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# taz.de -- Leipziger Ausstellung „Chinafrika“: Shipping und Shopping
> In welcher Beziehung stehen Chinas und Afrikas Wirtschaft? Die Antwortet
> bietet das eigene Smartphone: China produziert. Afrika wird ausgebeutet.
Bild: Wie manifestiert sich ein globaler Prozess an konkreten Orten?
Serge Mulumba begann vor über zehn Jahren mit aus China importierten
Mobiltelefonen zu handeln. Zu kaufen gibt es sie heute im ostkongolesischen
Lubumbashi in einem ehemaligen kolonialen Postamt. Serges Frau Carine fährt
einmal im Monat hochwertige, in China hergestellte Damenmode mit dem Auto
von Johannesburg quer durch Simbabwe und Sambia nach Lubumbashi. Carine und
Serge Mulumba – sie stehen stellvertretend für ein komplexes Geflecht der
Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Afrika.
Unter der Wortfusion „Chinafrika“ will die [1][Galerie für Zeitgenössische
Kunst in Leipzig] Einblick gewähren in das, was derzeit passiert im
Kupfergürtel im Norden Sambias und im Südosten der DR Kongo, dem
Knotenpunkt der Extraktion und des Transports von Rohstoffen. Aber auch in
den Metropolen Lagos, Johannesburg, Addis Abeba und Algier sowie in
Hongkong oder Guangzhou.
Was wissen Sie über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und
Afrika? Die wenigsten werden auf diese Frage mehr als das eigene Smartphone
als Antwort parat haben, das wohl irgendwo in China produziert wurde.
Kongolesische Koltanminen werden etwa durch eine taiwanesische Firmengruppe
ausgebeutet, die wiederum Smartphones für eine US-amerikanische Firma
produziert. Nur ein Beispiel auf dem A3-großen Blatt Papier, das Besucher
mit dem Kauf der Eintrittskarte in die Hand gedrückt bekommen.
Und damit beginnt die Schnitzeljagd. Denn mit ein wenig Umherschlendern und
Kunst auf sich wirken lassen ist es in dieser Ausstellung nicht getan. Im
Gegenteil: Nach einem ersten Rundgang möchte man die Räume wieder
verlassen, einfach kapitulieren, angesichts von Interviewvideos, Fotos von
Flughäfen und bunten Wandtapeten, die sich auch dem geübten Kunstgucker
einfach nicht erschließen wollen. Kuratorisch ist es fast schon wieder
genial, wie das Gezeigte sich der Zugänglichkeit verschließt und eben
zunächst den Effekt hat, der dem Thema innewohnt – es führt mangels Wissen
um die Thematik an die Grenze des Verstehens.
## Netz neuer Mittelsmänner aufbauen
Also doch ein Blick aufs dicht beschrieben Blatt Papier: Bis zu zwei
Millionen chinesische Staatsbürger halten sich auf dem afrikanischen
Kontinent auf, lernt man, und bis zu einer halben Million afrikanische
Staatsbürger leben als Händler, Dienstleister, Staatsbedienstete oder
Studierende in China. So weit die harten Fakten. Eine bis vor Kurzem sehr
offene Visapolitik, hohe Gewinnspannen, bezahlbare Flüge und Unterkünfte
bieten afrikanischen „Kofferhändlern“ einen guten Markteintritt: Sie
sammeln kleines Kapital, fliegen nach Guangzhou, kaufen im Rahmen des
Freigepäcks von 32 Kilo Mobiltelefone und bringen diese auf die Märkte
ihrer Herkunftsländer.
Dort machen sie dann so viel Profit, dass sie bei einer nächsten Reise
einen Container beladen oder sich ein Netz neuer Mittelsmänner aufbauen
können. Solche Beispiele sprudeln nur so heraus aus Jochen Becker, der viel
Zeit am Ort verbracht und das Projekt kuratiert hat – man hätte sich seine
Stimme auf einem Audioguide gewünscht.
