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# taz.de -- Kapitalismus in Nordkorea: Der arme Nachbar erstarkt
> Das einst abgeschottete Land verändert sich unter Kim Jong Un. Beobachten
> lässt sich das sehr gut in der chinesischen Grenzregion.
Bild: Chinesische Händler verkaufen Souvenirs an der Freundschaftsbrücke, dem…
Dandong taz | Eine scheinbar endlose Karawane aus Lastwagen mit abgedeckter
Ladefläche, Baggern, Kleinbussen und Güterzügen passiert die einspurige
Stahlkonstruktion, die Sinuiju auf der nordkoreanischen Seite mit dem
chinesischen Dandong verbindet. Die Freundschaftsbrücke, 1937 von den
japanischen Kolonialherren erbaut, ist nicht weniger als Nordkoreas Tor zur
Welt, eine 940 Meter lange Lebensader. Über zwei Drittel des gesamten
Außenhandels wird hier abgewickelt.
Auf der chinesischen Seite wirkt die Grenze nach Nordkorea wie eine
Mischung aus Volksfest und Riviera: Entlang der Promenade des Yalu-Flusses
bahnen sich Reisegruppen ihren Weg vorbei an Souvenirständen und
Straßenmusikern. An einer Steintreppe steigen Senioren mit Badekappen ins
eisige Wasser. Nur einen Steinwurf entfernt schieben sechs nordkoreanische
Soldaten auf einem rostigen Fischkutter Wache. In Russenhocke verharrend,
schauen sie stoisch in die Ferne, während die Unterwäsche an der Leine
trocknet. Hinter ihnen, auf der anderen Seite des Flusses, zeugen
mehrstöckige Bürotürme und Baukräne von einer leisen Revolution.
„Glaub mir: Die, die an der Grenze wohnen, sind alle damit beschäftigt,
Geld zu machen. Denen geht es gar nicht schlecht“, sagt Xiao, 28 Jahre alt,
graue Jogginghose, Kopfhörer mit überdimensionalen Ohrmuscheln um den Hals
geschlungen. „Seit Kim Jong Un an der Macht ist, ist das Land viel offener
geworden“, ergänzt sein Kumpel Henry, 27 Jahre alt, die Haare zur
Rockabilly-Tolle gegelt. Die beiden wirken wie zwei chinesische Halbstarke,
doch sie sind auch Geschäftsleute, die ihren Lebensunterhalt mit dem
nordkoreanischen Regime verdienen.
## Chinas moderne Maoisten
An diesem lauen Abend haben sie in ein Separee ihres Stamm-Nordkoreaners
geladen. Die Kellnerinnen tragen enggeschnittene Kleider, sprechen bemühtes
Oxford-Englisch und sorgen dafür, dass die Biergläser der männlichen Gäste
stets gefüllt bleiben. Nach und nach tischen sie Kimchi auf, frittierte
Süßkartoffeln sowie einen Rippchenteller.
Henry, der sich selbst einen westlichen Namen gegeben hat, möchte zunächst
mit ein paar Vorurteilen aufräumen: „Die jungen Leute in Pjöngjang ticken
ganz ähnlich wie wir: Die mögen westliche Kultur, haben im Ausland
studiert, benutzen iPhones“, sagt er. Die älteren Nordkoreaner hingegen,
insbesondere die Militärs, seien hingegen erzkonservativ und misstrauisch
gegenüber Ausländern: „Erst wenn du ihnen versichern kannst, dass du Profit
bringst, gewinnst du ihr Vertrauen.“ Mit Geld, so versichern die beiden,
ließen sich die meisten Türen öffnen.
Henry hat Tourismus in Macau studiert, Xiao Politik in Peking. In
politischen Diskussionsforen im Internet haben sie sich angefreundet, beide
bezeichnen sich als moderne Maoisten, die angeekelt sind vom Materialismus
der chinesischen Jugend und trotzdem regelmäßig Geschäfte mit Nordkorea
machen. Zudem eint sie ihr Interesse am Nachbarn, diesem merkwürdigen Land,
das wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit wirkt. Als sie nach
Möglichkeiten suchten, um Geld zu verdienen, halfen ihnen ihre
nordkoreanischen Kommilitonen mit Kontakten aus. Schon bald tat sich das
erste Geschäftsfeld auf – der Kohleimport. „Manchmal haben wir nur zwei
Tage pro Monat gearbeitet und ein gutes Leben geführt“, sagt Xiao. Seit
Februar jedoch erhalten die Kohleschiffe aus Nordkorea keine
Andockerlaubnis mehr – eine Folge der UN-Sanktionen, zu deren Umsetzung die
USA gedrängt haben.
