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# taz.de -- taz-Serie Großstadtrevier (7): Tierisch nützlich
> In Lichtenberg halten Schafe den Rasen kurz, in Schöneberg liefert eine
> Fischzucht Dünger für Gemüse: Unsere Autorin entdeckt viel Landleben in
> der Großstadt.
Bild: Natural born Rasenmäher: Sie halten alles Gras kurz und klein.
Stephan Muus, ein Mann Mitte dreißig in Arbeitskluft, sucht einen langen
Ast in dem von der Sonne versengten Gras und schlägt damit auf den
Mirabellenbaum ein. Die roten Früchte prasseln auf den trockenen Boden. Von
weiter hinten ist Geraschel zu hören, erstes Blöken. Hinter dem Gestrüpp
erheben sich die Hochhausblöcke im Marzahner Norden. Plötzlich galoppieren
50 graubraune blökende Schafe auf Muus zu.
Muus ist Landschaftspfleger und Tierbetreuer der Agrarbörse Ost. Der
gemeinnützige Verein pachtet Brachflächen der Berliner Bezirke und hält
dort Weidevieh, das den Rasen auf ökologische Weise pflegt – wie hier im
Eichepark in Marzahn oder im Landschaftspark Herzberge in Lichtenberg. Dann
ist nur noch das Knacken der Mirabellenkerne zwischen den Schafkiefern zu
hören, Muus streichelt einigen Tieren über den Kopf. Solange die Schafe
jedes Jahr ihre Lämmer zur Welt bringen, dürfen sie in der Herde bleiben,
sonst werden sie geschlachtet.
Eigentlich steht die Schafherde im Landschaftspark Herzberge in
Lichtenberg, doch dort ist derzeit nicht genug Platz. Nur die Lämmer weiden
gerade dort. So hat die Deutsche Bahn insgesamt sieben Hektar eingezäunt,
weil sie Lebensraum für die Zauneidechse, die unter Naturschutz steht,
schaffen muss. Das ist der Ausgleich für eine neu entstandene Bahntrasse
bei Joachimsthal. Die Schafe können dort so lange nicht weiden, bis sich
Futter für die Zauneidechse angesiedelt hat, wie zum Beispiel Grashüpfer
und Heuschrecken. Die infolge des trockenen Sommers ohnehin schon knappe
Weidefläche ist nun schon das ganze Jahr blockiert. Wie lange das noch
dauert, weiß Muus nicht.
## Im Clinch mit Hundehaltern
Die 80 Lämmer liegen im Schatten einiger Bäume, einige knabbern am
gelblichen Gras. „Es ist viel zu heiß und zu trocken, sie haben kaum Futter
in diesem Sommer“, sagt Muus. Immer wieder treiben er und seine Helfer die
Tiere durch den Lichtenberger Park, damit sie dort mehr Futter finden und
den Rasen kurz halten. Auch wenn das mit den Lämmern schwierig ist, weil
sie unerfahren und verspielt sind.
Die Tiere sind Rauhwollige Pommersche Landschafe, eine alte Haustierrasse,
die in den 80er Jahren fast ausgestorben war. Eine robuste Sorte, die das
ganze Jahr über draußen stehen kann. Nur Fleisch haben die Tiere nicht so
viel. Unter den braunen Lämmern tragen einige weiße Chips im Ohr, andere
gelbe. Die mit den weißen werden im Herbst geschlachtet, das Fleisch wird
an Privatleute verkauft. Die mit den gelben Chips dürfen in der Herde
bleiben. Sie haben einen besonders geraden Rücken, schönes Fell und gerade
Beine: gutes Zuchtmaterial.
„Schafe mitten in der Stadt zu halten wertet die Parks auf“, meint Muus.
Die Menschen freuen sich, besonders wenn die Lämmer geboren werden, so
Muus. Stress bereiten den Schafen im Park jedoch die Hunde. „In Berlin gibt
es so viele“, klagt Muus. Die Hundebesitzer wiederum fühlten sich durch die
temporäre Einzäunung der Weideflächen eingeschränkt. Da komme schon mal
Protest auf, meint Muus. Von „Marzahner Knast“ war unlängst die Rede.
In Marzahn hält sich die Agrarbörse neben den Schafen auch eine kleine
Herde Schottischer Hochlandrinder. Viele Besucher beklagten sich derzeit,
dass die Wiese leer aussehe, weil keine Rinder zu sehen sind, erzählt
Landschaftspfleger Muus. Er nimmt eine Bürste und geht ein Stück weiter
hinten in ein kleines Waldstück. Dort liegen die roten Rinder mit ihren
gewaltigen Hörnern und suchen Schutz vor der Sommerhitze. „10 Grad plus ist
ihre liebste Temperatur“, sagt Muus.
Plötzlich gibt er einen Zischlaut von sich und hebt die Hände. Eine der
Kühe hat sich von der Seite genähert, schreckt nun aber zurück. „Bei der
muss man vorsichtig sein“, weiß Muus, „die greift manchmal an.“ Ansonsten
sei diese Rasse sehr friedlich. Er nähert sich dem massigen Bullen, der
zwischen den dünnen Ahornstämmchen gewaltig anmutet. Muus lässt ihn an der
Bürste schnuppern und beginnt, seine rötlich blonden Haare zu striegeln.
