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# taz.de -- Klimaschutz und G20: Finanzminister fürchten die Nulldiät
> Viele Regierungen wehren sich gegen die sogenannte Dekarbonisierung. Sie
> sind von Einnahmen aus Kohle, Öl und Gas abhängig.
Bild: Arbeiter einer indischen Kohlemine auf der Heimfahrt nach Schichtende
Berlin taz | Das Kraftwerk Drax in North Yorkshire in England ist ein
Monstrum des Kohlezeitalters. Mit seinen zwölf riesigen Kühltürmen und
sechs Kraftwerksblöcken dominiert es das grüne Land im Norden Englands
zwischen York und Leeds. Drax war mit seinen 4.000 Megawatt Leistung lange
eine der größten Dreckschleudern Europas. Heute verbrennt das Kraftwerk nur
noch halb so viel Kohle wie früher, der Rest wird mit klimaneutralen
Holzpellets befeuert. Und die Betreiber loben sich selbst als „größtes
Dekarbonisierungsprojekt Europas.“
Drax ist Teil einer Erfolgsgeschichte. Denn Großbritannien, Mutterland von
Industrialisierung und Kohleboom, ist unter den G20-Staaten Klassenbester
beim Abschied von Kohle, Öl und Gas – bei der sogenannten Dekarbonisierung.
„Der CO2-Fußabdruck eines Briten ist heute um 33 Prozent geringer als
1992“, hat eine Studie des britischen Thinktanks ECIU ergeben, „und er ist
gleichzeitig um 130 Prozent reicher.“ Das Königreich hat dreckige
Industrien geschlossen und verlagert und will bis 2025 ganz aus der Kohle
aussteigen.
Doch der Titel „Champion der Dekarbonisierung“ wird beim G20-Treffen nur
heimlich vergeben. Denn wenn sich die 20 wirtschaftsstärksten Länder der
Erde treffen, sitzen auch die 20 größten Klimasünder an einem Tisch. Aus
ihren Ländern stammen 75 Prozent aller Treibhausgase, die die Erde immer
schneller in Richtung Klimakatastrophe treiben. Von ihnen kam aber auch
der Anstoß zum Pariser Klima-Abkommen von Dezember 2015. Zusammen mit 175
anderen Staaten haben die G20 erklärt, dafür ihre Treibhausgasemissionen
aus Kohle, Öl und Gas ab 2050 praktisch auf null zu senken.
Aber an dieses Versprechen lassen sie sich nicht gern erinnern. Der
gefährliche Begriff „Dekarboniserung“ wurde aus den offiziellen
G20-Papieren gestrichen. US-Präsident Donald Trump setzt offen nicht auf
De-, sondern auf Rekarbonisierung, wenn er die „Kohle zurückbringen“ will.
Aber auch für viele andere G20-Lenker ist der Abschied von den fossilen
Brennstoffen eine Horrorvision. „Es wäre die größte Dummheit, wenn Indien
seine Kohle aufgäbe“, sagt immer wieder der ehemalige indische
Umweltminister Jairam Ramesh. Schwellenländer sehen darin ihren Weg aus der
Armut, die Türkei, Indonesien oder Südafrika planen viele Kraftwerke. Und
die Ölstaaten tragen ihre Abhängigkeit vom Brennstoff schon in ihrem Namen.
## Ein Preis für CO2
Gastgeber Deutschland würde diese Front der Fossilen gern aufbrechen. Die
Bundesregierung hat sich deshalb Unterstützung geholt. In den
Vorbereitungsrunden zum G20-Gipfel durften Wissenschaftler und
Umweltgruppen eine weltweite Gebühr für CO2 fordern. Bundeskanzlerin Angela
Merkel, die sich in Deutschland beim Kohleausstieg bedeckt hält, hat mit
Blick auf die G20 erklärt: „Wir können uns nicht herausreden. Klimaschutz
geht uns alle an.“
Und sie präsentierte im Mai in Berlin eine umfassende Studie, um den Mythos
zu entkräften, dass Klimaschutz die Wirtschaft ruiniert. Der Club der
Industrieländer OECD befand in seiner Untersuchung [1][„Investing in
Climate, Investing in Growth“], Klimaschutz sei der beste Weg zur Erholung
der Weltwirtschaft, zu Wachstum und Armutsbekämpfung. „Erheben Sie eine
dicken, fette Gebühr für CO2!“, riet OECD-Generalsekretär José Ángel
Gurría den Politikern.
