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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Nordkoreas Realpolitik
> Trumps aggressives Verhalten ist gefährlich. Die Atommacht Nordkorea
> strebt nach Anerkennung, handelt rational und die Wirtschaft floriert.
Bild: Nordkorea ist bereits eine Atommacht, die sich nicht leicht einschüchter…
Nach der spektakulären Militärparade vom 15. April zum 105. Geburtstag des
Staatsgründers Kim Il Sung (1912–1994) und Präsident Trumps Drohung, eine
US-amerikanische „Armada“ zu entsenden, hat sich die Lage auf der
Koreanischen Halbinsel wieder einmal zugespitzt. Das Säbelrasseln in
Washington und Pjöngjang lässt in aller Welt die Alarmglocken läuten.
Seit dem Waffenstillstand im Koreakrieg (1950–1953), auf den nie ein
Friedensvertrag folgte, ist Korea ein Spannungsherd. Doch wann immer die
USA mit einer Militärintervention drohten, ließen sie am Ende davon ab: Als
Nordkorea 1969 ein US-Aufklärungsflugzeug über seinem Territorium abschoss,
war Präsident Nixon das Risiko zu groß. Zur gleichen Einschätzung kam das
US-Militär 1994, als sich herausstellte, dass Nordkorea Plutonium
produziert. Damals rieten die Experten von einem Präventivschlag ab, und
Präsident Clinton schickte stattdessen Expräsident Jimmy Carter zu
Vermittlungsgesprächen nach Pjöngjang. Danach drohte auch George W. Bush
mehrfach mit Militärinterventionen.
Jetzt hat Donald Trump das Ende der „strategischen Geduld“ verkündet, wie
er die Politik der Obama-Regierung nannte, die das nordkoreanische Regime
nicht davon abhalten konnte, sein Atomwaffen- und Raketenprogramm
auszubauen. Trumps Drohung bedeutet die akute Gefahr einer falschen
Einschätzung der Lage. Zumal er mit der Komplexität des Problems nicht
vertraut ist – ja nicht einmal mit den elementaren historischen Fakten, wie
seine Äußerung zeigt, Korea sei „einmal ein Teil Chinas“ gewesen.
Die Ignoranz des Präsidenten und der Radikalismus seiner Sicherheitsberater
stellen eine gefährliche Kombination dar. Mit Androhung oder Anwendung von
Gewalt wird man das Problem jedenfalls nicht aus der Welt schaffen.
## Zwei impulsive Staatschefs
Seit ihrer Gründung im Jahr 1948 fordert die Demokratische Volksrepublik
Korea (DVRK) die Großmächte heraus. Das bekamen nicht nur die USA, sondern
auch China und die UdSSR als ehemalige Mentoren zu spüren. Das heutige
Regime in Pjöngjang setzt diese Tradition fort, indem es sich mit
Washington und Peking anlegt.
Neu ist allerdings die Personalisierung der Krise durch die Konfrontation
zweier impulsiver Staatschefs. Dabei wird auch klar, dass die Politik der
USA und ihrer Verbündeten in eine Sackgasse geführt hat. 25 Jahre lang war
man nur darauf aus, die Verbreitung von Kernwaffen zu verhindern – und hat
darüber versäumt, die Motive der nordkoreanischen Machthaber zu ergründen.
Als das Regime in Pjöngjang Ende der 1980er Jahre zu dem Schluss kam, dass
es sich nur auf sich selbst verlassen könne, startete es mithilfe der
Sowjetunion ein ziviles Atomprogramm, um das dann heimlich in militärische
Bahnen zu lenken. Nach der Auflösung der UdSSR und Chinas Aufstieg zur
Weltmacht fühlte sich Nordkorea noch verwundbarer und setzte das
Atomprogramm nunmehr mit pakistanischer Hilfe fort. Das Eingreifen der USA
in Afghanistan, im Irak und zuletzt in Syrien verstärkte dann nur noch die
Überzeugung, dass man sich vor einem ähnlichen Schicksal nur durch eigene
Atomwaffen schützen könne.
Vielleicht hätte man Nordkorea noch in den 1990er Jahren dazu bringen
können, die atomare Bewaffnung im Austausch für Sicherheitsgarantien und
Wirtschaftshilfe aufzugeben. Genau darauf zielte das Genfer Rahmenabkommen
von 1994: Den Verzicht auf die Produktion von Plutonium wollten die USA mit
der Normalisierung der Beziehungen und der Aufhebung der Sanktionen
honorieren. Zudem wollte man zwei Kernkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren
liefern, um das Atomwaffenrisiko zu minimieren.