Trotz der wirtschaftlichen Repressionen floriert das Tourismusgeschäft nach
Nordkorea weiterhin. Die Visabestimmungen sind nämlich – abgesehen von der
Einreise südkoreanischer Staatsbürger oder Journalisten – relativ locker:
Wer eine Pauschalreise bucht, ein Formular mit persönlichen Angaben
ausfüllt und die Visagebühr bezahlt, erhält in aller Regel einen positiven
Bescheid. Auch Xiao und Henry haben nun auf Tourismus umgesattelt. Sie
bringen Nostalgiereisende nach Pjöngjang, die dort noch einmal das China
ihrer Kindheit erleben wollen: Propagandabanner statt Reklametafeln.
In Dandong scheinen die schaurigen Schlagzeilen weit entfernt, die der
Korea-Konflikt seit Monaten fast im Tagesrhythmus produziert. Wer die
grausamen Menschenrechtsverletzungen des Regimes anspricht, stößt meist auf
Gleichgültigkeit und Schulterzucken. Nordkorea wird in der chinesischen
Grenzstadt als kleiner, armer Nachbar gesehen – ein abstruser Ort, in dem
die Menschen ein hartes Leben führen.
## Nordkoreaner in glänzenden Polyester-Anzügen
Rund 10.000 Gastarbeiter sind laut Angaben der Provinzregierung von
Liaoning in den Textilfabriken der Stadt angestellt, die Dunkelziffer
dürfte etwa doppelt so hoch liegen. Mehr als 150 nordkoreanische
Handelsfirmen haben einen Sitz in Dandong, mehrere Dutzend vom Regime
betriebene Restaurants sind registriert. Nordkoreaner sind im Stadtbild
omnipräsent: Sie rauchen am Straßenrand, warten am Busbahnhof oder stehen
am Frühstücksbuffet der Geschäftshotels. Selbst für ungeschulte Augen sind
sie auf den ersten Blick erkennbar – an den glänzenden Polyester-Anzügen,
den weit geschnittenen Hosenbeinen und der roten Anstecknadel auf der
linken Brust, auf der Staatsgründer Kim Il Sung prangt.
Herr Jang hingegen könnte äußerlich auch als Südkoreaner durchgehen: Bei
seinem Abendessen in einem kleinen Eckrestaurant trägt er eine randlose
Brille, ein graues T-Shirt und eine dunkelblaue Funktionsjacke. Etwas
verloren wirkt der 55-Jährige an dem Vierertisch, vor sich eine kaum
angerührte Schale kalter Weizennudeln und einen gebratenen Fisch. Als Herr
Jang den Besucher aus Deutschland bemerkt, blickt er ob der unverhofften
Konversationsmöglichkeit neugierig auf. Dass sein Gesprächspartner als
Journalist arbeitet, im verfeindeten Südkorea wohnt und gleich vorweg
Kritik am nordkoreanischen Regime äußert, stört ihn keinesfalls: Das erste
Bier wird bestellt.
„Wir Nordkoreaner sind keine schlechten Menschen“, sagt Herr Jang und
klopft mehrmals mit seiner rechten Hand auf die Brust: „Wir haben ein
großes Herz.“ Offenherzig erzählt er sodann von seinen zwei erwachsenen
Töchtern, die wie er in Pjöngjang leben. Sein Schwager betreibe ein
Geschäft in Moskau. Er selbst sei „beruflich“ für ein paar Tage in Dandon…
wie er sagt.
Es ist erstaunlich, wie gut der Nordkoreaner über die aktuelle
Nachrichtenlage Bescheid weiß: über Donald Trumps verbale Aussetzer etwa,
den frisch gewählten Präsidenten in Seoul oder Chinas Investionsprojekte in
Afrika. Schon bald jedoch landet das Gespräch bei der Sanktionspolitik des
Westens. Wie könne Nordkorea, ein solch kleines Land, eine Bedrohung für
die USA darstellen, fragt Herr Jang rhetorisch: „Wir fühlen uns, als ob die
ganze Welt gegen uns ist“, sagt er: „Natürlich haben wir nicht so viel Geld
wie die Chinesen, aber unser Wille ist stark. Schauen Sie, unsere
Wirtschaft wächst – trotz der Sanktionen“.
## Grundstein für die Schattenwirtschaft
Auch Andrei Lankow im 370 Kilometer entfernten Seoul spricht von einem
beachtlichen „Wirtschaftsboom“, wenn auch von einer dürftigen Ausgangslage.
