß ihr Buch, das laut Wikipedia „häufig a… | |
Ausgangspunkt der Umweltbewegung bezeichnet wird“. Von DDT betroffen waren | |
auch die Raubvögel, in deren Gelegen die Schalen der Eier so dünn wurden, | |
dass sie immer häufiger beim Brüten zerbrachen. Als die Falken aus weiten | |
Teilen der USA verschwunden waren, startete man ein teures | |
Wiederansiedlungsprogramm. Die ersten, auf den hohen Dächern der | |
Hauptquartiere einiger Konzerne nistenden Falken, wurden gefeiert wie | |
Filmstars. „Im Gegensatz zu all ihren Vorläufern erhielten diese Falken | |
Namen,“ schreibt Helen Macdonald. Sie waren „urbane Greifvögel“ geworden; | |
zwei in Baltimore hießen Scarlet und Beauregard, ein Paar auf dem | |
Kodak-Tower in Rochester im Staat New York Mariah und Cabot-Sirocco. | |
25 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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