Diese Verpflichtungen haben die USA jedoch nie erfüllt. Auch Nordkorea
begann alsbald gegen das Abkommen zu verstoßen und versuchte in den Besitz
von Anlagen zur Urananreicherung zu kommen. Allerdings hat Pjöngjang unter
Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) seine
Plutoniumproduktion eingestellt – bis George W. Bush 2002 das Abkommen von
1994 für gescheitert erklärte. Der Vorwand: Das nordkoreanische Programm
zur Urananreicherung sei in die operative Phase eingetreten. Das entsprach
freilich nicht den Fakten, wie die US-Geheimdienste 2007 zugeben mussten.
Aber die Strategie erreichte ohnehin nur das Gegenteil. 2006 testete
Nordkorea trotz internationaler Sanktionen seine erste Plutoniumbombe.
## Wirtschaftlicher Aufschwung
Heute ist das Land eine Atommacht und hat die Strategie der nuklearen
Abschreckung in der Verfassung verankert. Ob die Nordkoreaner bereits in
der Lage sind, ballistische Raketen mit Atomsprengköpfen zu bestücken, ist
jedoch eine offene Frage. James R. Clapper, ehemals Chef des
US-Geheimdienstes DIA, meinte im Oktober 2016, es sei „wahrscheinlich
aussichtslos“, Pjöngjang zur Aufgabe seines Arsenal an Abschreckungswaffen
zu bewegen.
Seit 2002 sind die Atom- und Raketenprogramme für das Regime eine
strategische Notwendigkeit und nicht mehr verhandelbar – wenn sie es denn
je waren. Das Regime in Pjöngjang wird stets als irrational und
unberechenbar beschrieben. Dabei verfolgt es eine klare politische Linie:
Es will als unabhängige Atommacht anerkannt werden, Sicherheitsgarantien
erhalten und seine Beziehungen zu Washington normalisieren, um seine
internationale Anerkennung durchzusetzen. Und es möchte den bescheidenen
Aufschwung beschleunigen, der durch die Reformen der letzten zehn Jahre und
insbesondere seit der [1][Machtübernahme durch Kim Jong Un] angestoßen
wurde.
Die jüngsten Maßnahmen haben eine hybride plan- und privatwirtschaftliche
Elemente kombinierende Wirtschaft hervorgebracht. Pjöngjang ist kaum noch
wiederzuerkennen: Zahlreiche Wolkenkratzer ragen in den Himmel, es gibt
neue Prachtstraßen mit Einkaufszentren, Restaurants und Vergnügungsparks.
In der Provinz ist der Wandel weniger spektakulär, aber ebenfalls spürbar,
wenngleich es nach wie vor an vielem mangelt.
Der Aufschwung stabilisiert das Regime. Gleichzeitig hat Kim Jong Un
bislang jeden potenziellen Widersacher brutal ausgeschaltet. Er regiert das
Land mit eiserner Hand und nutzt die außenpolitischen Spannungen skrupellos
aus. Der koreanische Patriotismus, der in beiden Staaten stark ausgeprägt
ist, wird im Norden noch einmal extrem auf die Spitze getrieben. Der
Bevölkerung wird ein permanenter Belagerungszustand suggeriert, und die
allgemeine Verunsicherung wird durch die von Kim Jong Un angedrohten
Präventivschläge zusätzlich verstärkt.
## Zurückhaltung Chinas
Das koreanische Streben nach nationaler Unabhängigkeit war vornehmlich
gegen die jahrhundertelange Abhängigkeit von China gerichtet. Der große
Nachbar wird von den USA nicht zu Unrecht dafür verantwortlich gemacht,
dass die Sanktionspolitik gegen Nordkorea gescheitert ist. Obwohl China im
UN-Sicherheitsrat für die Sanktionen gestimmt hat, setzt sie diese nur
zögerlich um.
China und Nordkorea galten früher als Bruderländer, aber ihre Beziehungen
waren nie besonders herzlich. Die Generation der Waffenbrüder, die Seite an
Seite gegen die japanischen Besatzer und anschließend gegen die US-Armee
kämpften, ist nicht mehr am Leben. Heute ist das bilaterale Verhältnis vor
allem durch die beiderseitigen Interessen geprägt. Das zeigte sich etwa,
als China 1992 zum Leidwesen von Pjöngjang begann, seine Beziehungen zu
Südkorea zu normalisieren.
