# taz.de -- Kommentar CDU-Wahlkampfstrategie: Steigen Sie in den Ring, Frau Mer… | |
> Martin Schulz wirft der Kanzlerin vor, ihre Wahlkampfstrategie schade der | |
> Demokratie. Nun ist das Gebrüll groß. Dabei hat die SPD Recht. | |
Bild: Merkel liebt präsidiale Vagheit, sie mag keine Konkretion. Leider. | |
Plötzlich ist was los im beginnenden Wahlkampf. Die Union brüllt: | |
„Unwürdig!“ Die SPD brüllt zurück: „Heult doch, ihr Wattebäuschchen-L… | |
Und natürlich, das vorab, ist es falsch, Angela Merkel als Antidemokratin | |
hinzustellen. Wenn Martin Schulz der Kanzlerin einen „Anschlag auf die | |
Demokratie“ vorwirft, hat das etwas verzweifelt Überdrehtes. Der | |
Sozialdemokrat beißt nachts vermutlich weinend ins Kopfkissen, weil er kein | |
Rezept gegen die populäre Kanzlerin findet. | |
Interessanter als Performancekritik ist aber der Kern des Arguments. In der | |
Aufregung kommt nämlich etwas Entscheidendes zu kurz: Die SPD hat Recht. | |
Merkel liebt präsidiale Vagheit, sie mag keine Konkretion. Ihr Konzept | |
vergangener Wahlkämpfe, WählerInnen des gegnerischen Lagers durch | |
kalkulierte Nicht-Positionierung einzuschläfern, sediert den Diskurs. Und | |
ihre Weigerung, relevante Fragen zu diskutieren, schadet der Demokratie. | |
Diese Frage muss erlaubt sein: Was will Merkel eigentlich in den nächsten | |
vier Jahren – außer regieren? | |
Man weiß bisher ja eher, was sie nicht will – etwa: keine Rentenreform. | |
Merkel hat neulich noch einmal betont, es gebe bis 2030 keine | |
Notwendigkeit, das Rentensystem zu verändern. Das Thema müsse man jenseits | |
des Parteiengeplänkels in Ruhe diskutieren, assistiert ihr Generalsekretär. | |
Ernsthaft? Der demografische Wandel ist die zentrale Herausforderung für | |
die deutschen Sozialsysteme, irgendwann droht der Kollaps. Und die CDU will | |
nicht über die Rente streiten? Wäre es nicht so traurig, würde man darüber | |
lachen. | |
## Image und Handeln klaffen auseinander | |
Auch in der Steuerpolitik weiß man nichts Genaues. Merkels CDU liebäugelt | |
mit einer Entlastung von 15 Milliarden Euro. Sie will den Soli-Zuschlag für | |
alle abbauen, Korrekturen bei der Einkommensteuer, aber auf keinen Fall | |
Steuererhöhungen. Das liefe auf eine Reform hinaus, die den Staat dauerhaft | |
schwächt, weil eine Gegenfinanzierung fehlt. Vor allem Gutverdiener würden | |
profitieren, weil sich bei ihnen die Entlastungen summieren. Ist das so | |
gemeint? Ein paar trockene Zahlen wären hilfreich, damit sich die | |
BürgerInnen ihre Meinung bilden können. | |
Oder die Europapolitik. Hier klaffen Merkels Image und ihr Handeln weit | |
auseinander. Die Kanzlerin wird nicht müde, angesichts von Trump, Brexit | |
und Co. den Wert der Europäischen Union zu betonen. Ihr [1][Bierzelt-Satz] | |
ist legendär. Doch in der Realität nimmt Merkel in Kauf, dass sich | |
Griechenland kaputt spart. Schäuble verweigert dem kranken EU-Partner | |
Schuldenerleichterungen, damit die Deutschen nicht denken, er werfe den | |
Griechen ihr Geld hinterher. Merkels doppeltes Spiel stärkt die EU nicht, | |
es spaltet. Soll das so weitergehen? | |
Die kühle Entgegnung, Merkel fahre mit dem Verzicht auf Inhaltliches ja | |
sehr erfolgreich, wird dem Ernst der Sache nicht gerecht. Ja, es stimmt: | |
Für viele Menschen ist das Vertrauen in eine Person wichtiger als die | |
Spiegelstriche im Wahlprogramm. Merkels „Sie kennen mich“-Wahlkampf 2013 | |
war ja vor allem das Versprechen, dass sich nichts ändert – und | |
sensationell erfolgreich. | |
Erfolg darf jedoch nicht der einzige Maßstab sein. Der Streit um die | |
bessere Idee ist nun einmal die Essenz des Politischen. Zwischen Demokraten | |
müssen die Unterschiede klar erkennbar sein, sonst profitieren die | |
Rechtspopulisten. Sie kochen ihr braunes Süppchen mit der Wut auf angeblich | |
gleiche „Systemparteien“. Sie sind die großen Profiteure, wenn der | |
inhaltliche Streit ausstirbt. | |
Die Spitzenleute von CDU und CSU basteln im Moment an einem gemeinsamen | |
Wahlprogramm. Anfang Juli soll es vorgestellt werden. Die spannende Frage | |
ist, ob Merkel sich dieses Mal traut, in die Details zu gehen und zu | |
erklären, wohin sie will. Oder ob sie wieder – und das ist nicht | |
unwahrscheinlich – auf einen wolkigen Wohlfühl-Wahlkampf setzt. Für | |
Letzteres aber sind die Zeiten ein bisschen zu ernst. Steigen sie endlich | |
in den Ring, Frau Bundeskanzlerin! | |
26 Jun 2017 | |
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[1] /Merkels-Ansage-an-die-USA/!5415780 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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