| # taz.de -- Die Wahrheit: Sehr eigene Miezen | |
| > Der 38. Teil unserer Serie „Die komische Tierwelt und ihre ernste | |
| > Erforschung“ widmet sich dem doch recht unergründlichen Wesen der Katze. | |
| Bild: Haben Katzen Bock drauf, darfs auch mal Akupunktur sein | |
| Weltweit gibt es rund 200 Millionen Hauskatzen, ein Viertel davon lebt in | |
| den USA, wo der 8. August als „Weltkatzentag“ gilt. Unter den Haustieren | |
| scheint es vor allem der Hund zu sein, der sich in die menschliche | |
| Parallelwelt gedanklich hineinversetzt. Bei der Katze ist es umgekehrt der | |
| Mensch, sagt man. | |
| Es existieren jedenfalls mehr Bücher über Katzen als über | |
| Sozialhilfeempfänger. In Berlin, wo es keinen einzigen herrenlosen Hund, | |
| aber 80.000 herrenlose Katzen geben soll, wird sogar alljährlich ein | |
| Literaturpreis für den besten Katzenkrimi verliehen. Und kürzlich fand in | |
| Amerika bereits das erste Filmfestival für Katzen-Videos statt. | |
| Die Schriftstellerin Doris Lessing besaß jahrzehntelang Katzen und | |
| veröffentlichte mehrere Bücher über sie. Sie sagte mal, dass sie zeitweise | |
| mehr über eine gestorbene Katze getrauert habe, als über einen gestorbenen | |
| Bekannten oder Verwandten. In einem ihrer Bücher heißt es: „Jeder | |
| aufmerksame, sorgsame Katzenbesitzer weiß mehr über Katzen als die Leute, | |
| die sie beruflich studieren. Ernsthafte Informationen über das Verhalten | |
| von Katzen und anderen Tieren findet man oft in Zeitschriften, die Geliebte | |
| Katze oder Katze und Du heißen, und kein Wissenschaftler würde im Traum | |
| daran denken, sie zu lesen.“ | |
| ## Katzeforum statt Katzeklo | |
| Forscher lesen auch nicht die diversen Katzenforen, in denen zumeist Frauen | |
| diskutieren, ob man seinen Freund verlassen soll, weil der ihre Katze nicht | |
| akzeptiert – oder diese ihn nicht. Eine Teilnehmerin schreibt: „Wenn ich | |
| daran denke, wie viele Jahre ich mit einem ausgemachten Volldeppen zusammen | |
| war, den mein Kater Sky von Anfang an nicht mochte, und wie deutlich ich | |
| nun gerade an Sky jeden Tag merke, dass ich jetzt den richtigen gefunden | |
| habe.“ | |
| Eine andere Frau meint: „Mein damaliger ‚Traummann‘, mit dem ich über f�… | |
| Jahre eine Wochenendbeziehung geführt hatte, entpuppte sich nach dem | |
| Zusammenziehen als ‚Albtraummann‘. Er kam mit den Katzen absolut nicht | |
| klar. Sie durften weder ins Schlafzimmer noch auf die ‚gute‘ Couch (die | |
| übrigens 15 Jahre alt war.) Außerdem stank ihm das Katzenfutter, und am | |
| Ende hat er von mir verlangt: entweder ich oder die Katzen. Die Katzen | |
| haben natürlich gemerkt, dass er sie nicht leiden konnte, und haben | |
| protestgepinkelt und die Tapeten und Teppiche zerstört, was sie vorher noch | |
| nie gemacht hatten … Hab dann meine Katzen geschnappt und bin ausgezogen. | |
| In meiner neuen Wohnung – ohne diesen Mann – waren dann die Katzen wieder | |
| ganz die alten und sichtlich glücklicher.“ | |
| Eine dritte Frau schreibt: „Ich hab damals meinen Traumtypen in den Wind | |
| geschossen, als ich gemerkt habe, dass alle von uns unglücklich waren. Ich | |
| – weil ich es ihm nicht recht machen konnte und meine Katzen immer | |
| unglücklicher gesehen habe. Er – weil er mit den Katzen nicht konnte. Und | |
| meine Katzen – weil sie gemerkt haben, dass sie bei ihm nicht willkommen | |
| waren.“ | |
| ## Die Katze und der Mann | |
| Männliche Wissenschaftler geben zu, dass Katzen schwierig sind: „Was die | |
| Forschung an der Katze problematisch macht, ist gleichzeitig das, was viele | |
| so an ihr lieben: die Eigensinnigkeit“, meint zum Beispiel der | |
| Verhaltensforscher und Katzenexperte Dennis Turner vom Institut für | |
| angewandte Ethologie und Tierpsychologie in Hirzel bei Zürich. „Die | |
| Erfolgskarriere der Katze ist im Vergleich zum Hund etwas höchst | |
| Erstaunliches“, betont er. Hunde sind soziale Rudeltiere – ihr natürliches | |
| Verhalten übertragen sie einfach auf uns Menschen. Die Vorfahren der | |
| Hauskatze waren dagegen einzelgängerische Eigenbrötler. Mit ihrer enormen | |
| Anpassungsfähigkeit haben sie ihr Sozialverhalten an uns Menschen angepasst | |
| – „eine faszinierende Fähigkeit, die sich weiter zu erforschen lohnt“, so | |
| Turner. | |
| Die Wissenschaft gibt also nicht auf. Auch an der | |
| Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im österreichischen Grünau steht die Katze | |