Auf Seite 240 des dicken Wälzers zeigt aber eine unscheinbare Tabelle,
warum der Abschied von Kohle, Öl und Gas nicht so einfach ist. Die OECD hat
erstmals abgeschätzt, wie wichtig die fossilen Brennstoffe für die
Ökonomien der G20-Staaten sind.
Das Ergebnis ist deutlich: Neben Industriestaaten, die für ihre
Wirtschaftsleistung und Staatseinnahmen praktisch kaum auf die dreckigen
Dollars angewiesen sind (darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich,
Japan, Korea) gibt es auch Länder, die bei einer Kohlenstoff-Nulldiät sehr
viel oder alles zu verlieren haben: Saudi-Arabien, aber auch Russland,
Indonesien, Mexiko und China.
## Einkommen aus Bodenschätzen
Trägt man Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen, wird das Bild
vielfältiger und teilweise deutlicher. Die Weltbank erstellt einen
Überblick über „Resourcenrenten“, die Extractive Industries Transparency
Initiative (EITI) bringt Licht ins Dunkel der Einkommen aus Bodenschätzen,
und das Natural Resource Governance Institute (NRGI), eine gemeinnützige
Organisation, gräbt sich durch Haushaltspläne und offizielle Statistiken.
Die Analyse zeigt: Bei vielen wichtigen Staaten sind die Interessen von
Öl-, Gas- und Kohleindustrie und Regierung praktisch deckungsgleich, oft
sind die Konzerne überwiegend oder vollständig in Staatsbesitz:
Saudi-Arabien bezieht nach NRGI-Zahlen 90 Prozent seiner Einkünfte aus dem
Öl. In Russland finanzierte 2011 allein der Erdölsektor 28 Prozent des
Staatsbudgets.
„Insgesamt macht der Anteil der Erträge aus fossilen Energien an den
Einnahmen der Regierung etwa zwei Drittel aus“, widerspricht George
Safonov, Energieexperte am Zentrum für Umwelt und Naturressourcen
(Ranepa) in Moskau den OECD-Schätzungen. Die chinesischen Staatskonzerne
verdienten nach NRGI-Zahlen 2008 mit Gas, Öl und Kohle insgesamt 437
Milliarden Dollar; das sind etwa 20 Prozent des Staatsbudgets, doppelt so
viel, wie von der OECD angenommen.
## Profite für den Staat
In Brasilien nutzt die Politik das größte nationale Unternehmen, die
staatseigene Ölfirma Petrobras, nicht nur als Schmiergeldtopf, sondern
auch zur Entwicklung abgelegener Regionen; auch Indonesien bezieht 18
Prozent seines Budgets aus dem Erdöl. Beim größten Ölverbraucher USA
beuten dagegen private Firmen die Rohstoffe aus – aber allein 2013
verdiente Washington nach Angaben des US-Energieministeriums 13 Milliarden
Dollar durch Abgaben auf Öl, Gas und Kohle, die im Wert von etwa 100
Milliarden Dollar auf öffentlichem Grund und Boden gefördert wurden.
Weitere Milliarden fließen an Staaten wie Alaska und Wyoming.
Diese Länder treibt eine Angst um: Echter Klimaschutz würde Kohle, Gas und
Öl zu „unburnable carbon“ machen. Soll die Atmosphäre bis 2100 nicht über
2 Grad Celsius aufgeheizt werden, müssen weltweit etwa 80 Prozent der Kohle
und jeweils 40 Prozent von Gas und Öl in der Erde bleiben – faktisch eine
Enteignung von Staaten, die ihre Wirtschaft auf die fossilen Energien
ausgerichtet haben.
Eine Studie des Londoner University College zeigt, wer auf dem Markt noch
seine Rohstoffe losschlagen könnte: Russland und die USA könnten nur noch
10 Prozent ihrer Kohle verkaufen, China und Indien nur noch 35 Prozent. Was
Öl angeht, wären etwa 40 Prozent der Reserven am Persischen Golf und 75
Prozent der kanadischen Ölsände „unverbrennbar“, beim Gas blieben
Lateinamerika und Russland auf 60 Prozent ihrer Vorräte sitzen.
