# taz.de -- Parteitag der SPD: Früher war mehr Konfetti | |
> Keine Tränen, aber jede Menge Schweiß. Martin Schulz rackert sich beim | |
> Parteitag für Aufbruchstimmung ab, Draufgänger Schröder zeigt, wie es | |
> geht. | |
Bild: Hilft jetzt nur noch Händchenhalten? | |
DORTMUND taz | Die SPD – das vorab – hat sich redlich bemüht. | |
Kanzlerkandidat Martin Schulz rackert sich durch eine fast | |
eineinhalbstündige Rede und kam so ins Schwitzen, dass er sein Sakko | |
auszog. Gerhard Schröder, der letzte noch lebende Exkanzler, brüllt ein | |
„Venceremos!“ („Wir werden siegen!“) in die Halle, als wäre er ein | |
chilenischer Freiheitskämpfer. Gut 600 Delegierte und tausende Besucher | |
beklatschten den Programmparteitag der SPD, der in Dortmund stattfand, da, | |
wo das Herz der Sozialdemokratie schlägt. | |
Die SPD sitzt ja mal wieder dick in der Tinte. Merkel [1][liegt in Umfragen | |
weit vorn], der Hype um Martin Schulz ist lange perdu, im Moment ist keine | |
Machtperspektive in Sicht – außer der Großen Koalition unter Merkel. In so | |
einer Situation maximalen Kampfeswillen zu zelebrieren, ist nicht einfach. | |
Dieser Parteitag ist eine Gelegenheit, wieder in die Offensive zu kommen. | |
Vielleicht die letzte überhaupt für die gebeutelte SPD. | |
Und die Hoffnung ruht nach wie vor vor allem auf ihm. Martin Schulz geht | |
gegen Mittag zum Rednerpult. Hinter ihm spannt sich eine Wand, die so | |
intensiv blau leuchtet wie der Abendhimmel im Sommer. Darüber steht in | |
riesigen Buchstaben der Slogan: „Zeit für mehr Gerechtigkeit“. | |
Er landet gleich zu Beginn seiner Rede einen echten Treffer. Die Kanzlerin | |
nehme billigend in Kauf, dass die Menschen nicht zur Wahl gingen, wettert | |
Schulz. Die Wahlen 2009 und 2013 gewann sie mit der Strategie der – | |
Achtung, fürchterliches Wort! – „asymmetrischen Demobilisierung“. Sie | |
vermied zugespitzte Festlegungen, duckte sich in relevanten Fragen weg. So | |
verleitete sie SPD-affine Wähler dazu, zu Hause zu bleiben – was ihre Union | |
stärkte. | |
## Vom Pathos ins Persönliche | |
Schulz fährt schweres Geschütz auf, redet von Merkels „Anschlag auf die | |
Demokratie“. Applaus braust auf, SPD-Fahnen werden geschwenkt, und es | |
stimmt ja auch: Während die SPD zuletzt [2][Konzepte] im Wochentakt | |
vorlegte, segelt die Kanzlerin bisher komplett inhaltsleer durch den | |
Wahlkampf. Das Problem für die SPD ist nur, dass das Merkel eher nutzt als | |
schadet. 15 Prozentpunkte liegt sie in Umfragen vorn, scheinbar | |
uneinholbar. | |
Schulz müht sich ab, schwitzt, wechselt vom Pathos ins Persönliche und | |
zurück. Er verweist auf seine einfache Herkunft als Sohn eines | |
Polizeibeamten. Er ruft Erdoğan zu, endlich [3][die inhaftierten | |
Journalisten freizulassen]. Er erklärt, wie er Familien entlasten will. Er | |
macht die Ehe für alle zur Bedingung für eine neue Koalition. Als er sich | |
bei der jungen Kellnerin bedankt, die ihm ein Glas Wasser hinstellt, wirkt | |
das sehr sympathisch. | |
Doch irgendwie springt der Funke nicht recht über. Schulz’ Rede hat keine | |
echten Höhe- und Tiefpunkte, er moduliert seine Tonlage kaum, alles ist | |
gleich wichtig. Es fehlt, um es mal platt zu sagen: der knallige Wums, der | |
Merkel aus dem Amt kegeln könnte. Am Ende klatschen die Delegierten | |
trotzdem neun Minuten lang. Die Inszenierung zählt. Alles riecht nach | |
moderatem Pragmatismus, der sich auch aus der Rolle speist, neben Merkel zu | |
regieren. | |
Der SPD-Programmprozess startete schon 2015, es gab Hearings, | |