Wie manifestiert sich ein globaler Prozess an den konkreten Orten? Wie
verändern sich Lebensperspektiven durch neue, internationale Beziehungen?
Und wie verändern diese Beziehungen die städtischen Räume? Vier
Arbeitsgruppen aus Künstlern, Theoretikern und Akteuren entwickelten dazu
weitere Fragestellungen, Reflexionen und zum Teil neue Kunstwerke – gern
hätte man mehr darüber erfahren, wie dieser Arbeitsprozess vonstatten ging.
Stattdessen soll ab der kommenden Woche ein kleines Heft den Einstieg in
die knapp 50 künstlerischen Beiträge erleichtern.
## „Polen Tasche“ steht drauf
Gleich zu Beginn, noch im Museumsshop, die erste, inhaltlich passend
platzierte Arbeit: Payne Zhu aus Schanghai bewirbt die fiktive Schuhmarke
Like, angelehnt an Nike. Die meisten Afrikaner können sich die
Marken-Turnschuhe nicht leisten, chinesische Fabriken entwickeln ähnliche
Logos. Wenige Meter weiter nähert sich eine Videoarbeit diesen
Verstrickungen aus der Perspektive eines Privatdetektivs, der die
Ausfuhrmärkte in Guangzhou überwacht. Gegenüber hängt eine einzelne Tasche:
„Polen Tasche“ steht drauf – Dan Halter aus Südafrika verweist mit dem
beschrifteten Readymade auf die tatsächlich in China produzierten Taschen,
die weltweit diverse Spitznamen haben, etwa „Ghana Must Go Bag“ in Nigeria.
Die Qualität der künstlerischen Beiträge ist divers, die Aussage manchmal
etwas platt. Wenn einzelne Blätter Chinakohl in Lebensmittelfarbe getaucht
werden, um die Effekte der wirtschaftlichen Kolonisierung Sambias „zu
untersuchen“, bleibt einem nur der unangenehme Geruch im Kopf. Das
Nebeneinander eines Fotos des Frachtflughafens in Leipzig mit dem
Containerterminal der Insel Yangshan in China stellt dagegen unweigerlich
die Frage nach der Verwobenheit von Chinafrika und Europa, während eine
Collage aus quietschbunten und idealisierten europäischen Villen mit roten
Autos vor der Tür auf die Absurdität verweist, dass diese als abwischbare
Dekotapete in den ärmsten Behausungen hängen.
So bietet die Ausstellung anhand einzelner Spots einen Einstieg,
sensibilisiert für eine wirtschaftliche Verflechtung, die weitreichende
Folgen hat. Auf angenehme Weise eröffnen die Ausstellungsmacher das
thematische Feld entlang der Aspekte wie Shipping, Shopping, Transit, Urban
oder Future.
Von innen sichtbar, jedoch nur von außen durch das Museumscafé betretbar,
der Kinoraum, passenderweise betitelt mit Trailer. Auf 58 Mobiltelefonen
aus China laufen Videos: Es sind Aufnahmen der Projektinitiatoren Daniel
Kötter und Jochen Becker, die während ihrer Trips in den Jahren 2014 bis
2017 entstanden. Auf Kopierpapier liegen daneben heruntergeschriebene
Begegnungen der beiden – etwa mit dem Ehepaar Mulumba. So ist die gesamte
Ausstellung als Trailer zu verstehen, als Auftakt der Auseinandersetzung.
Auch beim Kunstfest in Weimar Ende August wird „Chinafrika“ präsent sein,
danach beim Steirischen Herbst in Graz – denn das Projekt ist „under
construction“, wie schon der Untertitel einräumt.
10 Jul 2017
## LINKS
[1] http://gfzk.de/2017/dechinafrikaenchinafrica/
## AUTOREN
Sarah Alberti
## TAGS
Afrika
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