## Subventionen für dreckige Energien
Derzeit verdienen die G20-Länder laut Weltbank jedes Jahr etwa 2.300
Milliarden Dollar mit dreckiger Energie – immerhin etwa 4 Prozent ihrer
Wirtschaftsleistung. Die Länder verteilen dafür insgesamt 5.300 Milliarden
Dollar im Jahr an direkten und indirekten Subventionen für fossile
Brennstoffe, hat der Weltwährungsfonds IMF errechnet. Etwa 500 Milliarden
Dollar direkt, der Rest sind Kosten von Umwelt- und Gesundheitsschäden, die
die Allgemeinheit trägt.
Aber schon die rund 500 Milliarden Direktsubventionen richten schweren
Schaden an, moniert Ottmar Edenhofer, Klimaökonom am Potsdam Institut für
Klimafolgenforschung (PIK) und am Forschungsinstitut MCC. Sie behindern den
schnellen Ausbau erneuerbarer Energien und führten in Schwellenländern zu
einer „Renaissance der Kohle“, die das 2-Grad-Limit bedroht.
Das Geld könnte besser eingesetzt werden, um etwa „den Zugang zur
Wasserversorgung in 70, zu Abwasser in 60 und zur Stromversorgung in 50
Ländern zu sichern“, so Edenhofer. Wichtig seien auch Steuern auf CO2, am
besten schnell und in Höhe von mindestens 40 Dollar pro Tonne. Aber auch
diese Forderung schaffte es nicht in die G20-Dokumente.
Die Abhängigkeit von den Fossilen ist allerdings kein Naturgesetz, rechnet
eine Expertengruppe vor. Im Deep Decarbonisation Pathway Project (DDPP) des
Pariser Thinktanks IDDRI zeigten 2015 Regierungsberater aus den 16 größten
Verschmutzerländern: Es gibt einen bezahlbaren Ausweg aus der dreckigen
Wirtschaft. Die Politik muss ihn nur wollen und organisieren. Wichtig sind
demnach: bessere Energieeffizienz, massiver Ausbau von Ökoenergien oder
Atomkraft und die Abscheidung und Lagerung von CO2 (CCS); und der Umstieg
auf grünen Strom im Verkehr, in der Industrie und beim Heizen.
Die Experten zeigen viele Wege: Russland könne „80 Prozent seines
Energiebedarfs aus Erneuerbaren herstellen“, sagt George Safonov, ähnlich
wie Kanada. China wiederum könne durch Umstrukturierung seiner Industrie
den CO2-Ausstoß dort um 60 Prozent senken, die USA „können minus 80 Prozent
erreichen mit bereits existierenden Technologien wie LED-Leuchten“, sagt
Jim Williams vom Thinktank E3.
Manche Länder wie Südkorea oder Italien stehen vor kaum lösbaren Aufgaben,
andere wie Deutschland oder Großbritannien haben die ersten Schritte
bereits gemacht und müssen „nur“ schneller werden.
Die Internationale Energieagentur (IEA), die nicht für übergroßen
Ökooptimismus bekannt ist, findet die DDPP-Vorlagen durchaus realistisch.
Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist in einer
Studie darauf hin, dass die Wirtschaft in den OECD-Ländern in den letzten
zehn Jahren um 16 Prozent gewachsen ist, während die Emissionen um 6
Prozent gesunken sind – die „Entkopplung“ von Energieverbrauch und
Wohlstand sei auch für Volkswirtschaften wie China machbar, heißt es.
Dafür müssten die G20-Staaten allerdings erst einmal ihre eigenen
Beschlüsse ernst nehmen. So hatten die Länder bereits 2009 entschieden,
„Subventionen für fossile Brennstoffe zu streichen, die zu Verschwendung
führen“. Passiert ist jedoch bislang nicht viel. Und der Passus wird im
Dokument für Hamburg einfach nur wiederholt.
7 Jul 2017
## LINKS
[1] http://www.oecd.org/env/investing-in-climate-investing-in-growth-9789264273…
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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