Bürgerdialoge, Beschlüsse in den Gremien. „Gelebte Parteiendemokratie“, | |
befand Generalsekretär Hubertus Heil vor dem Parteitag. „Das ist kein | |
Konfettiparteitag, es ist ein Arbeitsparteitag.“ Das Antragsbuch ist so | |
dick wie das Berliner Telefonbuch, 1.627 Änderungsanträge liegen vor. Am | |
Ende stellt sich die Basis im Wesentlichen hinter die Linie der SPD-Spitze | |
um Schulz. | |
## Windelweich die Revolte weggekuschelt | |
Eine Minirevolte, die eigentlich keine war, verläuft im Sande. Die Jusos, | |
SPD-Linke und einzelne Landesverbände hatten in den vergangenen Tagen | |
darauf gedrungen, eine Vermögensteuer ins Wahlprogramm aufzunehmen. Der | |
Parteivorstand umarmte den halbherzig vorgetragenen Protest sanft. Er | |
folgte am Samstagabend einer Idee von Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel, | |
eine Kommission einzurichten, die die Steuer prüfen soll. Windelweicher | |
geht es nicht, oder, um es mit Hubertus Heil zu sagen: „Prüfen kann man | |
alles in der Welt.“ Das entschiedene Irgendwie zur Vermögensteuer ist | |
typisch für die vorsichtige SPD, die es sich mit den Wirtschaftseliten | |
nicht verscherzen will. | |
Dann, nun ja, dann kommt Gerhard Schröder. Und es ist ja schon interessant, | |
dass der Auftritt eines Exkanzlers zu den unumstrittenen Höhepunkten des | |
Parteitags zählt. Schulz hatte ihn um den Auftritt gebeten. Schröder, der | |
Agenda-Konstrukteur und Gazprom-Lobbyist, ist eine ambivalente Figur für | |
die SPD. Schulz distanzierte sich kurz nach seiner Nominierung von der | |
Agenda, Schröder wird das nicht unberührt gelassen haben. Was gibt er dem | |
Kandidaten mit? | |
Schröder, der gern witzelt, seine Resozialisierung in der SPD schreite | |
voran, beweist diesen Spruch am Rednerpult. Er trägt das Haar halblang und | |
zurückgekämmt, spricht ruhig, das Dröhnen von früher ist weg. Er erinnert | |
die GenossInnen an den Wahlkampf 2005. Die Sozialdemokraten hätten keine | |
Chance, hätten Journalisten damals geschrieben, sagt er. | |
Alle erinnern sich noch an jenen Wahlkampf, in dem die SPD abgeschlagen | |
hinter der Union lag. Unvergessen, wie Schröder seine Partei hochriss, die | |
am Ende bei 34,2 Prozent landete – knapp hinter der Union. Unvergessen | |
auch, wie Schröder, dem das Testosteron im Blut kochte, Merkel in der | |
Elefantenrunde abkanzelte wie ein kleines Mädchen. Schröder ruft auf der | |
Bühne: „Was damals ging, das geht heute auch!“ Nicht Journalisten, nicht | |
Umfragen entschieden Wahlen, sondern die Wähler. | |
## Schröder bleibt Schröder | |
Wie sich Schröder die heutige Merkel vornimmt, das hat Klasse. Wenn er | |
höre, wer sich alles von Amerika emanzipieren wolle, wundere er sich schon | |
– „selbst über Auftritte in bayerischen Bierzelten“. Er erinnere sich an | |
diejenigen, die den USA in den Irakkrieg folgen wollten. Die Spitze sitzt. | |
Merkel hatte damals als Oppositionsführerin das deutsche Nein in einem | |
Gastbeitrag für die Washington Post verurteilt. | |
Schröder bleibt Schröder. Wenn er vorne gesteht, er habe das Programm nicht | |
gelesen, schwingt da ein bisschen Verachtung für die Niederungen der | |
Parteiarbeit mit – die er nie wichtig nahm. Trotzdem bejubeln sie ihn, | |
alles scheint verziehen. Bei Schröder wusste man immer, was ihm wichtig | |
war. Fast könnte man sagen: Martin Schulz braucht ein bisschen mehr Gerd. | |
25 Jun 2017 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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