Als wichtigster Handelspartner Nordkoreas kann China zwar einigen Druck
ausüben, doch es hat andere Prioritäten als die USA. In Peking hat man für
die nukleare Aufrüstung Pjöngjangs wenig übrig, aber noch weniger will man
das Regime in die Enge treiben.
Ein Zusammenbruch Nordkoreas würde für China ein mehrfaches Risiko
bedeuten: Flüchtlinge könnten die Grenzregion Yanbian destabilisieren, wo
bereits eine große koreanische Minderheit lebt. Vor allem aber fürchtet
China eine Wiedervereinigung unter der Ägide Südkoreas, denn damit würde
ein Verbündeter der USA – oder sogar die US-Armee selbst – bis an die
eigene Grenze vorrücken. Als China 1950 die bis zum Yalu-Fluss („Amnok“ auf
Koreanisch) vorgedrungenen US-Alliierten zurückdrängte, hat es eine Million
Soldaten verloren.
Da eine Destabilisierung der Region für China nachteilig wäre, tritt
Präsident Xi Jinping gegenüber Pjöngjang inzwischen härter auf. Anfang
April wurden die Kohleimporte ausgesetzt und die täglichen Flüge von Air
China eingestellt (während der Handel mit anderen Produkten wächst).
Dennoch kritisieren Chinas Intellektuelle die moderate Haltung gegenüber
Nordkorea. Der angesehene Schanghaier Historiker Shen Zhihua erklärte
kürzlich auf einer Tagung, Nordkorea sei mittlerweile ein
„destabilisierender Faktor an Chinas Grenze“ und gefährde „fundamentale
nationale Interessen“.
Ob solche Kritik die Linie der Partei- und der Militärführung beeinflusst,
bleibt abzuwarten. Bislang besteht Peking unverändert auf Verhandlungen
zwischen den USA und Nordkorea, obwohl man in Pjöngjang auf die – moderate
– Verstärkung der chinesischen Sanktionen ungewöhnlich scharf reagiert hat.
So hat man Abgesandte aus Peking brüsk abgewiesen und mit weiteren
Raketentests gedroht.
## Dialog mit Südkorea
Während Washington das Regime mit Gewalt in die Knie zwingen will, möchte
Peking das Land in die regionale Entwicklung einbinden und wirtschaftlich
voranbringen. Die atomare Frage sieht man nicht als höchste Priorität,
sondern will sie im Rahmen einer Paketlösung entschärfen. Die USA dagegen
wollen sich erst an den Verhandlungstisch setzen, wenn Nordkorea auf seine
Atomwaffen verzichtet hat.
In solchen Kalkulationen gibt es allerdings eine weitere Unbekannte: die
Position Südkoreas. Nach der Präsidentschaftswahl vom 9. Mai wird der
mutmaßliche Sieger Moon Jae In die harte Linie der abgesetzten Präsidentin
Park Geun Hye nicht fortsetzen. Er befürwortet eine Wiederaufnahme des
Dialogs mit Pjöngjang und die Neuverhandlung des Abkommens über die
Stationierung des US-Raketenabwehrsystems Thaad in Südkorea, die für Peking
ein Ärgernis darstellt. Die USA laufen also Gefahr, mit ihrem Verbündeten
in Dissens zu geraten, zumal die Fehlinformation über die Entsendung des
US-Flugzeugträgerverbands an die koreanische Küste in Seoul große Empörung
ausgelöst hatte.
Eine auf den Abbau der Spannungen zielende Politik muss drei
Voraussetzungen beachten: Erstens handelt das nordkoreanischen Regime nicht
irrational, ist aber entschlossen, bestimmte Risiken einzugehen. Zweitens
steht es nicht vor dem Zusammenbruch. Und drittens wird es auf seine
Atomwaffen nicht verzichten.
Und noch etwas müssen die USA im Kopf behalten: Jeder Angriff auf Nordkorea
hätte einen Vergeltungsschlag zur Folge. Seoul liegt nur 50 Kilometer von
den nordkoreanischen Artilleriestellungen entfernt, und Kim Jong Uns
Raketen reichen bis zu den US-Militärbasen in Okinawa. Fazit: Der
Handlungsspielraum ist klein, das Risiko hingegen groß.
Aus dem Französischen von Markus Greiß
5 Jun 2017
## LINKS
[1] https://monde-diplomatique.de/artikel/!394731
## AUTOREN
Philippe Pons
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