„Die ökologische Landschaftspflege durch weidende Schafe und Rinder wird am
Stadtrand immer beliebter“, sagt Muus. Die Schafe würden durch die Zucht
und den Verkauf der geschlachteten Lämmer dem Verein zusätzlich etwas Geld
einbringen. Davon wird im Winter Kraftfutter für die Schafe gekauft. Im
Herbst kommt außerdem ein Bock für die Fortpflanzung für vier Wochen in die
Herde. Auch dafür wird das Geld ausgegeben. Die Rinder aber werden nicht
geschlachtet, zu aufwendig sei die Vermarktung des Fleisches bei den
wenigen Tieren. „Wir könnten gar keinen festen Kundenstamm aufbauen.“
Anders als bei der Agrarbörse, bei der Stephan Muus und seine Helfer alles
mit der Hand machen, läuft die Zucht bei Eco-friendly-Farmsystems (ECF) in
Schöneberg. Christian Echternacht, tätowiert, ausgeprägte Koteletten und
halblanges Haar, hat seinen Kundestamm schon aufgebaut, bevor er überhaupt
angefangen hat zu schlachten. Echternacht züchtet Barsche. Die Fische mit
dem zartrosa oder roséfarbenen Schuppenkleid schwimmen in einer Aquakultur.
Ein großes Gewächshaus schließt sich an eine helle Halle an, in der 13
Fischtanks stehen. Seit Anfang des Jahres ist sie in Betrieb, Gemüsekisten
gibt es seit drei Monaten. Hier, hinter der Schöneberger Malzfabrik,
züchtet ECF Fische und bewässert mit dem verbrauchten Wasser das Gemüse im
Gewächshaus – Aquaponik nennt sich das Konzept.
Beim Rundgang radelt Echternacht mit Sonnenhut und -brille über das
Gelände, ungläubig, dass er von London, nach Wien nach Brüssel jettet, um
anderen neugierigen Unternehmern von seiner Aquaponik-Idee zu erzählen. Im
Gewächshaus stehen in langen Reihen Staudenpflanzen, an denen Paprika,
Tomaten, Wassermelonen und Honigmelonen wachsen. In Töpfen, die von der
Decke hängen, wächst Minze und Aztekisches Süßkraut. In einem etwas
kühleren Bereich gucken Salatköpfe aus Beeten, die auf hochrandigen Tischen
stehen, sodass sie regelmäßig für mehrere Minuten geflutet werden können.
Die Barsche sehen aus wie gewöhnliche, etwas langweilige Aquariumsfische.
Aber das sind sie nicht. Zumindest nicht für Echternacht. Es sind
Buntbarsche, die ursprünglich im Nil leben und sich besonders gut für
Aquakulturen eignen. Sie sind widerstandsfähig und brauchen keine
Antibiotika, um gesund zu bleiben. Echternachts Fische leben ausschließlich
von Biofutter und Berliner Regenwasser. Das wird in Zisternen hinter der
Halle mit den Aquakulturen aufgefangen und in die Tanks geleitet.
750 Gramm wiegen die schlachtreifen Tiere, 12 Euro oder mehr muss man für
einen Fisch bezahlen. Abholen können sich die Käufer die Fische ab Anfang
Oktober vor Ort. Dann werden täglich 100 von den 20.000 Tieren „geerntet“,
wie Echternacht das Schlachten nennt.
Wer die Farm besucht, sieht die Fische nicht nur durch die Scheiben der
Wassertanks. Eine Webcam überträgt den Besuchern live das rosabunte Treiben
hinter Glas.
Wer die Aquaponikanlage betreten will, muss sich die Hände desinfizieren,
die Füße in Plastikhüllen stecken und darf nichts berühren. Auf einen
Schemel geklettert, kann man die Barsche anschauen. Es spritzt, die Fische
tummeln sich an den Oberfläche, weil sie denken, es gäbe Futter. Man hört
ihr Geplansche im Wasser und darüber das dumpfe Röhren der Maschinerie, die
die Aquaponikanlage am Laufen hält.
## Die Fische liefern Dünger
Hier ist alles automatisiert: wie viel Sauerstoff und Futter in die Tanks
gelangt, wann die Salatbeete geflutet werden und für wie lange. Eine
Bioanlage reinigt das Wasser. Das Kohlenstoffdioxid, das die Fische
produzieren, wird durch ein Rohr in ein Gewächshaus geleitet und dient dem
dort wachsenden Gemüse für die Fotosynthese. Das Ammonium im Wasser, das
die Fische durch ihre Ausscheidungen produzieren, wird in Nitrat
umgewandelt – einen Dünger, mit dem dann die Pflanzen bewässert werden.
Auf der Anlage selbst arbeiten vier Festangestellte und drei Praktikanten.
Sie packen die angebauten Feldfrüchte in Gemüsekisten, die sich die Käufer
selbst vor Ort abholen. Mit dem Verkauf haben sie erst vor drei Monaten
begonnen, doch schon jetzt gibt es eine viermonatige Warteliste. Die
Supermarktkette Bio Company hat bereits Interesse am Verkauf des
Rosé-Barsches bekundet. Wer Tiere lieber aus der Nähe betrachten möchte und
eine etwas weniger sterile Umgebung favorisiert, sollte allerdings lieber
in den Eichepark oder den Landschaftspark Herzberge fahren.
3 Sep 2015
## AUTOREN
Anna Bordel
## TAGS
Tiere
Großstadt
Essen
Tiere
Natur
invasive Arten
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