Der Nordkorea-Experte geht von einem jährlichen Wachstum von 3 bis 5
Prozent aus. Der Aufschwung sei den zaghaften Wirtschaftsreformen Kim Jong
Uns geschuldet. Fabrikmanager dürfen mittlerweile über Personal und Löhne
entscheiden, Bauern in Kleinstkollektiven überschüssige Erträge auf dem
freien Markt weiterverkaufen. „Seitdem steigen die Ernteerlöse Jahr für
Jahr“, sagt Lankow. Nur im Lukrieren von ausländischen Investoren sei der
junge Diktator spektakulär gescheitert. Aufgrund seiner nuklearen
Ambitionen wird sich daran wohl auch wenig ändern.
Der Nordkoreanologe gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet: Aufgrund seiner
Sozialisation in der Sowjetunion hat er seit frühester Kindheit Erfahrungen
mit totalitären Ideologien gesammelt, zudem studierte er bereits in jungen
Jahren ein Semester lang an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang.
„Unter Kim Il Sung war Nordkorea noch ein hyperstalinistischer Staat: Es
gab keinerlei Privatbesitz, selbst der Besitz ausländischer Literatur
reichte für eine lange Haftstrafe“, sagt Lankow. „Mittlerweile macht die
Privatwirtschaft zwischen 25 und 50 Prozent aus“.
Der Grundstein für die Schattenwirtschaft wurzelt im traurigsten Kapitels
in der Historie des Landes: Eine fatale Kombination aus Misswirtschaft,
Naturkatastrophen und dem gleichzeitigen Untergang der Sowjetunion als
wichtigsten Geldgeber führte zu einer beispiellosen Hungersnot, die
Hunderttausende von Nordkoreanern das Leben kostete. Damals erlebten breite
Gesellschaftsschichten ein bis heute nachwirkendes Trauma – den Kollaps der
staatlichen Versorgung mit Nahrungsmitteln. Von einem Tag auf den anderen
mussten die Nordkoreaner ihr Überleben in die eigene Hand nehmen. Es war
dies die Geburtsstunde der ersten Privatmärkte.
Innerhalb weniger Jahre etablierte sich eine neue Händlerkaste, „Donju“
genannt, zu Deutsch „Meister des Geldes“. Sie haben die strengen
Hierarchien des ideologisch bestimmten Klassensystems der nordkoreanischen
Gesellschaft durchbrochen: Geschäftemacher aus politisch unliebsamen
Familien in den nordöstlichen Provinzen konnten plötzlich mehr verdienen
als hochrangige Parteikader in Pjöngjang. Kim Jong Il versuchte dieser
Entwicklung weitgehend mit Verboten und Verfolgung Herr zu werden. Sein
Sohn hat den Beamten mittlerweile die Order gegeben, die Händler frei
gewähren zu lassen, solange sie seine politische Macht nicht infrage
stellen.
## Pjönghattan eröffnet
Das im Frühjahr eröffnete Ryomyong Viertel, auch Pjönghattan genannt, ist
das jüngste Symbol des nordkoreanischen Aufschwungs: Gläserne
Hochhausfassaden erstrecken sich über 70 Stockwerke in den Himmel, in ihren
Formen erinnern sie an die futuristischen Bauten der Stararchitektin Zaha
Hadids.
Regelmäßige Besucher im Land berichten von ersten nordkoreanischen
Mischkonzernen: Die Masikryong Unternehmen beispielsweise führt ein
Skiresort, verkauft Wasser in Plastikflaschen und betreibt ein
Reisebusnetz. Ebenso gibt es mittlerweile ein öffentlichen
Fahrradverleihsystem.
Für viele Nordkorea-Beobachter ist all dies Augenwischerei, lenkt es doch
von der eigentlichen Tragödie im Land ab: Trotz marktwirtschaftlicher
Öffnung gibt es nämlich keinerlei Anzeichen, dass diese mit politischen
Reformen einhergehen. Vielmehr könnte die neue Mittelschicht des Landes die
Machtansprüche des totalitären Regimes weiter zementieren.
„Ich bin mir sicher, dass die Donju das Regime verabscheuen. Für sie sind
die Parteibürokraten nichts weiter als Parasiten“, sagt Lankow. Dennoch
säßen die Händler und Geschäftsleute mit dem Regime im selben Boot. Zum
einen würde eine Revolution ihr Geschäft gefährden, zum anderen böte die
Aussicht auf ein vereintes Korea unter südlicher Führung keine rosige
Zukunft: „Dort wären sie bestenfalls Taxifahrer“.
27 Jun 2017
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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