| im Mittelpunkt einiger ethologischer Projekte. Eine Studie blickt gezielt | |
| auf die Persönlichkeit des Katzenhalters und das daraus resultierende | |
| Verhalten der Katze: „Je emotional instabiler der Mensch, desto mehr | |
| beansprucht er die Katze als Unterstützer“, berichtet der Leiter der | |
| Forschungsstelle, Kurt Kotrschal. Diese Abhängigkeit weiß die Katze | |
| raffiniert für sich zu nutzen: „Katzen labiler Menschen waren bei den | |
| Untersuchungen die wählerischsten, was das Futter angeht.“ | |
| Durch theatralisches Verhalten und jammervolles Miauen versuchen Katzen | |
| ihre Bezugsperson dazu zu bewegen, ihnen etwas Besseres zu geben. „Sie | |
| machen soziale Spielchen, um den Menschen zu kontrollieren, damit er ihnen | |
| quasi gehorcht“, sagt Kotrschal. Viele Katzenbesitzer können kuriose | |
| Geschichten erzählen, die zeigen, wie viel Verstand in diesen Tieren | |
| steckt. Sie machen sich nicht nur ihren Menschen durch gezieltes | |
| Manipulationsverhalten gefügig, sie begreifen auch viele Zusammenhänge in | |
| ihrer Umwelt und können ihre Erfahrungen gezielt für ihre Zwecke nutzen. | |
| ## Miauen für den Menschen | |
| Die Phonetikerin an der schwedischen Universität Lund, Susanne Schötz, | |
| erforscht die Lautäußerungen von Katzen. Sie fand heraus: Manche dienen | |
| allein der Kommunikation mit dem Menschen. Ausgewachsene herrenlose Katzen | |
| miauen eigentlich nicht, ihre Laute sind allein für den Menschen gedacht. | |
| Ich kann das bestätigen: Unsere zweijährige und immer noch etwas scheue | |
| Katze Luzie fängt gerade an, mit uns zu „reden“. | |
| Und weil sie merkt, dass wir uns bemühen, darauf einzugehen, werden ihre | |
| Laute immer häufiger und differenzierter – von einem drängenden lauten | |
| Miau, weil die Balkontür geöffnet oder der Fressnapf aufgefüllt werden | |
| soll, bis zu einem fast unadressierten leisen Miau, das nicht mehr als ein | |
| „Hallo“ im Vorübergehen sein kann. „Katzen benutzen eine Melodie, deren | |
| Klang sie variieren, die der Mensch deutet und dabei überraschend oft | |
| richtig liegt. Katzenhalter schneiden dabei besser ab als | |
| Katzenbeobachter“, meint Susanne Schötz. | |
| „Derridas Katze“ hieß eine Ausstellung in der Galerie der Berliner NGBK. | |
| Der Philosoph hatte in seinem Buch „Das Tier, das ich also bin“ berichtet, | |
| wie er nackt aus dem Bad kommt und sieht, wie seine Katze ihn anguckt – vor | |
| allem sein Geschlechtsteil, wie er meint. Dem wenig empirieversessenen | |
| Jacques Derrida kamen ob dieser etwas „ungebührlichen Situation“ sofort | |
| philosophische Gedanken über Scham, Nacktheit und Blicke. Die feministische | |
| US-Biologin Donna Haraway kritisierte daran, dass er statt weiter über | |
| seine Katze nachzudenken, auf die Tierüberlegungen anderer Philosophen, von | |
| Lévinas, Lacan und Heidegger, ausgewichen war, denen er vorwarf, sich nicht | |
| nackt dem Blick eines Tieres ausgesetzt zu haben. | |
| ## Heidenreichs Katze | |
| Die Katzenbuch-Autorin Elke Heidenreich schrieb 1999 ihrer daheim | |
| gebliebenen Katze einen Brief aus dem Urlaub. Darin kam sie unter anderem | |
| darauf zu sprechen, dass sie, Klara, sich jedes Mal, wenn die | |
| Briefschreiberin ein Bad nahm, auf den Wannenrand setzte und ihr zusah. | |
| Elke Heidenreich war das unangenehm. | |
| „Die Philosophie ist eigentlich dazu da, das einzulösen, was im Blick eines | |
| Tieres liegt,“ schrieb Theodor W. Adorno. Katzen haben viele verschiedene | |
| Blicke. Man kann in ihren Augen lesen. | |
| Die türkische Filmemacherin Ceyda Torun hat das jetzt mit ihrer Doku „Kedi | |
| – Von Katzen und Menschen“ versucht. Sie konzentriert sich unter den | |
| unzähligen in Istanbul frei lebenden Katzen auf sieben, die sehr | |
| freundliche Menschen, meist Ladenbesitzer, gefunden haben, mit denen sie | |
| eine Beziehung eingegangen sind. Ceyda Torun tut das ihrige dazu – mit der | |
| Kamera begegnet sie den sieben Katzen quasi auf Augenhöhe und begleitet sie | |
| auf ihren Streifzügen. Nur ab und zu nimmt sie die Stadt von ganz oben aus | |
| der Vogelperspektive ins Bild. Das von Adorno geforderte „Philosophische“ | |
| lösen die Bezugspersonen der sieben Katzen mit ihren Worten über jene ein. | |
| 4 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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