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# taz.de -- Sachbuch über Großstadtleben: Wir und die Stadt
> Das unterhaltsame Buch „Stress and the City“ ist eine Liebeserklärung an
> das Großstadtleben. Geschrieben wurde es vom Psychiater Mazda Adli.
Bild: Ein toller Überblick über die Stadt. Im Buch findet man einen über die…
Die Stadt nervt, sie ist laut, heiß und stinkt. Parkplätze gibt es auch
nie, wenn man abends nach Hause kommt. Einerseits. Andererseits ist die
Stadt bunt, vielfältig und anregend. Sie verwöhnt uns mit einem riesigen
Angebot an Restaurants, Kinos und Theatern und stellt sicher, dass jeder
von uns das passende Freizeitangebot finden kann. Auch medizinisch werden
Großstadtmenschen besser versorgt als ihre Brüder und Schwestern auf dem
Land.
Die Ärztedichte ist deutlich höher, und trotz lauter Arbeits- und
Stadtstress findet der ein oder andere Chefarzt neben seinen sonstigen
Verpflichtungen sogar noch Zeit zum Bücherschreiben. Wie zum Beispiel Mazda
Adli, seines Zeichens Psychiater und Psychotherapeut, der an der Berliner
Fliedner Klinik als Chefarzt wirkt und an der Charité forscht.
Adli hat gemeinsam mit Vertretern anderer Disziplinen das „Forum
Neurourbanistik“ gegründet, das sich speziell dem psychischen Befinden der
GroßstadtbewohnerInnen verschrieben hat. In seinem gerade erschienenen Buch
„Stress and the City“ nimmt er als Autor einen ähnlich weiten
interdisziplinären Blick ein, thematisiert also die Bedingungen des
Stadtlebens nicht allein aus der neurologisch orientierten Warte eines
Mediziners, sondern argumentiert über weite Strecken sehr allgemein
lebensweltlich.
## Risiko Stadt, Risiko Land
Der Untertitel seines Buches („Warum Städte uns krank machen. Und warum sie
trotzdem gut für uns sind“) nimmt bereits vorweg, auf welche Zielthese
Adlis Ausführungen hinauslaufen. Er ist ein entschiedener Vertreter des
eingangs genannten „Einerseits – Andererseits“. Ja, das Stadtleben macht
uns eventuell krank. Das Risiko, von bestimmten psychischen Erkrankungen,
insbesondere Depressionen und Schizophrenie, befallen zu werden, ist für
Stadtbewohner deutlich höher als „auf dem Land“. (Eine eindeutige, klar
definierte Unterscheidung zwischen „Land“ und „Stadt“ allerdings findet
sich im Buch nicht.)
Eine groß angelegte Studie in Dänemark konnte belegen, dass das Risiko, an
Schizophrenie zu erkranken, in Proportion zur Größe der Stadt steigt, in
der eine Person aufgewachsen ist. In anderen Studien wurde nachgewiesen,
dass die Hirne von Stadtbewohnern nicht nur empfindlicher auf Stress
reagieren, sondern dass das für Stressverarbeitung zuständige Hirnareal bei
in der Stadt Geborenen sogar deutlich kleiner ist.
Dass „Stress“ allerdings, anders als im deutschen Sprachgebrauch üblich,
nicht unbedingt immer nur schlecht sein muss, sondern einen Anregungs- und
Anspannungszustand beschreiben kann, der unter Umständen auch positive
psychische Wirkung haben kann, beschreibt Adli ebenfalls. Und trotz des
geringeren Depressionsrisikos ist die Selbstmordrate auf dem Land deutlich
höher (was möglicherweise auch daran liegt, dass es dort eben zu wenig
Psychotherapeuten gibt).
Und damit wäre das Buch auch schon angekommen beim großen Andererseits, das
in der Summe unter dem Strich die negativen Auswirkungen des stressigen
Stadtlebens in Adlis Argumentation deutlich überwiegt. Ja, Städte sind gut
für uns, lesen wir groß geschrieben zwischen fast allen Zeilen, es kommt
aber darauf an, sie so zu gestalten, dass sie ihre bestmögliche Wirkung
entfalten. Natürlich gibt es auch in dieser Richtung viele Studien und
Vorschläge; die meisten entsprechen dem gesunden Menschenverstand. Was der
Mensch offenbar ganz dringend braucht, sind Pflanzen. Je näher
Stadtbewohner an einer öffentlichen Grünfläche wohnen, desto wohler fühlen
sie sich.
## Flüssig und leicht
Die Nähe zu Kinos oder Restaurants spielt dagegen eine untergeordnete
Rolle. Eine amerikanische Studie hat das Verhältnis zwischen dem
Sozialverhalten der Bewohner von Baltimore und der Baumkronendichte in der
Stadt untersucht und herausgefunden, dass in Gegenden mit höherer
Baumkronendichte auch die gegenseitige soziale Unterstützung zunimmt. Eine
weitere, vergleichende Studie, bei der Spaziergänger mit Körpersensoren
durch verschiedene Städte geschickt wurden, konnte belegen, dass „offene
fenster- und türreiche Fassaden von den Probanden als angenehmer empfunden
wurden als strukturarme Fassaden“.
Adlis Buch ist insgesamt ein enorm kenntnisreicher und recherchesatter
Überblick über viele Bereiche der Stadtforschung, flüssig und leicht lesbar
geschrieben und in seinem gepflegten Konversationssstil erkennbar
inspiriert von jener Art populärwissenschaftlichen Schreibens, wie es in
den englischsprachigen Ländern vollendet kultiviert wird. Auf dem schmalen
Grat zwischen Eloquenz und Verplaudertsein bekommen seine Ausführungen nur
vielleicht ein wenig zu oft Schlagseite auf der falschen Seite.
Im Verhältnis zu den wirklich sehr vielen persönlichen Betrachtungen, die
in das Buch eingegangen sind, findet eine argumentative Einordnung und
Verbindung der zahlreichen angeführten Fakten, Studien und anderen Quellen
eher wenig Raum. Ein inhaltliches Fazit, das über die Bestandsaufnahme des
bereits im Untertitel verkündeten Einerseits – Andererseits hinausginge,
gibt es im Grunde auch nicht.
Aber das alles ist nun schon Meckern auf ziemlich hohem Niveau. Wer dem
großen Thema mehr in die Tiefe nachspüren will, findet dafür im
umfangreichen Literaturverzeichnis auf jeden Fall reichlich Anregungen.
2 Jul 2017
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
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